"Die ganze Schule weiß es", kläre ich ihn auf.

"Und ich war der einzige Gast dort, oder was?", knurrt er. Er ist sauer, das ist ganz offensichtlich.

"Nein, aber der einzige, den ich jemals erkannt habe", gebe ich unsicher zurück. Seine Reaktion hat mich kalt erwischt und ich frage mich selbst, wieso ich ihm das überhaupt zugetraut habe.

"Ich dachte einfach, du hasst mich und wolltest mir eins auswischen", denke ich laut weiter.

"Ist das dein Ernst?", fragt Lion empört. "Ich hasse dich doch nicht." Sein Gesicht wird weich. "Ich hasse ihn, nicht dich." Er braucht seinen Namen nicht auszusprechen, ich verstehe auch so, wen er meint.

Traurig sehe ich ihn an. "Alle zerreißen sich das Maul über mich und machen dumme Sprüche", erzähle ich. "Ich wollte einfach nur wissen, ob ich dir das zu verdanken habe, dass die Schule gerade einem Löwenkäfig gleicht."

Lion schüttelt entschieden den Kopf. "Nein, Mali, ich habe damit nichts zu tun", sagt er und lässt den Satz erst mal so in der Luft hängen. Wie er meinen Kosenamen ausspricht entfacht ein Kribbeln in meinem Bauch.

Es ist schön für diesen kurzen Moment mal wieder nur Mali zu sein, und nicht Malia oder Mila.

Lions Gesicht verdunkelt sich wieder. "Wieso tust du das überhaupt?"

Ich wickel mir eine dünne Haarsträhne um meinen linken Zeigefinger. "Das ist alles nicht so leicht zu erklären", probiere ich seiner Frage auszuweichen, doch er erwidert: "Versuch es doch einfach. Was hast du denn zu verlieren? Wir sehen uns vermutlich eh nicht mehr wieder. Du hast mich so oft im Dunkeln tappen lassen, bist du mir das nicht ein Stück weit schuldig?"

Ich atme tief durch. Er hat ja Recht. Auch wenn es mir das Herz bricht, dass er davon spricht, dass wir uns nicht mehr wieder sehen.

"Ich habe da anfangs einfach nur gekellnert, weil der Laden Roy gehört und ich ein bisschen Geld verdienen wollte. Parallel habe ich angefangen aus Spaß mitzutrainieren und irgendwie bin ich dann da reingerutscht", lasse ich die letzten Wochen in wenigen Worten Revue passieren.

Lion schnauft verächtlich: "Du bist sechzehn. Du solltest da nicht mal Kellnern!"

Ich kaue auf meiner Unterlippe herum.

"Ich bin fast durchgedreht, als ich dich so halbnackt dort tanzen sehen habe. Am liebsten hätte ich dich von dem Podest runter gezogen, in mein Hemd gewickelt und mit nachhause genommen. Du bist doch so viel mehr wert als das, Malia. Du verdienst mehr als so einen Job und mehr als ihn", sagt er verzweifelt. Seine großen grünen Augen glänzen im Sonnenlicht.

"Ich mache das gerne und ich verdiene echt gutes Geld", beteuere ich, doch es klingt nicht sonderlich glaubhaft.

"Was sagen denn eigentlich deine Eltern dazu?", fragt Lion.

"Ach Lion", antworte ich. "Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du mich verraten hast. Vielleicht sollte ich jetzt lieber gehen."

Instinktiv blocke ich wieder ab, dieses Thema ist für mich immer noch ein rotes Tuch.

Ich will gerade aufstehen, doch Lion greift blitzschnell nach meiner Hand und umschließt sie mit seiner. Meine Haut wird angenehm warm unter seiner Berührung.

"Hör auf damit, Mali. Du kannst nicht immer flüchten. Du musst mir darauf nicht antworten, aber du hast so oft irgendwas angedeutet und mich von dir abgewiesen, aber ihn hast du an dich rangelassen. Ich verstehe das alles einfach nicht. Was zur Hölle hab ich denn falsch gemacht? Ich spüre doch, dass ich dir nicht egal bin und dass diese starke Anziehungskraft zwischen uns ist. Ich meine: Wenn du ihn liebst, wieso bist du jetzt bei mir? Das macht doch alles keinen Sinn. Wenn wir uns heute das letzte Mal sehen, sei doch ein mal ehrlich zu mir, damit ich endlich mit dir abschließen kann."

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt