Joana sieht mich traurig aus ihren großen braunen Augen an und ich werde das Gefühl nicht los, dass hinter diesem plötzlichen Sinneswandel noch etwas anderes steckt, sie mir aber nicht die ganze Wahrheit sagen will oder kann.

"Ich weiß, aber ich brauche das Geld, Malia. Bitte verurteile mich nicht dafür", antwortet sie traurig.

Wenn du wüsstest, denke ich mir. Als hätte ich, die sich gestern für Geld hat entjungfern lassen, das Recht, dich dafür zu verurteilen.

Ich nehme einen großen Schluck von meinem Milchkaffee.

"Meine Mutter ist krank geworden, weißt du, und in Rumänien gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung wie hier. Hier können wir zum Arzt gehen, geben diese kleine Chipkarte ab und werden behandelt. In Rumänien hingegen sind Arztbesuche und Medikamente sehr teuer und man muss alles selbst und bar zahlen. Wenn du kein Geld hast, lassen sie dich verrecken", erzählt sie wütend.

"Das tut mir leid", sage ich leise. "Aber reicht dein Geld aus dem Mirage nicht? Ist es so viel mehr, was du im Rouge verdienst?"

Joana nickt entschlossen. "Das Rouge ist ja kein Straßenstrich sondern ein gehobenes Bordell und die Männer zahlen drei- oder sogar vierstellige Beträge pro Stunde. Das ist unter'm Strich einfach viel mehr, als im Mirage, selbst mit Séparée."

Ich schweige nachdenklich. Ich habe keine Erfahrungen diesbezüglich gemacht und habe auch nicht vor, das noch zu ändern. Nach dem Erlebnis gestern weiß ich nicht mal, ob ich in meinem Leben überhaupt noch mal mit einem Mann schlafen will, aber wenn, dann nie wieder für Geld, sondern weil ich es so will.

"Wie lange hast du jetzt im Mirage gearbeitet?", hake ich nach. "Ich habe etwa drei oder vier Monate vor dir angefangen", antwortet sie.

Ich muss erst mal überlegen, wie lange ich eigentlich schon im Mirage bin. Ich stehe jetzt kurz vor meinen Abiturprüfungen und als ich angefangen habe, war Lion noch auf der Schule - es muss also schon über ein Jahr sein. Wahnsinn, wie die Zeit rennt.

"Also anderthalb Jahre ungefähr", stelle ich nüchtern fest. Es erschreckt mich, dass es so schnell gehen kann, dass man vom "harmlosen" Strippen zum Anschaffen kommt.

Wie ein Geistesblitz schießen mir Lions Worte ins Gedächtnis. "Dieses ganze Gewerbe ist so gefährlich und es kann so schnell passieren, dass du noch tiefer reinrutscht."

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.

Keine Woche nachdem ich Lion versprochen habe mit dem Strippen aufzuhören, habe ich tatsächlich mit einem fremden Mann für Geld geschlafen.

Ich kann noch immer nicht glauben, dass das wirklich passiert ist.

Vielleicht wache ich gleich auf, und das war alles nur ein schlechter Traum?

Ich würde es mir so sehr wünschen.

David hat in diesen Stunden so viel in mir kaputt gemacht, dass ich nicht glaube, jemals noch mal die Alte zu werden.

Ich schlucke.

"Bist du wütend auf mich?", fragt Joana traurig.

Erst jetzt merke ich, dass ich die letzten Minuten so in meinen Gesanken versunken war, dass ich kein einziges Wort geredet habe.

"Nein, um Gottes Willen! Das steht mir doch gar nicht zu. Wer bin ich, dass ich das Recht dazu hätte, deshalb sauer auf dich zu sein? Ich bin nur besorgt, Joana. Ich habe Angst, dass dir etwas passiert. Im Grunde wäre es für uns beide das Beste, wenn wir in dieses ganze Haus keinen Fuß mehr setzen würden", sage ich nachdenklich.

Gott sei Dank ist dieser ganze Alptraum bald vorbei, Roy kann den Laden ausbezahlen und sich nach und nach aus dem Milieu zurückziehen. Und dann fängt endlich unser neues Leben an. Meine Gedanken schweifen zu Roy, nur in Badehose bekleidet an einem weißen Sandstrand und ich denke an seine Erzählungen über Henry und Emma.

"Dir geht es auch nicht besonders gut, oder?", schlussfolgert meine brünette Freundin. "Mir ist gleich aufgefallen, dass du heute so unglücklich und müde wirkst."

Ich reibe wie auf Kommando über meine Augen. "Ja, ist irgendwie nicht mein Tag. Ich habe nicht besonders gut geschlafen."

"Sicher, dass es nur das ist?", fragt sie skeptisch.

Eigentlich ist es doch komisch, dass wir uns beide so gerne haben und uns beim letzten Mal so viel anvertraut haben, aber uns trotzdem ganz offensichtlich noch eine Menge verschweigen. Ich für meinen Teil will einfach gerade nicht noch einmal hochholen, was passiert ist. Vielleicht werde ich ihr irgendwann alles erzählen, aber nicht jetzt.

"Na klar, was soll schon sein. Einfach nur der ganz normale Wahnsinn."

______________________________

Meine Lieben,

Was haltet ihr davon, dass Joana jetzt ins Rouge wechselt?

Und wie meint ihr wird Malia damit klar kommen?

A.

Rot wie die LiebeWhere stories live. Discover now