Weg in das alte Leben

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Unter knirschenden Geräuschen, die das Besteck auf den Tellern verursacht, bleibt eine unangenehme Stille erhalten, die ich irgendwie nicht zu brechen wage.
Jona hat kein einzelnes Wort seit dem Streit geäußert und versucht die Pampe aus dem billigen Reis, den ich vorhin noch schnell gekauft habe, und dem wenigen Gemüse zu essen, während er emotionslos darauf starrt. Ich fange an, mich wirklich um ihn zu sorgen.
Und Mom kann nicht anders, als auf ihrem Platz nervös herumzurutschen und mit der Gabel zu wippen. Ihr schmales Gesicht altert immer mehr und ihre braunen Haare sehen aus, als hätte sie sie Tage nicht gekämmt.
Nach kurzem Grübeln reicht mir die Stille. "Jona. Wie läuft die Schule?" Einen Moment huscht Bedrücken über sein Gesicht und er rührt den zu laschen Reis umher, der meine schlechten Kochkünste perfekt darstellt. Er scheint nach den richtigen Worten zu suchen. Aber es ist Mom, die sich aufzubauen scheint und darauf spricht. "Er ist ein Versager." zischt sie fast und ich sehe sie böse an. "Eine schlechte Note nach der anderen bringt er nach Hause."
"Er ist kein Versager." presse ich hervor und begegne ihrem Blick. "Außerdem habe ich ihn gefragt und nicht dich."

Einen Moment sieht sie überrascht aus. Sie ist es nicht gewohnt etwas von mir zurück gesagt zu bekommen und wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich dabei auch nicht wirklich wohl. Doch ich ignoriere sie und sehe zu meinem Bruder, der plötzlich zerstört aussieht. "Hey, Jona." lege ich meine Hand tröstend auf seine, "Hör' nicht darauf. Wir alle haben unsere Schwierigkeiten mit der Schule. Das ist nichts schlimmes."
Er schluckt sichtbar hart, aber sieht mich nicht an, sondern sogar weg.
"Wenn du willst..-" meine Worte gefrieren mit meinem Blick auf sein Handgelenk, dass ein wenig frei liegt von seinem schwarzen Hoodie und ich könnte schwören, Narben darauf zu sehen. Kurz kann ich die großen Augen nicht kontrollieren, doch fange mich schnell, weil es nicht das richtige wäre es jetzt anzusprechen. "Wenn du willst helfe ich dir hier und da. Ich kann mich bestimmt noch an einiges von damals erinnern und-" "Nein, will ich nicht." keift er plötzlich und sieht mich scharf an. "Ich brauche keine verdammte Hilfe. Können wir auch über was anderes als Schule reden?"

Erschrocken lehne ich mich zurück, während sein aggressiv wirkendes Gesicht auch wieder weicher wird. Es kommt schon oft vor, dass mein Bruder mich abweist und meckert, aber in diesem Moment hatte ich das nicht erwartet.
"Ja, wie wäre es mit Willows Studium? Wie läuft es denn bei dir?" fragt Mom plötzlich. Der gehässige Blick auf ihrem Gesicht lässt schon deuten, dass sie immer noch wütend auf meine Anmeldung am Stipendium ist.
Ich sammle mich noch einen Moment, bevor ich sie genauso gehässig zurück anlächle. "Perfekt. Ich habe neue Freunde und der Stoff läuft bei mir. Wenn es so weiter geht, schaffe ich meinen Abschluss mit Links!" übertreibe ich es noch und erlebe einen kleinen Triumph, als ich eine Wut über ihre Augen flitzen sehe.

Jedoch erinnert es mich auch an die Situation mit Bram, die nicht einmal einen Tag alt ist und werde wieder verunsichert. Gleichzeitig wird mein Gesicht rot vor Scham. Ich kann nicht glauben, dass wir schon fast soweit waren, in ein Zimmer zu gehen. Dabei merke ich, wie sich ein Druck auf meinem Unterleib bildet und ich Schwierigkeiten bekomme, ein ungewohntes Verlangen zu unterdrücken. Scheiße, das wird nie passieren!
"Du bist also immer noch der Überzeugung, uns im Stich zu lassen." brummt Mom verärgert und reißt mich aus meinen neuen Gedanken.
Einen Moment verankert sich mein Blick in ihrem brennenden und ich habe Mühe, die Wahrheit nicht einfach auszusprechen. "Ich lasse euch nicht im Stich. Es ist jediglich ein Wunsch von mir. Ich will so wie damals nicht weiterleben."

Es wäre ein Albtraum für mich, wie meine Mutter zu enden. In einem schlecht bezahlten Bürojob, in einer verwahrlosten Bude, für die ich keine Nerven mehr habe. Ich muss so schon aufpassen, keine Panikzustände zu bekommen, wenn ich nur daran denke pleite zu gehen.
Viel Kohle verdienen ist mein Hauptziel im Leben. Das und mein Umfeld harmonisch zu halten. Ich will nicht, wie sie, zu einem Nervenbündel werden, dass andere terrorisiert und sich nicht sieht. Jedoch ist es Jona, der urplötzlich aufsteht und ohne ein Wort zu sagen davongeht.
"Was ist denn mit deinem Essen?" rufe ich ihm noch hinterher, doch seine Antwort ist eine gepresste Agression mit den Worten: "Hab' keinen Hunger!" bevor er seine Zimmertür hinter sich zuknallen lässt.

Verletzt sehe ich wieder auf seinen Teller, der noch Halbvoll ist. War das wieder Teil seiner Pubertät oder etwas Anderes? Da schiebt sich Moms krächzendes Lachen in den Vordergrund und ich beobachte, wie sie einen Schluck ihres billigen Weines nimmt. "Du wirst diesem Leben niemals entkommen können, Süße. Du ziehst es nur in die Länge mit diesem unnötigen Studium und verschwendest nur Geld und Zeit. Du wirst nie zu etwas großem." brummt sie noch, bevor sie ihr Glas in einem Zug leert, als wäre es ihr einziger Trost.

Angespannt beobachte ich sie noch, bevor mein Blick zu meinem Teller geht, der nicht unbedingt geleerter ist, als der von Jona. Mein Hunger hat sich verabschiedet, durch die Wut, die sich in mir aufstaut.
Ohne weiteres schmeiße ich das Besteck auf meinen Teller und stehe genauso schnell auf, wie Jona, um aus dem Wohnzimmer in den Flur zu marschieren, direkt zu der Tür neben dem Eingang. Mein Zimmer ist wohl doch der einzige Ort auf dem ich mich aufhalten sollte.

I'll get youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt