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Erleichtert lasse ich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen. Endlich bin ich wieder in meinen schützenden vier Wänden.

Ich lasse mich erschöpft auf die Couch sinken. So sehr ich mich auch bemühe, der Anblick von Lions schockiertem Gesicht, als er mich halbnackt an der Stange erkannt hat, lässt mich nicht los und kehrt immer wieder vor mein inneres Auge zurück.

Ich sehe seine großen grünen Augen, die mich fassungslos anstarrten und sich nicht von mir lösen konnten. Ich sehe, wie blass er plötzlich wurde und wie jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Und ich sehe, wie er dann plötzlich überstürzt aufstand und aus dem Laden flüchtete.

Einerseits war ich erleichtert darüber, dass er mich keine Sekunde länger so gesehen hat und dass der ganze Spuk ein Ende hatte. Andererseits war es aber auch das erste Mal seit langer Zeit, dass ich Lion wieder gesehen habe und als er dann aus dem Laden gestürmt ist, war dieser Moment vorbei.

Lion ist gegangen und ich denke nicht, dass ich ihn so schnell wieder sehen werde - wieder sehen kann.

Für eine kurze Sekunde habe ich mir sogar gewünscht, dass Lion noch einen Moment länger sitzen geblieben wäre, auch wenn das paradox klingt. Ich hätte mir gewünscht, für eine Sekunde sein mitreißendes Lächeln zu sehen, seine warme Stimme zu hören und in seine schönen grünen Augen zu sehen.

Mein vibrierendes Handy reißt mich aus den Gedanken und Roys Name, der auf meinem Display aufblinkt, verursacht in mir gleich doppelt ein schlechtes Gewissen.

Nach kurzem Zögern nehme ich den Anruf an. "Malia?", ertönt Roys raue Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Ja?", antworte ich leise. "Wo bist du?", fragt er. "Ich bin zuhause. Hat Joana dir Bescheid gesagt?" "Ja, ich habe gerade mit ihr gesprochen, sie hat mich angerufen. Was ist denn los?", fragt er besorgt.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und lasse mich etwas tiefer in die großen Sofakissen sinken.

"Ich muss mir den Magen verdorben haben. Mir war schon den ganzen Tag übel, und nach dem Geburtstagsauftritt musste ich mich dann übergeben", informiere ich Roy, auch wenn das nur die halbe Wahrheit ist.

"Das tut mir leid für dich. Gut, dass du nachhause gegangen bist", sagt er mitfühlend.

Damit habe ich jetzt nicht gerechnet.

Und ich sitze hier auf Roys Sofa und denke an einen anderen Kerl, während er sich um mich sorgt.

Wie tief bist du gesunken, Malia?

"Brauchst du irgendwas?", fragt Roy noch. "Nein danke. Joana wollte gleich noch zu mir kommen und mich pflegen", erzähle ich ihm scheinheilig. "Oh, das ist ja lieb von ihr. Dann ruh dich mal aus und melde dich später, ja? Ich bin noch mit Joker unterwegs", sagt er und verabschiedet sich dann von mir.

Verzweifelt lasse ich das Handy auf die Couch fallen.

Als später Joana an meiner Tür klingelt, bin ich noch keinen Schritt weiter. Immer wieder haben mich meine Emotionen überrollt wie eine mächtige dunkle Welle.

Sie lässt sich neben mir auf der kleinen Couch nieder. Es ist für mich ziemlich ungewohnt, sie in Straßenkleidung zu sehen. Meistens sehe ich sie ja im Mirage und dort tragen wir halt unsere Kostüme oder nichts.

"Wie geht's dir, Süße?", fragt sie mitfühlend und streichelt kurz über meinen Oberarm.

"Es geht", antworte ich und gieße ihr ein Glas Cola ein.

"Immer noch wegen des Jungen?", hakt sie nach.

Ich nicke. "Lion", sage ich leise.

"Schöner Name", kommentiert sie lächelnd. Sie bedrängt mich nicht oder versucht mich vor lauter Sensationslust auszuquetschen, wie es Bella oft getan hat, und das gefällt mir und führt dazu, dass ich es plötzlich schaffe, mich zu öffnen und mir all den Ballast von der Seele zu reden.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt