Ich starre auf das leere Textfeld und überlege, was ich antworten soll, als mein Handy plötzlich in meiner Hand zu vibrieren beginnt.

Eingehender Anruf: Roy

"Ja?", spreche ich leise in mein Handy. Um diese Zeit sind zwar noch nicht so viele Leute unterwegs, trotzdem bin ich nicht alleine in der Bahn und nehme daher Rücksicht.

"Ach, du lebst also doch noch", erklingt Roys raue Stimme zynisch am anderen Ende der Leitung. "Ich dachte schon dir sei etwas passiert. Ein anderer Grund fällt mir nämlich tatsächlich nicht ein, wieso du dich nicht ein einziges Mal bei mir gemeldet hast."

"Ich habe geschlafen", gebe ich nüchtern zurück. "Um 19.30 Uhr?", fragt er in scharfem Ton. "Du weißt schon, dass ich sehe, wenn du online bist, ne?"

"Nein, ungefähr um 21.30 Uhr. Um 19.30 Uhr war ich einfach nur sauer auf dich", antworte ich.

Ich höre ganz deutlich, dass Roy schnaubend ausatmet. Er mag keine Widerworte und er mag es nicht, wenn ich so frech zu ihm bin. Aber ich mag es auch nicht, wenn er mich so bevormundet und bedroht wie gestern Abend, und das soll er ruhig spüren.

"Was machst du gerade? Wieso bist du schon wach?", fragt Roy, scheinbar um das Thema zu wechseln. "Ich bin auf dem Weg zur Schule", antworte ich nun weniger angriffslustig.

"Ach ja, stimmt ja. Ich vergesse immer, dass du noch zur Schule gehst", gibt er zurück. "Mh", mache ich nur, aus Mangel an einer geistreichen Antwort. Was soll ich dazu auch sagen?

"Bis wann hast du heute Schule?" "Bis 14.30 Uhr." "Soll ich dich abholen?", fragt Roy versöhnlich. Eigentlich würde ich gerne noch ein wenig schmollen. Andererseits bin ich froh, wenn ich nicht nachhause muss. Ich habe meine Mutter seit ihrer peinlichen Einlage bei uns vor der Tür und dem daraus resultierenden Streit und Detlef seit dem nächtlichen sexuellen Übergriff nicht mehr gesehen, und es geht mir ziemlich gut damit.

"Gerne", antworte ich weich und kann mir ein verhaltenes Grinsen nicht verkneifen. "Dann bis später. Ich freue mich auf dich", verabschiedet Roy sich. "Ich mich auch", gebe ich nun lächelnd zurück.

Kurz darauf fährt die Straßenbahn in den Bahnhof ein. Ich wähle Bellas Nummer und schaue mich suchend um. Ich lausche dem Freizeichen bis mir Bellas blonder Lockenkopf am anderen Ende des Gleises ins Auge sticht.

"Isabellaaa", rufe ich grinsend. Meine Freundin straft mich mit einem verärgerten Blick und läuft mir entgegen.

Ich ziehe sie in eine kurze Umarmung und sie drückt mir einen herzlichen Kuss auf die Wange.

"Na, also treffen wir uns wohl doch wie immer am Bahnhof. Ich war mir nicht sicher, du hast mir ja nicht geantwortet", begrüßt sie mich stichelnd.

Ich verdrehe genervt die Augen. Bitte nicht der nächste Vortrag am frühen Morgen.

"Ich habe gestern früh geschlafen. Mir ging es nicht so gut", antworte ich oberflächlich. Bella gibt sich zumindest vorerst damit zufrieden.

Wir laufen im Gleichschritt aus dem Bahnhof heraus und die Hauptstraße entlang.

"Was hast du am Wochenende so gemacht?", fragt meine Freundin irgendwann und nippt an ihrem rosanen Thermosbecher, den sie meistens mit sich herum schleppt.

"Ich habe mich mit jemandem getroffen", antworte ich zögernd. Dummerweise weckt genau das natürlich Bellas Interesse. Sie schaut von ihrem Becher auf und sieht mich grinsend an. In ihren blauen Augen liegt ein neugieriges Funkeln.

"Und was hast du gemacht?", schiebe ich schnell hinterher, um das drohende Unheil noch abzuwenden, doch es gelingt mir nicht.

"Stop!", ruft Bella und hebt abwehrend ihre Hand. "Wer ist jemand und woher kennst du ihn?"

"Ach Bella", seufze ich und zünde mir eine Zigarette an. Hektisch wedelt sie den Rauch vor ihrem Gesicht weg, lässt sich jedoch nicht von ihrer ursprünglichen Frage abbringen.

"Wer ist er?"

"Er heißt Roy und ich habe ihn auf Elias' Party kennen gelernt, zufrieden?", antworte ich ihr, in der Hoffnung, damit ihre Sensationsgier zu stillen.

"Ich dachte, das mit dir und Lion wird was", gibt sie mit enttäuschter Stimme zu. "Das mit Lion und mir?", wiederhole ich empört. "Was ist denn mit Lion und mir?"

"Keine Ahnung, aber irgendwas ist da doch. Jonah hat mir gesagt, dass er dich sehr mag", teilt meine beste Freundin mir mit. Die neugewonnene Information lässt mein Herz ein kleines bisschen schneller schlagen.

"Er ist doch wirklich ein toller Kerl, Malia. Was willst du mit einem anderen, wenn du ihn haben kannst?", quengelt sie weiter.

"Roy ist auch ein toller Kerl", antworte ich stur und ziehe erneut an meiner Zigarette.

Bella antwortet nicht, und auch ich habe kein Interesse daran, diese Diskussion noch fortzusetzen, weshalb wir den weiteren Schulweg schweigend bestreiten.

Irgendwann hole ich frustriert mein Handy raus und schreibe meiner Freundin Leonie eine Nachricht, als Bella plötzlich fragt: "Hast du ein neues Handy?"

Ich nicke nur. Sie schaut genauer hin und fragt dann: "Ist das das ganz neue iPhone?"

Ich sperre das Display und wende meinen Blick von dem Handy in ihre Augen. "Ja, Bella. Wieso?"

"Voll cool. Hat deine Mum es dir geschenkt?", fragt sie bewundernd.

Ich atme tief durch und schnipse den Zigarettenstummel auf die Straße.

"Nein. Roy hat es mir geschenkt", antworte ich und gucke ihr geradewegs in die Augen.

"Roy?", wiederholt sie unglaubwürdig. "Der Typ, den du vor zwei Tagen auf einer Party kennen gelernt hast schenkt dir mal eben so ein Handy für 1500€?"

Sie mustert mich misstrauisch.

Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hat.

"Drei Tage."

"Was?", fragt meine blonde Freundin verständnislos.

"Ich habe ihn vor drei Tagen kennen gelernt", korrigiere ich sie. Dann lasse ich sie stehen und laufe an ihr vorbei die Treppen rauf und verschwinde durch die Eingangstür.

Es macht mich traurig und wütend zugleich, dass Bella sich nicht einfach mal für mich freuen kann und deshalb ist es für mich gerade das Beste, dieses Gespräch abzubrechen.

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Meine Lieben,

Was sagt ihr: Ist es okay, Nachrichten vor seinem Freund zu verheimlichen?

Was sagt ihr zu dem Telefonat mit Roy?

Und was zu Bellas Verhalten?

A.

Rot wie die LiebeDove le storie prendono vita. Scoprilo ora