Erziehung

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Es vergeht eine stolze Zeit, bis Bram wiederkommt. Zwar bemerke ich seinen prüfendenden Blick, während er an der Tür steht, doch konzentriere mich darauf auf das 5. Spiel, dass ich inzwischen spiele.
"Und? Alles erledigt?" frage ich locker, um normal zu wirken. Er hat bestimmt erwartet, dass ich die geöffnete Tür ausnutze. Und erwartet bestimmt nicht, dass ich so entspannt bin.
Und um ehrlich zu sein, bin ich das wahrscheinlich nur, weil diese Spiele einen echt ablenken können. Und Shooter scheinen eine gute Art zu sein, seinen Frust abzubauen. Ich brauche so ein Ding umbedingt auch Zuhause. Wenn ich denn irgendwann dahin komme.

"Ja, naja fast." meint er nicht ganz bei sich und schließt die Tür, bevor er auf mich zu schleicht.
Ich ignoriere ihn, sogut es geht, als er sich neben mich setzt, und starre einfach auf den Fernseher, während ich die Knöpfe auf dem Controller gut beherrschen kann. "Und wie war deine Zeit beim zocken?"
Ich zucke die Schultern. "Ist eine schöne Sache."
Ich erwarte, dass er sich bei meiner Unlust, mit ihm zu reden, anspannt oder wütend wird, aber nichts.
Es bleibt sogar eine Zeit lang still, bis seine Stimme warm und rumorend wieder zu hören ist. "Wenn du möchtest, kaufe ich dir eine für dein Zimmer."
Den angenehmen Schauer ignorierend sehe ich ihn überrascht an, selbst wenn im Spiel gerade einiges abgeht.
Seine warmen Augen sehen direkt in meine Seele und ich schlucke wieder angestrengt, bevor ich eingeschüchtert wiede voraus sehe. "Die sind doch teuer." murmle ich.
Die Matratze gibt ein wenig nach, als er mir näher kommt. "Nicht für mich und das weißt du."

Mit mulmigen Gefühl, kann ich mich schwer auf das Spiel konzentrieren. "Ich will eigentlich gar nicht in diesem Zimmer sein." sage ich leise und spanne mich an, während ich auf eine Backpfeife warte, doch nichts.
Nein, ich zucke sogar zusammen, als er anfängt mir behutsam eine Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen.
"Ob du jetzt dort bist oder woanders, obliegt nur deinem Verhalten, Willow." Ein erneutiger Schauer durchläuft mich, als seine Worte direkt in die Mitte der Tatsachen treffen.
Alles hängt jetzt von meinen Reaktionen und Aktionen ab..

Ich versuche desinteressiert zu tun und spiele grottig weiter, während er sich bewegt, aber als ich seine beiden Hände an jeweils einer Seitse meiner Hüfte spüre, atme ich scharf ein und lasse meine Finger kurzzeitig pausieren.
Ich werde nach hinten gezogen und bevor ich es mich versehe, sitze ich in seinem Schneidersitz, während seine Arme sich um meinen Bauch schlängeln und meinen Rücken fest an ihn drücken. "Lass dich von mir nicht ablenken." raunt er direkt an meinem linken Ohr.
"Nicht?" frage ich spitz. Wir beide wissen doch, dass das nicht geht!
"Wenn du es nicht willst natürlich." raunt er weiter und fährt seine Nasenspitze sachte an meiner Wange entlang, was mich den Atmen anhalten lässt. "Spiel ruhig weiter."
Ich würde ihm gerade zu gerne eine reinhauen, aber kontrolliere mich und ignoriere seine Lippen, die mich hin und wieder an der Wange streifen.

Ich versuche einfach weiterzumachen, während ich dauerhaft von einem Schauer durchlaufen werde und nicht anders kann, als meinen Körper anzuspannen. "Wie lange spielst du sowas schon?" Ich brauche jetzt mehr Ablenkung, als diese Konsole.
"Hmmm," brummt er, als wäre er erst aufgestanden und ich fasse nicht, was es in mir auslöst, "Seit ich 16 bin. Aber in meiner Jugend war es eher extrem, weil ich keine Lust auf alle hatte und eh nichts besseres zu tun hatte. Inzwischen spiele ich eher selten."
"Nichts besseres zu tun?" rümpfe ich die Nase.
Ich spüre darauf sein Schulterzucken hinter mir. "Meine Eltern hatten besseres zu tun und hatten ab einem gewissen Punkt aufgehört, mich zu irgendwelchen Sportkursen zu zerren. Und damit ich sie nicht ertragen musste, habe ich mich eben mit der Konsole im Zimmer eingesperrt."
"Sie nicht ertragen? Was meinst du damit?" Sind Millionäre nicht super duper happy und genießen jeden Tag in vollen Zügen? Es wäre absolut absurd, wenn ein Millionär behaupten würde, er ist nicht glücklich, wenn er jeden Tag so gestalten kann, wie es ihm passt.

Er lacht kurz in sich hinein, doch es klingt nicht echt. Es wirkt sogar schon fast traurig. "Du bist nicht die einzige, die eine komplizierte Familie hat."
"Ach ja? Eben dachte ich mir, dass es ganz schön wäre, wenn ich deinen Dad statt meiner Mom gehabt hätte." rutscht es mir aus. Wieso erzähle ich ihm diesen Schrott überhaupt??
Er spannt sich an und lässt auch seine Arme um mich enger werden, doch sagt nichts dazu. Er kuschelt sich sogar noch mehr an mich und legt den Kopf teils auf meinem Rücken ab, was mich so aufmerksam macht, wie nichts anderes bisher. Ich habe sogar Schwierigkeiten zu atmen, weil ich genau weiß, er kann es hören. Scheiße, selbst meinen Puls kann er so hören.
"Ich weiß nicht genau, ob du dir das wirklich wünschen solltest. Meine Familie war ganz schön sche-" er bricht ab und klärt die Stimme. "Sie war eigenartig." fährt er leiser fort, "Vielleicht haben sie mir nicht alles exakt, wie deine Mom dir, angetan, aber das macht sie nicht weniger schlimm."
"Was haben sie dir denn angetan?" frage ich deutlich ernster und kann kaum noch irgendwelche Knöpfe auf dem Controller drücken.
"Ist lange her. Wir haben uns auch nie verstanden, weil sie von klein auf erwarteten, dass ich wie sie bin. Aber sie haben erwartet, dass ich alles alleine erreiche und weil das nicht immer der Fall war, weil ich mich schlichtweg geweigert habe, ignorierten sie mich. Sie taten so, als wäre ich nicht da. Nur wenn ich gegen irgendwelche Hausregeln verstoßen habe."
"Hausregeln?"
"Ganz normale Dinge. Wie nicht im Schlafanzug durch die Wohnung zu laufen. Keine übermäßigen Spielstunden. Keine Gespräche mit dem Personal. Aber ich fand das meiste davon war Müll. Einfach nur unnötig."
Ich hatte jetzt mehr erwartet. "Meintest du vorhin nicht, dass du viel gezockt hast?"
"Hm? Ach so. Wegen dem Spielstunden meinst du. Ab einem gewissen Alter habe ich angefangen, nicht auf sie zu hören und einfach mein Ding durchgezogen. Einer der Gründe, wieso sie nie groß mit mir gesprochen haben. Wenn ich nicht so war, wie sie es sich wünschten, dann war ich für sie nicht existent."

Es ist schon traurig, dass es für ihn so war, aber viel zu lächerlich, als dass ich ihn das mit meiner Erziehung vergeleichen lassen könnte. Ich kann mir sogar ein verächtliches Schnaufen nicht unterdrücken, dass mich mein Leben kosten könnte.
Ich spüre, wie sich seine Bauchmuskeln an meinem Rücken anspannen und er etwas sagen möchte, aber ich komme ihm zuvor. "Also meine Mutter hatte ganz witzige Regeln, wie mich oder meinen Bruder in schlimmen Zeiten die Zeitung austragen zu zwingen, damit sie sich ihre Drogen leisten konnte. Deshalb kann ich nicht unbedingt behaupten, dass deine Eltern dabei schlimmer waren."

Wieso ich das erzähle, weiß ich selbst nicht. Vielleicht, weil es mich insgeheim aufregt, dass er sich doch so verletzt hinstellt und dann auch noch meint, es schlimmer gehabt zu haben als ich.
"Was?" fragt er ungläublig und hebt den Kopf von meinem Rücken.
Im Lauf drin, rede ich einfach weiter. "Ja, oder als sie den Toaster für den ich lange als Kind zusammengespart habe wütend aus dem Fenster geschmissen hatte, nachdem wir ihn kaum verwendet haben, weil sie wieder auf ihrem Tripp war. Oder als sie ihren alten Laptop nach mir geschmissen hat, als ich sieben war, und ich bis in den nächsten Tag Kopfschmerzen und Sehbeschwerden davon hatte. Ist doch witzig, oder? Immerhin hatte ich es leichter als du und musste nicht viel tun, um die Erwartungen meiner Mutter zu erfüllen. Denn für sie war ich eh nutzlos."

"Willow, wovon redest du? Ist das echt passiert?" Seine Stimme klingt komischerweise besorgt und als er mich an den Schultern zu sich dreht, sieht er mich erschrocken an.
Einen Moment entgegne ich seinen Blick mit zusammengezogenen Brauen, bis ich mich abwende. "Vergiss es." brumme ich nur und will mich auf das Spiel konzentrieren, weil ich nie wieder einen Gedanken an diese Zeiten verschwenden wollte. Doch er lässt nicht locker.

I'll get youWhere stories live. Discover now