Spatzen im Wind

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Die Haare zu einem Turban gebunden verlasse ich das dampfende Bad, dass kaum Platz für zwei zum stehen bietet und halte die Hand über der Brust. Die Dusche hat mich deutlich mehr zum Leben erwacht und auch die Tatsache realisieren lassen, dass Hunter wieder da ist.
Ich habe keine Ahnung, was jetzt passieren soll. Ich kann nicht einmal sagen, ob er noch der alte ist, aber bisher schien es ja so zu sein. Dennoch weiß ich nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Selbst die Sachen, die er mir zum umziehen gegeben hat, während meine blutigen und verdreckten gewaschen werden, fühlen sich eigenartig an mir an. Und das liegt nicht an ihrer Übergröße.
Tief durchatment sehe ich zur Wand gegenüber des Bads, wo sich die Haustür befindet. Inzwischen kommt fahles Licht durch den Spion und strahlt auf meinen Hals, doch ich vermeide den Drang, sie zu öffnen. Ich habe Hunter erst wiedergefunden. Ohne wenigstens einige Worte mit ihm gewechselt zu haben, will ich nicht von hier weg. Und ich will ihn auch nicht in Schwierigkeiten bringen.
Also fällt mein Blick kurz auf die letzte Tür zu meiner linken, die jedoch nichts offenbart und ich somit zurück in den Wohnbereich komme, wo Hunter am Herd steht.

Sein Rücken ist zu mir gerichtet, doch die Aura, die von ihm ausgeht, wirft mich zurück. Es ist die selbe von damals, so still und beruhigend, wie ein Schwarm Spatzen, die durch den weichen Wind balancieren, doch als ich mir sofort in Gedanken rufe, in welcher Situation wir uns nun befinden - er sich befindet - spüre ich Trauer über mich fließen, die mir die Mundwinkel runterzieht, während sich eine Schwere in meiner Brust bildet.

"Bist du fertig?" sieht er mich über die Schulter an, weshalb ich versuche, mich zusammenzureißen.
Für einen Typen, der die Nacht durchgemacht hat, wirkt er munter. Obwohl immer noch ein leichter Druck des Unwohls in der Luft hängt.
Ich nicke nur und lasse mich mit mulmigen Gefühl an einem der Holzstühle am Esstisch nieder.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich beobachtet, bis er sich an das Essen erinnert, dass er gerade brät und sich abwendet.
"Was machst du da?" versuche ich die Stille zu füllen.
Ein Grinsen wird mir kurz gewidmet. "Rüherei."
Mit einem warmen Gefühl in der Brust kommt mir das sanfte Lächeln automatisch. Noch damals, als ich in seltenen Fällen bei ihm übernachtet habe, hat er uns das immer gemacht. "Ich hoffe, dass es immer noch so gut ist, wie damals."
Er schnaubt. "Kann ich nicht versprechen. Ich koche noch kaum. Generell esse ich durch die Arbeit nicht viel."
Das sieht man an der schmalen Figur.
Wieder bedrückt lege ich die Hände zwischen die Schenkel und sehe weg. "Was...Was für Aufgaben musst du eigentlich genau für sie erledigen?"

Unischer sehe ich auf seinen Rücken, der sich mit einem Mal anspannt. "Recherschieren. Größtenteils." murmelt er leise und schaltet den Herd ab. "Ich bin soetwas, wie ihr Back-Up. Der, der die Pläne besorgt und Informationen zu den Personen heraussucht oder ihnen in einem Auftrag den Weg führt."
Nickend sehe ich weg. Es kommt mir dennoch surreal vor. "Weiß eigentlich deine Familie davon?" frage ich vorsichtig.

Mit zwei befüllten Tellern dreht er sich zu mir und mustert mich eingehend. "Nicht direkt, nein. Zwar macht es sie misstrauisch, dass ich seit einiger Zeit, immer mehr Zeit mit meinem Onkel verbringe, den sie insgeheim verachten, und sie wissen, was er ungefährt tut. Deshalb haben sie eine leichte Vorahnung von dem vermeidlich guten Job, den er mir angeboten hatte."
Verschlossen stellt er meine Portion vor mir ab und setzte sich dazu.

Mein Kopf ist komplett leer doch überfüllt zugleich. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, während ich meinen Teller betrachte und versuche das Rauschen in meinen Ohren hinunterzuschlucken.
Es ist eigenartig.
Es erinnert mich an die Situation mit Bram, wo ich immer den alten Charakter gesehen habe und ihn nicht richtig ernst nehmen konnte, als er mir seine dunkle Seite gezeigt hat. Ich konnte beide nicht mit der selben Person zusammenziehen. Kann ich manchmal immer noch nicht.
Und dasselbe geschieht jetzt mit Hunter.
Ehrfürchtig blicke ich zu ihm, doch er ist selbst in seinen Gedanken versunken. Mit dem schwachen Sonnenlicht kommen auch seine Augenringe hervor und die damals runden Wangen wirken eingefallen. Was ist nur über die Jahre mit ihm passiert?
Die Verzeiflung zieht an meinem Herzen, während ich ihn studiere. Ist es meine Schuld? Hätte ich ihn unterstützen können, sodass er nicht vom Weg abgekommen war? Ich hatte die Jahre gehofft, dass es ihm nichts angetan hat, sobald ich den Kontakt abgebrochen hatte, dass er sich auch ohne ein gebrochenes Mädchen weiter durchschlagen wird. Sogar besser, als mit meiner Anwesenheit. Aber vielleicht hatte ich ihn dadurch tatsächlich im Stich gelassen. Seine Familie liebte ihn, war aber nie eine große Hilfe. Vielleicht hätte ich doch eine Freundschaft aufbauen sollen, um ihn wenigstens unterstützen zu können, damit er erst nicht abrutscht, aber dafür ist es wohl zu spät.
"Kannst du jemals etwas anderes anfangen?" rutscht es mir heiser aus und unsere Blicke treffen sich. Niemand hat bisher sein Essen angefasst.
Kurz durchdringt mich sein Blick aufmerksam, doch sobald ich den schmerzenden Funken in seinen Augen sehe, brauche ich nicht einmal das darauf folgende Kopfschütteln, um zu verstehen und die Augen betroffen zu schließen.
Es muss doch was zu tun sein.
"Lass uns bitte nicht mehr darüber reden, okay? Ich habe dich hierher bestellt, damit du so wenig von der Sache mitbekommst, wie nur möglich und-.." sein Blick wird fester, sowie das Aufeinanderpressen seiner Lippen, "Und damit wir wieder ein wenig reden können. Auf den neusten Stand kommen. So wie damals."

I'll get youWhere stories live. Discover now