Dein Geschenk

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Eine erdrückende Stille breitet sich momentan in mir aus und mein Blick will nicht von der verkümmerten Gestalt meiner Mutter gehen. Etwas drängt in mir, zu ihr zu gehen, doch zur selben Zeit weigert sich mein Bewusstsein aus Angst, sie würde wie ein Monster über mich herfallen, so, wie sie es damals getan hatte.
Stumm zieht Bram mich zu ihr, bis ich ihre Vorderseite sehen kann, nur um festzustellen, dass sie noch atmet. Schwer und abgehackt, während ihr Kopf sich minimal bewegt.
Ich kann einfach nur dastehen und sie mit Schrecken anstarren.
Ihre verschwitzen Haare kleben an ihrem Gesicht und ein leises Keuchen ist zu vernehmen.
"Ihr geht es gut." ertönt plötzlich seine Stimme, kalt und distant, während er sie angewidert ansieht, "Sie steht nur unter Drogen."
Die Abneigung in seinem Blick überrascht mich. "Was hast du ihr gegeben?" krächze ich und will sie nicht mehr ansehen müssen.

Mit verzogenen Brauen sieht er ernst zu mir. "Nichts. Sie wurde so gefunden, nachdem sie sich anscheinend mit Extasy zugedröhnt hatte. Ihr Zustand ist ihre alleinige Schuld."
Einen Moment entgegne ich noch seinen Blick bevor ich sie ungläubig ansehe. Sie hat sich wieder zugeknallt? Jedoch pocht ein dumpfes Gefühl der Gewohnheit in mir auf, da sie nie etwas anderes getan hat.
"Aber wieso ist sie gefesselt?" Sie nimmt nicht einmal unsere Worte war. Die größte Bewegung die sie vollzieht ist an uns vorbei zum Fenster hochzublicken, indem der Sonnenuntergang am passieren ist. Dabei erkenne ich die winzigen Pupillen, die ihr eisiges Blau abnormal großflächig machen.

Als ich den Blick wieder suchend nach Bram abwende gefriere ich bei seinem standhaften Blick. Leise tritt er vor mich und lässt von meiner Hand ab, um seine um mein Gesicht zu legen. "Wer ist dafür verantwortlich, dass du dein Leben lang leiden musstest?"
Mit erkaltendem Körper versuche ich eine Antwort zu geben, doch er antwortet für mich, als ich zu lange brauche. "Deine Mom. Richtig?"
Mit einem Brennen in den Augenwinkeln nicke ich.
"Bestätige es laut. Ist es deine Mom, die dich Jahre lang unterdrückt und verletzt hat, bis du daran zerbrochen bist?"
"Ja." bricht meine Stimme. Seine Augen stecken mich in eine Trance, in der ich nur ihn und seine Worte in diesem muffigen Raum warnehme.
"Und ist sie an deinem Nervenzusammenbruch vor wenigen Wochen Schuld?"
Ein Druck baut sich in mir auf, doch auch hier bestätige ich laut, wie er es will.
"Willst du, dass es endet?" brummt er tief und verfestigt den Druck auf meinen Wangen.
Da ich den Wunsch schon seit Klein auf hatte, kommt das Wort aus meinem Mund, bevor ich es realisiere. "Ja."
"Gut. Ich nämlich auch." haucht er, "Und deshalb gebe ich dir hier und jetzt die Chance deinen Qualen ein für alle Male einem Ende zu bereiten, verstehst du? Ich tue all das für dich."

Es dauert bis seine Worte zu mir durchdringen, weshalb ich verspätet nicke.
"Seht euch dieses Pärchen an." kommt es plötzlich rauchend neben uns und Brams Hände verschwinden von mir, als wir zu meiner Mom blicken, die ein kaputtes Lächeln auf den blassen Lippen trägt, als würde sie ihrem Feind mit Belustigung begegnen, "Ist er genauso nutzlos, wie du? Wird er dich genauso verlassen, wie dein Vater?" Ein heiseres Lachen kratzt sich durch ihre Kehle, bevor sie schwach hustet und schwer Luft holt.
Unerwartet ihre Stimme zu hören verkrampfe ich mich und spüre die Tränen in mir aufwallen. So viel Leid verbinde ich inzwischen mit dieser Stimme, obwohl es genau andersherum sein sollte. Sie sollte mir beistehen. Doch das hat sie nie.
"Ihr kotzt mich an." spuckt sie hervor und hat den Kopf in den Nacken fallen lassen. Es ist zu erkennen, wie die Fesseln unnötig sind, denn ihr Körper versucht in diesem Moment so sehr die hohe Dosis der Droge zu verarbeiten, dass er sich auch ohne sie nicht bewegt hätte.

"Halte die Klappe." zischt Bram, bevor er wieder meinen Blick sucht. "Sie hat dich nicht verdient. Und du sie nicht, Willow." fährt er wieder ruhig fort, als wäre mein Albtraum nicht in diesem Raum. "Bist du bereit das alles hinter dir zu lassen?"
Mit kräuselndem Kinn kann ich nicht einmal ein Nicken hervorbringen, weil mich meine eigene Mutter so schockiert. Ihre Worte paralysieren mich. Erwecken die Stimmen in meinem Kopf und macht, dass sich alles in mir schmerzhaft zusammenzieht. Ich will hier nicht sein. Es erinnert mich nur an den Schmerz, dem ich zu entfliehen versuche. "Ich will weg, Bram. Ich will sie nie wieder sehen." wackelt meine Stimme.
"Und das wirst du auch nicht." legt er seine Hände wieder um mein Gesicht, dass ich tief einatme und die Augen schließe, um seine beruhigende Wirkung auf mich zu übertragen. Das leichte streichen seiner Daumen straft wieder mein Kinn. "Wenn du dich heute entscheidest."
Verzweifelt sehe ich in seine Augen.
"Ich stehe dir bei allem bei. Ob du es willst oder nicht. Ich decke und beschütze dich, bis ich meinen letzten Atemzug mache. Das schwöre ich dir." raunt er und streift meine Lippen sanft mit seinen, bevor er einen Schritt zurück tritt und hinter sich greift.

Es ist eine Pistole die er darauf hochhebt, weshalb ich den Atem anhalte. "Das braucht dir keine Angst zu bereiten." sagt er schnell bei meiner Anspannung, "Ganz im Gegenteil: Es wird dich befreien. Und das ist mein heutiges Geschenk an dich. Es wird uns für immer verbinden."
Unfähig zu denken öffnen sich meine Lippen, doch mir entkommt kein Muks.
"Wenn du endlich aus den Fängen deiner Mutter gehen willst, wenn du endlich frei sein willst und mit mir ein neues Leben anfangen willst, wo dich nichts mehr verletzt, musst du nur diese Waffe nehmen und damit auf diese Frau zielen." erklärt er ruhig.
"Aber...Aber sie ist meine Mutter." flüstere ich schockiert.
"Sie ist eine Fremde." kommt es schnell, "Sie war dir niemals eine Mutter. Oder bist du da anderer Meinung?"
Kurz starre ich ihn mit zusammengepressten Lippen an, bis ich den Kopf schüttle. Er hat recht. Sie war mir nie eine Mutter und das wusste ich schon immer.
"Dann hält dich nichts auf den Leid aller zu beenden. Du wirst als frei Person hier rausgehen, wenn du nur einen kleinen Zug tätigst." raunt er und nimmt meine rechte Hand, um die Pistole behutsam in meinen Finger zu postieren.

Das Metall ist so schwer und kalt, dass ich die Hand automatisch zurückziehen will, doch er hat sie mit seinen Händen fest umschlossen und zwingt mich mit einer erschreckenden Ruhe, sie zu halten.
Mit jeder Sekunde, die ich sie anstarre, wird das Material unter unserer Wärme angenehmer. Nur durch unsere gemeinsame Arbeit wird alles besser.
Doch dann sticht sich eine Erkenntnis schmerzhaft in meine Gedanken. "Aber was ist mit Jona? Er wird-"
"Um ihn habe ich mich schon gekümmert." unterbricht er mich warm, "Er wurde in ein Programm gesteckt, dass ich selbst bezahle und in dem es ihm viel besser gehen wird, als hier. Er hat Ansprechpartner, die ihm alles geben werden, was er will. Sei es ein Psychiater, vergoldetes Essen oder einen Privatjet. Ich werde ihm alles geben, was er braucht und sich wünscht. Vor allem: Ein erfülltes Leben. Er wird die beste Schule besuchen, das beste College und du darfst ihn zu jeder Zeit besuchen. Euch wird niemand im Weg stehen und dafür sorge ich."
Fassungslos starre ich ihn an und spüre den Gegenstand in unseren Händen plötzlich brennen. Er hat sich um alles gekümmert. Dank ihm wird es Jona besser gehen. Etwas, dass ich so lange versucht hatte. Ich will vor Rührung weinen, doch bin zu durcheinander.
"Ich bin hier. Ich bin immer bei dir, ok?" sucht er wieder meinen Blick.
Bei dem vertrauten Braun, an dass ich mich die ganzen Wochen gekrallt habe, verspüre ich einen Wall an Sicherheit und weiß, dass ich von nun an alles besser machen kann. Durch Bram kann ich endlich das sorgenfreie Leben leben, dass ich immer wollte.

Mit klarer Sicht sehe ich wieder zu der Frau auf dem Stuhl und plötzlich kommt sie mir tatsächlich vollkommen Fremd vor. Als würde ich ihr zum ersten Mal begegnen, mustere ich sie und bei all dem Schweiß und der verkümmerten Ausstrahlung komme ich zu einer Einsicht: Dieses kaputte Wesen sollte einem Ende bereitet werden.
Ihr und dem Schmerz, der tief in mir immer herrscht.

Als würde er meine gewonnene Sicherheit merken, entfernt er seine Hände langsam von mir und obwohl das Gewicht der Waffe dadurch schwerer wird, gibt es mir einen leichten Fluss an Kraft in meinen Venen.

Langsam erhebe ich die Pistole und richte sie zittrig auf sie. Meine Lungen kämpfen um Luft, doch es kommt nicht genug durch.
"Ziele auf den Kopf und lasse all deine Erinnerung, all deinen Schmerz in diese einzelne Kugel fließen. Lass das deine neu gewonnene Person auferstehen." höre ich Bram neben mir.

Ein letztes Mal lasse ich den Blick durch das dunkle Zimmer schweben. Alles ist verdreckt und wie immer liegen benutzte Verpackungen überall herum, als auch ein zersprungenes Glas in der Ecke, verbunden mit einem großen Fleck an einer Wand, der wohl ursprünglich in der nun leeren Rotweinflasche auf dem Boden war.
Alles hier schreit und wirft mir alte schlimme Erinnerungen entgegen, die ich hier erleben musste.
"Nur ein Schuss und wir können hier weg. Dann sind wir frei." flüstert er und ich sehe wieder zu der Frau. Ihre kurzzeitige Besinnung ist inzwischen verflogen und sie zuckt mit den Lidern.
Frei.
Ich muss nie wieder die Dunkelheit fürchten.

Meine Finger hören auf zu zittern, während sie sich fester um die Waffe schließen und ich atme die gesamte Luft aus, als würde sie all die Anspannung und Sorge, die sich über die Jahre gesammelt hat, aus meinem Körper schaffen. Ich muss sie nie wieder ertragen. Nicht in meinen Gedanken und nicht im wahren Leben. Letzten endes ist das der Weg den ich gehen muss, um sie keine Macht mehr über mich haben zu lassen.

Eine Sekunde lasse ich die über mich legende Ruhe auf mich wirken, bevor ich abdrücke und den lauten Lärm zum ersten Mal mit etwas guten verbinde, der meine Ohren schillern lässt.

I'll get youWhere stories live. Discover now