Kraft

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Seit dem gemeinsamen Frühstück herrscht erdrückende Stille zwischen Hunter und mir, die ich nicht ertrage. Hätte ich anders antworten sollen? Hätte ich ihm erzählen sollen, was die Sache zwischen Bram und mir wirklich ist? Jedoch könnte ich nicht sagen, was dann passieren würde. Am Ende bringe ich ihn damit nur in Gefahr .
Außerdem habe ich keinen Schimmer, wie ich das erklären soll. Es findet sich keine pausible Erklärung.
Wie wäre es mit Gefangenschaft?, zischt eine innere Stimme, was mich verkrampfen lässt.
Doch ich gebe ihr keine Beachtung. Dränge sie sofort zurück, wo sie herkam und atme zittrig durch, um mich zu fangen.

Hunter selbst ist im Bad, was mich unbeaufsichtig lässt. Ein Instinkt in mir schreit, versucht einen Chor zusammenzustellen, der mich von hier wegbringen soll, aber ein einzelnes Gefühl unterdrückt es. Vertrautheit. Und diese kommt von Hunter.
Mit ist bewusst, dass es schon über 6 Jahre her ist, dass ich ihn zuletzt gesehen habe, aber es ist, als wäre die Uhr unserer Beziehung damals nur pausiert worden und geht nun weiter. Blockade hin oder her. Hunter ist gerade die einzige Person, die mir in diesem scheinbaren Untergang Kraft spenden kann. Die mir ein Gefühl der Normalität und des alten Alltages geben kann, den ich so sehr heransehne. Sonst habe ich niemanden. Meine Familie ist sogut wie nicht existent, Maddy ist wie verschollen und Bram-. Bram ist inzwischen eine andere Liga. Anfangs gab er auch das Gefühl der Vertrautheit. Als wäre er dieselbe Person, die ich ein Jahr aus weitem gekannt hatte. Und es ist immer noch da. Aber inzwischen hat sich etwas größeres darauf verfestigt. Das, was ich nicht in Worte fassen kann, was mich immer wieder aus der Orientierung wirft. Die neue Seite, die ich immer mehr realisiere, auch wenn die 'schönen' Momente es immer wieder zerstören. Sofort spüre ich seine Berührungen auf meiner Haut, als wäre er hier. Spüre das zarte Streichen am Arm gefolgt von dem leisen raunen an meinem Ohr, das mir Gänsehaut bereitet. Tief einatmend schließe ich die Augen. Genieße es für einen Moment, bevor ich mich dagegen wende. Ich sollte so etwas nicht fühlen. Doch er hat ein Chaos in mir verursacht, dass ich nicht kontrollieren kann.

Im nächsten Moment will ich schreien und weinen, weil ich es nicht mehr mit mir selbst aushalte. Inzwischen macht er mich nicht verrückt, sondern ich mich selbst.
Verzeifelt vergabe ich mir auf dem Sofa die Hände in den Haaren und versuche die gemischten Gefühle zu erdrücken. Ich will sie nicht. Sie bringen mich an meine Grenzen und lassen mich fühlen, als wäre ich kurz davor den Verstand zu verlieren. So wie damals in meinen eigenen vier Wänden. Alleine. Nur die Dunkelheit und ich. Und mit ihr die zerschmetternden Gedanken, die mich Tag ein Tag aus verfolgt hatten.

Ein Klicken bringt mich zurück.
Schwer atmend sehe ich auf, bevor Hunter frisch geduscht aus dem Bad kommt. Hunter.
Schluckend kontrolliere ich meine Atmung und zwinge meine Augen sich zu fokussieren.
Hunter ist jetzt das einzige Licht in diesen Tagen. Er ist meine einzige Hoffnung zum alten zu gelangen. Zu der Person zu werden, die ich sein wollte. Stark, Selbstbewusst und Selbstständig.

Nichts ahnend schaltet er das Licht im Bad aus und kommt mit einem Tuch in der Armbeuge in meine Richtung. Sein Blick ist gefasster, als vorhin, während er mich entspannt ansieht. Entspannt, während ich versuche bei Sinnen zu bleiben.
"Alles gut?" fragt er wohl schon zum x-ten Mal heute, ohne wirklich mitzubekommen, was in mir vorgeht. Aber so war er damals auch schon. Im Gegensatz zu Bram kann er nicht aus den Gesichtern anderer lesen. Er war nie wirklich dazu gezwungen worden zu Misstrauen und musste nie solche Dinge durchmachen, wie wir. Er hat die Unschuld immer noch zum Schutz um sich.
Benebelt nicke ich, während er das feuchte Tuch über eine Stuhllehne hängt.
"Kann ich dir was besorgen? Irgendwas tun?" fragt er mit reinen Gewissen, dass durch seine blassblauen Augen so stark betont wird.
Doch ich schüttle nur den Kopf.

Den Blick senkend überlege ich angestrengt, während sich der Nebel in meinem Kopf nur langsam verflüchtigt.
Anscheinend merkt er, dass ich was sagen möchte, denn er bleibt wo er ist, und sieht mich geduldig an.
"Wie lange denkst du werden sie mich hier halten wollen?"
Mit einem Blick auf ihn sehe ich, wie sich seine Stimmung trübt und ihn meine Worte regelrecht verletzen. "Solange, bis Bram Chester nachgibt."
Geistesabwesend nicke ich. Eine kostbare Chance meine Lage zu verändern, aber nichts in mir bewegt sich dazu einen Plan dafür zu kreieren.
"Willst du nicht in meiner Nähe sein?"
Überrumpelt sehe ich wieder auf, wo mich sein verletztes Gesicht stocken lässt. Seine schlanke Figur sieht unheimlich zerbrechlich aus. "Was? Nein." stehe ich überstürzt auf, "So war das nicht gemeint. Ich bin erleichtert dich wiedergefunden zu haben. Nur-.." ich beiße mir auf die Unterlippe. Wie soll ich das erklären? "Es ist nur, dass ich nie weiß, was passiert. Was mit mir passieren wird. Ich will das alles nicht."
Seine Schultern straffen sich ein wenig. "Verständlich. Ich an deiner Stelle hätte auch Angst. Aber ich passe auf, dass dir nichts geschieht. Versprochen." Eigentlich war meine Sorge an Bram gerichtet, doch natürlich hat er es falsch verstanden. "Willow, auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben, mag ich dich immer noch so sehr wie damals. Ich würde dich niemals im Stich lassen."

Überfordert atme ich ein, während ich mit verzerrten Brauen in seine Augen sehe, die mich überzeugt mustern. "Das habe ich nicht verdient." rutscht es leise von meinen Lippen, was eigentlich in meinen Gedanken bleiben sollte.
"Wieso denkst du das?"
Schulterzuckend will ich seinem Blick nicht mehr standhalten. Ich weiß nicht, woher diese Worte kommen. Sie hatten sich über die Jahre so tief in mich verankert, dass sie zur Gewohnheit wurden. Sie sind wie ein Gebet, dass sich in mich eingraviert hatte und ich nun ohne Bedenken rauf und runter lese. Ich hatte nie eine bedeutende Rolle gespielt.

Ich war so sehr mit mir beschäftigt, dass ich seine Schritte nicht gehört habe und komme erst wieder zu mir, als er meine Hand in seine schließt. "Du hast mehr als das verdient. Das, was mit dir passiert, ist nicht deine Schuld und auch kein Karma. Ich erinnere mich, dass du das damals dachtest, aber ich hoffe, dass du inzwischen anders denkst." sagt er leise unter eindringlichen Blick.
Mit gekreuseltem Kinn versuche ich seinem Blick standzuhalten. Das blasse Blau wirkt so beruhigend und erinnert mich an branndende Wellen in kalten Temperaturen, die einem den Geruch von Salzwasser entgegen schwemmen. "Was auch sein mag, jetzt hast du mich. Wenn du das möchtest, bleibe ich bei dir und passe besser auf, als ich es damals getan habe, okay?"
Die Tränen in meinen Augen fühlen sich fremd an. Jedoch ignoriere ich sie und umarme ihn stattdessen fest, weil ich mich allmählich verliere. Zu lange musste ich alleine mit allem fertig werden. Dabei sind nur Monate vergangen in denen ich von Maddy getrennt war, während irgendwelche Tricks mit mir gespielt wurden. Seine Arme um mich lassen mich aufzittern, doch fühlen sich bestärkend an.
"Rede mit mir." krächze ich verzweifelt in seine Brust, während er mir über den Rücken streicht.
Ich brauche Ablenkung und ich brauche meinen Freund zurück. Der, der mir endlich das Gefühl von damals geben kann, wo ich noch mit Sicherheit stehen konnte. Jemand, der mich erinnert, wo ich herkomme, wer ich bin. Und im Moment kann das nur Hunter. Der, der immer nur das Beste für mich wollte und tatsächlich auch noch nach all der Zeit zu mir steht.
Es ist, als würde ich heute einen Erfolgsschimmer spüren, der sich hat lange nicht blicken lassen. Und es gibt mir Kraft.


I'll get youWhere stories live. Discover now