jung und dumm

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Es ist darauf die knochige Silhouette meiner Mutter in der Eingangstür zu sehen, als ich in den Flur trete. Schon fast verstohlen schließt sie die Tür hinter sich und ich stemme die Fäuste in die Hüften. "Hallo, Mom." kommt es etwas schroff von mir und sie dreht sich ertappt zu mir.
Doch überspielt es schnell mit einem falschen Lächeln und senkt die Tasche auf den kleinen Schrank im Flur. "Aah, da ist ja unsere Studierende. Ich wusste doch, dass du jeden Moment Zuhause sein müsstest."

Achtlos kickt sie die Schuhe zur Seite und tritt ein - nicht ohne ihre Tasche verdächtig beschützerisch zu krallen.
"Und doch bist du losgezogen, statt mich zu begrüßen. Was hast du denn gemacht?"
Sie stockt etwas und ich kann sehen, wie es verräterisch hinter ihrer Stirn arbeitet. "Ich..war nur schnell was bei der Post abgeben."
Damit geht sie vorbei an mir ins Wohnzimmer und flüchtet in ihr Zimmer. Ich kann nicht glauben, dass sie mich anlügt. Meine Augen zu Schlitzen folgt ihr mein Blick. "Ach ja? Gib's doch zu! Ich weiß, wo du warst. Dir waren Drogen lieber, als mich entgegen zu nehmen?"

Genervt stöhnt sie. "Willow, du brauchst kein Begrüßungskomitee. Es ist schön, dich wieder hier zu sehen, aber es ist nicht nötig Tee und Kuchen vorzubereiten, nur, weil du kurz nach Hause gekommen bist."
Ungläubig schnaufe ich und kann das sarkastische Lächeln nicht unterdrücken, während sie etwas in ihrem Zimmer verstaut. "Aber es wäre schön, wenn ihr sowas für mich mal gemacht hättet."
"So viel Geld haben wir nun auch wieder nicht." zischt sie aus dem Zimmer und sieht mich durch die offene Tür an.
"Wenn du das Geld für deine Tütchen nicht nur so zum Fenster rausschmeißen würdest, hätten wir es! Was ist es diesmal, he? Wieder das gute alte Extasy? Nicht einmal die Wohnung sauber halten kannst du."
"Ich bin schon genug mit der Arbeit beschäftigt, Willow." bebt sie zu ihrem scharfen Blick, "Da habe ich keine Lust, auch noch das zu machen. Wie oft noch?"

Kopfschüttelnd sehe ich sie an. Das sagt sie immer und doch kommt es mir vor, als hätte sie den Großteil ihres Lebens auf der Couch verbracht. "Hör' auf, dir etwas vorzumachen. Wir alle wissen, dass es nicht so ist. Ich kann nicht glauben, dass du immer noch so verantwortungslos bist. Oh, warte. Doch! Das habe ich schon nicht anders erwartet!"
Sie baut sich dampfend auf und geht mit erhobenen Finger einige Schritte auf mich zu. "Wage es nicht, so mit mir zu reden! Ich trage keine Schuld an unserem Zustand und tue mein Bestes. Du bist noch jung und dumm. Du weißt nicht, wie es ist, Kinder zu haben!"
"Ooh, jung und dumm. Verstehe. Nur falls du es vergessen hast: Ich werde diesen Sommer 21. Aber wie schon oft, wirst du es vergessen. Stimmt's? Genauso, wie du wohl vergessen hast, dass du Jona letztens schwerwiegend unter Drogen mit der Pfanne auf den Kopf geschlagen hast!" Die Wut von unserem letzten Streit ist wieder da, obwohl ich dachte, sie wäre verebbt.
"Das war ein Versehen!" wackelt ihre Stimme vor Wut bei ihrer mikrigen Rechtfertigung, aber diesmal werde ich mich nicht von ihr unterdrücken lassen. Das hat sie all die Jahre vielleicht geschafft, aber im College hatte ich genug Zeit zum nachdenken und aufbauen.
"Genauso sehr, wie es damals bei mir ein Versehen war? Nur, dass es dein schrottiger Laptop war, den du nach mir geschmissen hast?" brülle ich schon fast.
"Das ist schon ewig her, Willow!"
"Ich war 7! Das macht es noch lange nicht ungeschehen." Ich will schon die vielen anderen Male endlich ansprechen, mit denen sie mein Leben über die Jahre Stück für Stück versaut hat, doch Jonas Stimme hält mich ab. "Hört endlich auf zu streiten!" Beide sehen wir zu dem 17 Jährigen, dessen Augen nicht die Art von Leichtsinn spiegeln, die man in seinem Alter eigentlich erwartet. Seine Augen schreien stumm, während sie uns abwechselnd durchlöchern, und sprühen einen Schmerz aus, der mich verstummen lässt. Das ist nicht sein typisches Ich. Normalerweise nehme ich ihn nicht ernst, aber auf die Weise, wie er uns gerade anssieht, hege ich Bedenken gegen mein Verhalten zu eröffnen. "Könnt ihr endlich mal ohne? Einfach ruhig sein und euch normal verhalten?" fragt er kleinlaut und ich sehe weg. Ich muss mir schon auf die Unterlippe beißen, um nicht noch einen der Kommentare zu äußern, die die Tyrannei meiner Mutter verdeutlichen wollen. Aber ich schaffe es, sie nach kurzem Kampf so hinunterzuschlucken, wie ich es auch sonst immer gemacht habe.

Tief durchatmend sehe ich wieder zu meiner Mutter, die diese Situation wohl nicht einmal zu verstehen scheint. Sie sieht Jona einfach nur mit verzerrtem Gesicht an und scheint, als wäre ihr Kopf soeben in einem tiefen Nebel, den sie schon seit meinem Kindesalter besitzt. "Ich habe den Tisch gesäubert. Ich hoffe, der bleibt so, denn ich werde uns heute Abend was zu essen kochen, damit wir gemeinsam, darauf essen." fahre ich deutlich leiser und krächzend fort.
Ihre leeren Augen wandern nur nachlässig zu mir, bevor sie mit gefalteter Stirn die Augen zusammenkneift und den Kopf leicht schüttelt. Worte verlassen ihren Mund nicht, sonder sie winkt einfach nur ab, als wären wir lästige Dinger, und haut in ihr Zimmer ab.

Etwas fängt an in mir zu kochen, doch ich schlucke es schnell weg und sehe nur noch mit an, wie Jona auch schon in seinem Zimmer verschwindet, ohne mich nochmal anzusehen.
Erschöpft atme ich aus und schmeiße den dreckigen Lappen auf den Tisch. Ist ja ganz, wie in alten Zeiten.. Und was ich kochen soll, weiß ich auch nicht, denn wie ich später erfahre, ist der Kühlschrank kaum befüllt. Aber etwas anderes habe ich nicht erwartet. Jona hat deswegen dieselbe dürre Figur, wie ich zu meiner Teeniezeit.
Wie er damit zurecht kommt weiß ich nicht, aber mein Gewicht hat sich durch die vielen kalorienreichen Produkte in meiner Collegezeit normalisiert. Wofür ich dankbar bin.

I'll get youWhere stories live. Discover now