1960

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Immernoch mit dem Geschmack des Lattes auf meiner Zunge, drohe ich an der Kasse fast einzuschlafen. Ich weiß nicht mal mehr, wann ich mich in die Gefahr begeben habe, meinen Kopf an meine Hand abzustützen. Auf diese Weise ist er dabei, jeden Moment einfach auf den Tresen zu klatschen und für die nächsten Stunden da zu bleiben. Nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde. Hier sind kaum Kunden,kein Mitarbeiter und Chef, der mich dafür anmeckern würde.
Wegen diesem Nicolas habe ich letzte Nacht definitiv meine Stränge überschlagen. Ich hätte innerhalb der Woche nicht ausgehen sollen. Die Seminare fordern einen dafür zu sehr. Auch wenn Bram in diesem Punkt meinen würde, dass amerikanische Literatur eher dafür da ist, um Schlaf nachzuholen.

"Scheiße.." raune ich leise, als meine Lider kaum zu kontrollieren sind. Ich muss unbedingt einen Kaffee oder Energy holen. So kann es die nächsten dreieinhalb Stunden nicht weitergehen.
Ich bin im Prozess mich auf das Aufstehen vorzubereiten, doch mittendrin schlägt etwas hart auf den Tresen auf. Starr vor Schock reiße ich endlich die Augen mehr auf, als über den gesamten Tag hinweg und sehe vorerst nur eine riesige Hand daliegen. Es sind nicht nur die gepflegten kurzen Nägel, sondern auch die hervortretenden Adern, die sofort auffallen und meinen Blick einen muskulösen Arm hinaufwandern lassen. Trotz Schocks bleibt meine Sicht träge und ich bemerke das kantige Kinn, bevor ich in ein Paar haselnuss-braune Augen sehe, in denen ein Feuer an Emotionen herrscht.
Meine Augen weiten sich sogar mehr, als ich dachte, dass sie das könnten, als ich Bram vor mir erkenne. Dabei sieht er schon fast wütend aus. Vorsichtig richte ich mich auf und muss vor seinem direkten Blick aufpassen, mich nicht unterkriegen zu lassen. Dieser Typ hat definitiv keine gute Laune und will mich das wohl fühlen lassen. Einen Moment starren wir uns einfach nur an, bis ich mich räuspere und mich traue kleinlaut aufzusprechen. "Hallo, Bram. Was verschlägt dich diesmal hierher?" Ich versuche locker zu klingen, aber seine aggressive Aura lässt es nur bedingt zu.
"Das." brummt er nur dunkel und schmeißt mir eine DVD-Verpackung hin. Verwirrt sehe ich ihn noch einen Moment an, bevor ich diese annehme, ohne von ihm zu sehen. Sein Blick ist wirklich beunruhigend. So sieht er normalerweise nur aus, wenn ihn jemand angepisst hat. Und diesmal muss dieser Jemand wohl ganz schön was angestellt haben.
Und dennoch rede ich weiter, weil ich auf diese Weise besser tun kann, als wäre nichts und hoffe, dass es ihn von seiner Wut ablenkt. "Du hast heute gefehlt. Ist alles gut?" Meine Einschüchterung nicht zeigend sitze ich nur angespannt da und lasse meinen Blick zwischen ihm und die DVD schwenken, während ich sie, wie gewohnt, einscanne.

Unerwartet wird sein Blick weicher und seine breiten Schultern senken sich merklich. "Manchmal hat man wichtigeres zu tun, als irgendwelche Seminare zu besuchen." murmelt er darauf nur und lässt seinen Blick nicht von mir weichen.
Ich schnaufe nur amüsiert auf, weil ich es nicht unterdrücken kann. Was erwartet man denn auch sonst von einem intillegenten Burschen, der auf Daddys Millionen sitzt und denkt, dass sich alles nach ihm richtet. Doch genau dieses Geräusch lässt ihn wieder anspannen.
Vielleicht hat Bram kein Aggressionsproblem, sondern nur mächtige Stimmungsschwankungen.

Er veranlässt mich, mich nun vollends auf die DVD zu konzentrieren und als ich sehe, was er sich da ausleiht, bin ich erstaunt. "Du magst den?" Das Cover heißt "Psycho". Ein Film aus 1960, den ich bestimmt schon zehn Mal geguckt habe.
Plötzlich erscheint ein triumphiertes Lächeln auf seinen Lippen. "Schon. Wieso?" Überrascht sehe ich ihn an und überreiche ihm, noch teils ungläubig, den Film, nachdem er seine auf dem Tresen ruhende Hand hebt und eine Mitgliederkarte präsentiert.
"Weil ich diesen Film liebe und nicht gedacht hätte, dass du an sowas interessiert bist." plötzlich peinlich berührt scanne ich auch seine Mitgliederkarte und frage mich, wann er geschafft hat, sich eine machen zu lassen, wenn er vor wenigen Wochen erst von diesem Laden Wind bekommen hat. Als ich ihm auch diese reiche, nimmt er sie verschmitzt grinsend entgegen.
"Heh. Fast wie ein Zeichen, nicht?" meint er nur. Das erinnert mich nur, an sein nervigens Verhaltem die letzten Wochen und ich muss seufzen, bevor ich einfach die Schultern zucke. Es ihm zum erneuten Mal zu erklären möchte ich jetzt auch nicht.
"Ach so." fällt es mir ein, "Brauchst du eine Tüte?" Mir fällt nämlich auf, wie er nichts bei sich trägt.
Ein tiefes Grinsen ist nun auf seinem makellosen Gesicht und er geht sich durch die dunklen Haare. "Ja, wieso nicht."

Nickend lehne ich mich zurück, um unter den Tresen sehen zu können. Die letzten Tüten sind im untersten Fach. Na toll...mehr Bewegung. Ich bücke mich zu den kleinen Dingern runter und komme zu einem mir plötzlich nahen Bram wieder hoch. Er hat sich mit den Unterarmen auf den Tresen gelehnt und sieht mich gebückt an. "Hier." sage ich nur leise und halte die blaue Tüte in der Luft, doch er beachtet es gar nicht.
"Hättest du vielleicht Lust, den Film bei mir anzusehen? Ich habe einen Kinoraum, in dem man sich gemütlich verschanzen kann."
Zurück zum Alten seufze ich. Ich habe dafür jetzt nicht die Kraft, also weiche ich einfach aus. "Ich muss noch arbeiten. Eigentlich war ich gerade auf dem Weg, mir beim Automaten gegenüber der Straße was zu holen, um wach zu bleiben."
Er legt den Kopf schief. "Und danach? Ihr arbeitet nur bis 23 Uhr. Da könnte ich dich auch abholen."
"Nein, Bram. Wie gesagt: Ich bin müde und habe morgen noch Seminare, die ich im Gegensatz zu dir ernst nehme." murmle ich und reibe mir den Nasenrücken.
Seine Miene wird mit einem Mal ernster. Außerdem hört er nicht auf mich mit diesem unergründlichen Blick zu beobachten. "Du warst gestern mit Maddy feiern." Aber es klingt eher nach einem Fakt, als nach einer Frage.
"Woher weißt du das?"
Einen Moment versuche ich die Antwort in seinen Augen herauszufinden, die nur wenige Zentimeter vor meinen sind. Doch sie geben nichts derartiges Preis. Nur, dass etwas über sein inneres Auge zu huschen scheint, dass er schnell überspielt. "Maddy hat von euch beiden ein ziemlich offensichtliches Foto hochgeladen."
Ich nicke nur und klopfe einen bekloppten Takt auf den Tresen, während ich mich abwendendend aus dem Hocker erhebe, um das eigenartige Gespräch zu beenden. "Naja. Ich wünsche dir noch viel Spaß mit dem Film. Du darfst ihn einen Monat behalten. Wenn du mich entschuldigst, ich brauche jetzt einen Kaffee." meine ich nur und setze ein falsches Lächeln auf.

Doch als ich mich schon auf den Weg mache hält er mich hastig auf. "Halt. Nein, nein. Bleib' ruhig hier. Ich hole ihn dir. Woher wolltest du ihn?" stößt er sich bereit vom Tresen ab und sieht mich aufgeregt an. Mit zusammengezogenen Brauen drehe ich mich wieder zu ihm. "Was? Nein, schon gut. Ich mache das gerne alleine."
"Red' kein Schrott. Dafür müsstet du das Geschäft alleine lassen und machst dich starfbar. Lass mich dir einfach helfen. Geht klar."
Ich kann ihn nur forschend anstarren und auch er sieht mir geduldig in die dunkelrünen Augen. Ist das einer der Momente, wo Maddy immer meint, ich soll mich schlichtweg für die Gratisgetränke und den Spaß einlassen? Denn Bram nur für einen Kaffee losziehen zu sehen, wie ein Butler, wäre schon ganz schön amüsant für mich. Ich seufze und schließe kurz die Augen, bevor ich ihn wieder fixiere. "Okay.."
Etwas in seinen Augen glänzt auf, dass mich zurückwirft. "Perfekt. Woher wolltest du ihn?"
Kraftlos stehe ich da und zeige knapp Richtung Ausgang. "Über den Parkplatz und dann auf der anderen Straßenseite. Da gibt es gleich einen Automaten in der Gasse neben dem Kiosk."

Diesmal ist er der Verwirrte und sieht mich mit zusammengezogenen kräftig schwarzen Brauen an. Er bleibt es einen Moment und ich verstehe nicht, was sein Problem ist. Ist es ihm zu weit oder was? Dabei sind das nicht mal 20 Meter von hier.
Doch er wirft nur seinen Kopf in den Nacken und lächelt unerwartet sexy auf. "Keine Sorge. Deine Bestellung ist schon auf dem Weg." raunt er und lässt die Tüte mit dem Film auf dem Tresen liegen, bevor er sich elegant umdreht und schwungvoll aus der Tür geht.
Mit roten Wangen stehe ich verblüfft da.
Ha. Bram Chester - Der, der sich von niemanden etwas sagen lässt und auf einem Berg von Kohle sitzt, die er kaum ausgeben könnte -ist gerade los, um einem Mädchen aus der unteren Schicht einen Kaffee zu besorgen. Ich muss zugeben: Das gefällt mir. Sogar sehr.

I'll get youWhere stories live. Discover now