Seine Stimme ist flehend und in ihr liegt so viel Schmerz, dass sich mein Magen zusammen zieht. Seine schönen Augen scheinen mit Tränen gefüllt zu sein, doch er blinzelt sie weg.

Mein schlechtes Gewissen ist größer als die Scham, und so traue ich mich endlich, nach all den Monaten des Versteckspiels, reinen Tisch zu machen: "Lion, ich komme aus wirklich schlechten Verhältnissen. Mein Vater ist abgehauen als ich noch klein war, meine Mutter ist Alkoholikerin, die nichts mehr auf die Kette kriegt und ihr neuer Freund ist ein ekelhafter Schmierlappen, der sie nur noch weiter runterzieht. Unsere Wohnung gleicht einer Müllhalde und ich bin schon immer komplett auf mich alleine gestellt gewesen. Das sowieso schon wenige Geld hat meine Mutter lieber versoffen, bei mir ist nie was angekommen."

Meine Stimme bricht und ich brauche einen Moment, um mich wieder zu fangen. Nun stehen auch mir die Tränen in den Augen.

"Roy hat mich da raus geholt und mir eine Wohnung gegeben. Ich habe angefangen für ihn zu arbeiten, weil ich nicht auf seine Kosten leben wollte, obwohl er das so wollte. Ich weiß, deine Meinung von ihm ist keine gute und ich werde dich vermutlich auch nicht davon abbringen können, aber er war für mich da als es mir schlecht ging."

"Ich wäre auch für dich da gewesen", erwidert Lion leise. Ich merke, dass ihm die Worte fehlen.

"Guck dich doch an Lion. Du bist so schön und klug, du kommst aus einem guten Elternhaus und hast alle Möglichkeiten, dir steht die ganze Welt offen. Ich wäre für dich nur ein Klotz am Bein, der dich runter zieht, und ich wollte mich einfach nicht auf dich einlassen, weil du das irgendwann selbst bemerkt hättest", schluchze ich.

Noch immer tut mir diese Vernunftsentscheidung im Herzen weh.

"Wieso sagst du sowas? Hältst du mich wirklich für so oberflächlich und abgefuckt? Es ist mir egal wo du herkommst und wenn du mich über deine Situation aufgeklärt hättest, hätte ich mich nicht von dir abgewandt, sondern dir mit allem was in meiner Macht steht versucht zu helfen. Zu allererst hätte ich dich mit zu mir nachhause genommen", sagt Lion überzeugt.

Ich lache traurig auf, während mir eine dicke Träne über die Wange läuft. "Ja klar, deine Eltern hätten sich bedankt, wenn plötzlich ein kleines Ghettomädchen bei ihnen wohnt und an ihrem Teakholztisch von ihrem teuren Porzellan isst. Ich wüsste ja nicht mal, welche von den tausend Gabeln ich für welchen Gang nehmen muss."

Nun ist es Lion der lacht. "Übertreib doch nicht, denkst du wirklich, dass wir so leben? Ja, wir haben ein großes Haus und sogar eine Haushälterin, aber meine Mutter kocht jeden Tag selbst und meistens gibt es Paella auf bunten Tellern von ihrer Oma aus Spanien. Kein weißes Porzellan, keine fünf Gänge. Und übrigens: Sie weiß sowieso von dir."

Mein Mund wird trocken und meine Finger feucht. "Wie, sie weiß von mir?", frage ich ihn überrascht. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet.

"Sie weiß, dass es dich gibt und dass ich verliebt in dich bin. Und dass du mich nicht willst", sagt er betrübt.

"Sie sagt übrigens, dass das sehr dumm von dir ist", setzt er nach und seine Lippen umspielt ein leichtes Lächeln.

Auch ich muss grinsen, wenn ich mir vorstelle, wie das sie mit ihrem leichten spanischen Akzent sagt, den ich schon mal bei einem Telefonat mitbekommen habe.

Und sie hat so Recht damit.

"Im Ernst, Malia. Es ist noch nicht zu spät. Pack deine Sachen und komm mit zu mir. Du kannst deine Schule zu Ende machen und du kannst ja auch arbeiten nebenbei, wenn du das willst, aber du musst auf jeden Fall aufhören dich für Geld vor fremden Männern auszuziehen, okay?"

Ganz sanft legt er seine Hand in meine und sieht mich mit einem eindringlichen Blick an, der mein Herz schneller schlagen lässt.

Ich verliere mich in einem Tagtraum, indem ich mit Lion zusammen sitze und lerne, er hilft mir bei den Abiturvorbereitungen. Dann essen wir zusammen und sitzen den ganzen restlichen Abend auf einer Hollywood-Schaukel im Garten. In den Bäumen hängen ein paar bunte Lampions, wir kuscheln unter einen bunten Decke und können unser Glück nicht fassen.

Doch meine lebhafte Vorstellung wird jäh unterbrochen, indem die Realität mit voller Wucht in Form meines laut klingenden Handys in mich hereinkracht.

Ich werfe einen schnellen Blick auf's Display und sehe, dass Roy mich anruft.

Als hätte er es geahnt.

Ich drücke den Anruf nicht weg, aber schalte ihn stumm und lege das Handy beiseite. Dann wende ich mich schweren Herzens an Lion, der immer noch meine Hand hält: "Das geht nicht, Lion. Ich bin gerade dabei mir etwas aufzubauen, auch wenn du das vielleicht nicht verstehen kannst. Ich habe endlich sowas wie eine Familie im Mirage, ich habe Roy, der mich immer unterstützt, ich habe meine eigene kleine Wohnug, ich verdiene mein eigenes Geld-"

"Aber du hast nicht das, was dein Herz verlangt, und das ist mehr wert als alles Geld", unterbricht er mich traurig.

"Das ist leicht zu sagen, wenn man in so einer privilegierten Position ist wie du. Ich müsste mich dann aber entscheiden, ob ich weiter in der Messie-Hölle bleibe, unter einer Brücke schlafe oder eben wie jetzt meine eigene Wohnung habe, für die ich aber auch aufkommen muss."

"Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, du könntest-" "Lion, bitte!", falle ich ihm ins Wort. "Mach es mir nicht so schwer, okay? Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben, wie es gerade ist." "Eigentlich", wiederholt er mit Nachdruck.

Nur du fehlst, setze ich in Gedanken dahinter, doch ich spreche es nicht aus.

"Wenn du das willst, lasse ich dich für immer in Ruhe, das habe ich ja bis jetzt auch getan, nur bitte kündige deinen Job. Dieses ganze Gewerbe ist so gefährlich und es kann so schnell passieren, dass du noch tiefer reinrutscht. Ich würde nicht ertragen können, wenn dir was passiert. Bitte Malia", fleht er mich an.

"Okay", stimme ich leise zu.

"Versprochen?", fragt er voller Hoffnung.

"Versprochen", gebe ich ihm mein Wort.

"Ich muss jetzt langsam los, Lion, es tut mir leid", sage ich schweren Herzens.

Ich bin eigentlich schon viel zu lange hier.

"Wir werden uns erst mal nicht mehr sehen, oder?", fragt er und senkt traurig seinen Blick. "Nein, erst mal nicht", antworte ich ehrlich, und es tut mir mindestens genauso weh wie ihm.

"Gibst du mir noch einen letzten Abschiedskuss?"

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu diesem herzzerreißenden Treffen der Beiden? Ich muss zugeben, ich habe fast geweint, als ich es mir noch mal durchgelesen habe. Das ist definitiv eins meiner Lieblingskapitel und btw das längste der ganzen Geschichte bis jetzt.

Findet noch jemand Lion so zuckersüß wie ich?

Und die wichtigste aller Fragen: Gibt Malia ihm einen Abschiedskuss?

A.

Rot wie die LiebeWhere stories live. Discover now