Kapitel 36

10K 388 18
                                    

Nun saß ich hier auf der Matratze, die Decke um meine Schultern gelegt. Ich konnte Tyler von seiner Idee mit der Spritze abbringen und war auch relativ froh darüber. Es konnte ja schließlich nicht immer die Lösung sein, mich zu betäuben. Auch fand ich den Gedanken unheimlich, nicht zu wissen, was mit mir passieren würde, während ich schlief.
Tyler lief währenddessen unruhig auf und ab. Sein Blick huschte immer wieder von einer Ecke des Raumes zur anderen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fing er jedoch wieder an zu sprechen: ,,Weißt du, für einen Werwolf ist das eingesperrt sein an Vollmond eines der schlimmsten Dinge, die passieren können. Bis auf Tod und schwere Krankheit, in jeglichem Sinne, gibt es eigentlich nichts Schlimmeres für die Meisten. Am Vollmond sind wir zusammen mit unserem Rudel, unserer Familie." Er schwieg wieder, schien irgendwo in seinen Gedanken zu sein. ,,Hast du eigentlich noch Familie? Der eine Arzt im Krankenhaus in dem du warst, hatte mir erzählt, dass bei der Revolte in deinem alten Heimatort deine Eltern starben." Ich nickte und dachte mit einem wehmütigen Lächeln an Mary. Was sie wohl gerade machte? Und ob sie zwischendurch auch an mich denkt?
,,Du vermisst deine Familie, nicht wahr?" Mein Blick ging wieder zu Tyler und ich nickte. ,,Ich kann mir sicherlich gar nicht vorstellen, wie das für dich ist. Für Werwölfe ist die Familie das Wichtigste. Zu Wissen, dass ich sie nie wieder sehen könnte, würde mich unglaublich deprimieren. Selbst wenn es nur um meine Mutter gehen würde, und du kennst sie, sie ist ja schon ein Stück eigen." Während er das sagte, setzte er sich etwa einen Meter vor mir auf den Betonboden. ,,Aber vielleicht tröstet es dich etwas, wenn ich dir sage, dass ich immer an deiner Seite sein werde. Und wenn es irgendwie möglich ist, sorge ich dafür, dass du deine Familie irgendwann wieder sehen kannst. Das, was in vielen Gesetzen in den Rudel steht, ist längst überholt und gerade aus unserer Generation wollen viele etwas ändern, wenn auch nicht alle."

Für mich klang das, was er sagte, fast utopisch. Seit der Revolution waren Menschen in den meisten Rudeln schlechter gestellt. Wir wurden separiert, eingesperrt in den Städten und in nahezu allen Taten kontrolliert. Man wurde eingeteilt und zugeteilt, in allen Belangen. Wer sich an die Regeln hielt und normal war, konnte wohl relativ gut in dieser Welt leben. Doch gerade ich hatte es, durch meine Einschränkung, nicht gerade einfach gehabt. Für die Werwölfe, mit denen ich in meinem Leben zu tun hatte, war mein einziger Vorteil, dass ich sie weder mit Fragen nerven, noch ihnen widersprechen konnte. Oft schien es mir so, als ob Menschen für Werwölfe nur ein nerviges Übel seien. Dabei waren doch, meiner Erfahrung nach, nicht gerade wenige Menschen Gefährten von Werwölfen. Und auch, wenn Tyler sagte, dass er immer an meiner Seite bleiben würde, fragte ich mich schon, was aus den ganzen menschlichen Gefährten wurde. Schließlich bekamen wir ja mit, wie viele Menschen erwählt wurden und verschwanden. Nie war jemand zurückgekommen. Und wie wir Menschen nun mal waren, stellten wir uns die unmöglichsten Dinge vor.

,,Worüber zerbrichst du dir denn jetzt schon wieder den Kopf?", fragte mich Tyler, ,,Geht es um den Ablauf der heutigen Nacht?" Verwirrt sah ich ihn an. Klang es nur in meinen Ohren so unglaublich zweideutig. ,,Okay, dass klang vielleicht etwas falsch...", kam er auch selber zu dem Schluss. ,,Aber ich halte es für wichtig, dass du weißt, was auf dich zukommt. Sobald nämlich der Mond aufgeht, werde ich mich in meine andere Gestalt verwandeln und bis zum Untergang des Mondes in dieser bleiben. Und die Chancen liegen sehr gut, dass ich aus meinem Instinkt heraus deine Nähe suchen werde."

Wolfsseele - Verliebt in einen AlphaWhere stories live. Discover now