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In den darauffolgenden Tagen falle ich in ein kleines Loch. Das gesamte letzte Jahr stand ich durchgehend unter Strom, habe neben der Schule im Mirage gearbeitet und in jeder freien Minute noch so viel wie möglich gelernt.

Vor der Auktion habe ich Roy ja gesagt, dass ich nicht mehr strippen möchte - und habe es seitdem tatsächlich nicht mehr getan. Erst waren die Treffen mit David, dann der Urlaub und danach habe ich Tag und Nacht für die Abiprüfungen gelernt.

Jetzt, wo ich durch den fehlenden Alltag gar keine Struktur mehr in meinem Leben habe und mir zuhause zunehmend die Decke auf den Kopf fällt, scheint mir das allerdings eine ziemlich dumme Idee gewesen zu sein.

Als ich nach meinem Abiball im Mirage war, habe ich erst so richtig gemerkt, wie sehr ich mich schon an die Atmosphäre im Laden, die Gäste und das Team gewöhnt habe und wie sehr mir das alles auch fehlt.

Deshalb gebe ich mir eines Tages einen Ruck und rufe Roy an. "Hast du meine Stelle im Mirage eigentlich schon neu besetzt?", versuche ich nach ein wenig anfänglichem Smalltalk beiläufig ins Gespräch einzuflechten.

"Ne, nicht wirklich.. Dich kann man doch nicht ersetzen", antwortet er und ich höre ihn heiser lachen. "Schleimer", gebe ich grinsend zurück. "Dürfte ich dann vielleicht wieder anfangen?"

Stille.

"Im Mirage meinst du?", hakt Roy nach.

Damit hat er wohl nicht gerechnet.

"Ja, mir fehlt der Laden und das Tanzen irgendwie", gebe ich zu.

"Ja, mach doch", antwortet Roy und ich bin mir sicher, dass er in dem Moment mit den Schultern zuckt.

"Cool. Ab wann?" "Wie du magst. Geh einfach hin, wann du willst. Ich schreibe dich dann ab nächste Woche in den Schichtplan. Deine Sachen sind ja eh noch alle da."

Es dauert keine zwei Tage bis ich mich im Mirage wieder eingelebt habe und es ist, als wäre ich nie weg gewesen.

Am Freitag bin ich gerade auf dem Weg zum Mirage, als in der Innenstadt ein junger Mann zielstrebig auf mich zukommt. Er trägt eine schwarze Jeans und ein hellblaues Hemd. An seinem Handgelenk prangt eine große Uhr und die schwarzen Haare hat er akkurat zur Seite gegelt.

"Hallo Malia", begrüßt er mich mit dunkler Stimme und schenkt mir ein Lächeln.

Ich muss zweimal hinsehen um zu erkennen, dass es Abdel ist, der gerade vor mir steht. Nach unserem letzten Zusammentreffen, das so eskaliert ist, weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll - instinktiv ist mir danach einfach so schnell ich kann wegzurennen.

"Können wir kurz reden?", fragt er mich höflich. "Ich lade dich auf einen Kaffee ein."

Ich zögere einen Moment, gebe mich dann aber doch geschlagen. Es interessiert mich einfach zu sehr, was er zu sagen hat.

"Aber wirklich nur kurz, ich muss gleich zur Arbeit", antworte ich nüchtern, woraufhin Abdel nickt.

Wir laufen gemeinsam durch die Innenstadt, wo Abdel zwei Coffee to go holt, mit denen wir uns etwas abseits auf eine Bank in der Sonne setzen.

"Ich bin froh, dass wir uns hier über den Weg laufen", ergreift er selbstbewusst das Wort und sieht mir tief in die Augen. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich mich so respektlos dir gegenüber verhalten habe. Ich weiß selbst nicht genau, was in mich gefahren ist an diesem Abend. Ich habe zu viel getrunken, auch wenn das keine Entschuldigung ist, und ich schätze, ich kann einfach nicht gut mit Zurückweisung umgehen. Da sollte ich wohl mal dran arbeiten", erklärt er offen und schenkt mit ein entwaffnendes Lächeln. "Wir haben uns immer so gut verstanden, und irgendwie hat mich diese Gesamtsituation so ausrasten lassen."

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt