Seine selbstgefällige Aussage entlockt mir ein leichtes Grinsen. Wäre ich doch nur annähernd so von mir selbst überzeugt wie Roy von sich.

"Denkst du über mich wurde nie gelacht? Bis heute gibt es noch genug Leute, die es scheiße finden, dass ich so krass tatöwiert bin, dass ich kiffe oder wie ich mein Geld verdiene. Die Menschen werden immer etwas an dir auszusetzen finden wenn sie nur wollen, egal was du machst und wie du bist. Aber oft spricht da nur der Neid aus ihnen. Die Mädchen sind neidisch, weil du so schön und erfolgreich bist und die Jungs sind abgefuckt, weil sie dich nicht klarmachen können, deshalb lassen sie ihre Unsicherheit und Wut an dir raus. Da musst du einfach drüberstehen. Und wenn noch mal jemand in der Schule so scheiße zu dir ist, dann kann ich das gerne für dich regeln."

"Brauchst du nicht, ich will da eh nicht mehr hin", erwidere ich trotzig.

"Ganz bestimmt nicht. Du hast nicht die ganzen letzten Jahre gepaukt wie verrückt, damit du jetzt so kurz vor deinem Abi die Schule schmeißt. Jetzt erst Recht! Beweis allen, die an dir gezweifelt haben, dass sie falsch lagen, das war doch immer ein Plan. Lange ist es nicht mehr, und dann hast du es geschafft und danach fahren wir erst mal in den Urlaub, okay Babe?"

Versöhnlich lächle ich Roy an: "Urlaub klingt gut." "Überleg dir einfach wo du hin willst und ich buche uns was Schönes", verspricht er lächelnd.

Roy nimmt mein Gesicht zwischen seine großen Hände und schenkt mir einen intensiven Blick. Zärtlich legt er seine Lippen auf meine und küsst mich sanft.

"Ich muss eigentlich zum Mirage, aber ich werde Joker noch etwas vertrösten. Willst du vorher noch was essen gehen? Wir können auch was anderes unternehmen, wenn du möchtest", bietet er mir an.

Ich zögere einen Moment und denke nach, bevor ich antworte: "Nimm's mir nicht übel, aber ich habe heute wirklich keine Lust mehr auf Menschen. Ich denke ich werde auch dein Angebot annehmen und heute noch mal die Arbeit schwänzen und stattdessen zum Arzt gehen wegen meiner Magenschmerzen."

Ich habe keine Magenschmerzen, ich hatte auch nie welche. Aber die Tatsache, dass Lion überall rumerzählen könnte, dass ich mein Taschengeld mit Strippen aufbessere, liegt mir schwer im Magen.

Und deshalb muss ich einfach wissen, ob er es war, der getratscht hat. Ich muss wissen, ob er mich so "verraten" hat und ob ich wegen ihm gerade in der Schule durch die Hölle gehe.

Ich will und werde das aber nicht per Whatsapp mit ihm ausdiskutieren.

Ich will ihm in die Augen sehen, wenn ich ihn das frage.

Und deshalb muss ich ihn sehen.

Heute noch.

Die kleine Hintertür, die Roy mir selbst geschaffen hat, indem er gesagt hat, dass ich Montag zum Arzt gehen soll, wenn es mir nicht besser geht, muss ich einfach nutzen. Bei all den Schichten und Verpflichtungen im Mirage, die mich täglich einspannen, weiß ich nicht, wann ich sonst das nächste Mal die Gelegenheit dazu kriege, mir ein paar Stunden für ein Treffen mit Lion freizuschaufeln, ohne dass Roy davon Wind bekommt.

"Immer noch so schlimm?", fragt Roy besorgt und streichelt meine Wange.

Sofort überrollt mich wieder einmal das schlechte Gewissen. Ich schäme mich dafür, dass ich gerade die nächste Aktion hinter seinem Rücken plane, während er sich um mich sorgt.

Ich missachte schon wieder seinen dringenden Wunsch mich von Lion fernzuhalten.

Ich kann es selbst nicht mal erklären, aber der Wunsch, die Wahrheit aus Lions Mund zu hören ist gerade größer, als die Angst Roy endgültig zu verlieren, auch wenn ich das vielleicht noch bereuen werde.

Rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt