I Still Do

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Alles in mir kommt zum Stillstand, dafür spüre ich, wie jede einzelne meiner Zellen versucht sich von mir abzudrücken.
Es ist ein kalter Schauer, der mich wieder belebt und ich öffne überstürzt die Lippen, doch kann nichts sagen. Der Kloß in meinem Hals lässt es nicht zu, da ich so schockiert bin.
Ich bin sprachlos.
Dafür reagiert mein Körper. Langsam fange ich an den Kopf zu schütteln und stütze mich auf den Händen ab, um weiter von ihm wegzurücken, während ich ihn ungläubig anstarre.
"Nein, das kann nicht sein." flüstere ich heiser, was ihn unter dem trostlosen Lächeln die Lippen zusammenpressen lässt.
Er kann es nicht sein. Nicht Hunter. Nicht mein Freund, den ich mit 17 hatte, den ich selbst von mir weggestoßen habe. Der Junge, der so sanft und verständnisvoll war und keinem ein Haar krümmen konnte. Er konnte nicht mit einer solchen Sache verbunden sein.
"Doch, leider schon." krächzt er leise und legt den Kopf minimal schief. Dabei schiebt sich die Kapuze ein wenig zurück, dass ich die dunkelblonden Haare erkenne.

Verdammt, wie. Hunter. Wieder schüttle ich unbewusst den Kopf.
Seine Augen, seine blass blauen Augen werfen mich in die Zeit zurück, in der wir so oft einfach im Park saßen und bis in die Nacht geredet hatten. Mit dem ich mich so wohlfühlte, wie mit keinem zu der Zeit. Seine beruhigende Ausstrahlung hat sich immer noch nicht verändert, genauso, wie die sanften Gesichtzüge, die zu einem so schönen Lächeln werden konnten, dass alle Sorgen der Welt einfach vergessen wurden.
"Ich hoffe, es war nicht falsch ihnen vorzuschlagen, dass ich auf dich aufpasse." redet er, während ich versuche die Situation zu realisieren.
Nach all den Jahren, in denen ich mich gewundert habe, wo er ist, wie es ihm geht, sitzt er jetzt vor mir. Direkt vor mir. Aber ich kann es immer noch nicht fassen.

Ohne darüber nachzudenken, ob es falsch sein könnte, strecke ich die Hand zittrig nach ihm aus, nur um mit dem Finger leicht über seine Wange zu streichen, als würde ich die Bestätigung brauchen, dass er real ist.
Aber ich verliere den Verstand nicht. Er ist wirklich hier.
Stockend entferne ich die Hand, während er mich immer noch beobachtet. "Was machst du hier?" frage ich schockiert, doch meine Stimme kommt nur leise hervor.
Sein Lächeln wird noch trauriger, als zuvor. "Ich arbeite für sie."
Erstarrend versuche ich dem Glauben zu schenken. "Aber wie kann das sein? D-Du-..Du wolltest studieren! Was ist aus dem Wunsch Informatiker zu werden geworden? Das sieht dir gar nicht ähnlich!" verliere ich hier und da die Stimme.
Als würde er es nicht aushalten sieht er runter, ohne das Lächeln zu verlieren. "Das war ich auch, aber es lief nicht gut. Du hast mich-..." bricht er ab, als wäre er im Inbegriff etwas verbotenes  auszusprechen und sieht auf, "Ich bin schon im ersten Jahr dauerhaft durchgefallen und konnte mich nirgends zurechtfinden."
Schon fast verstört verziehe ich das Gesicht. Dabei war er derjenige, der immer gute Noten geschrieben hat und von allen der Anständigste war. Er hat sich nicht einmal auf meine Freunde damals eingelassen, die dauerhaft nur an Sex, Alkohol und niederträchtigen Tätigkeiten denken konnten. Er hat sich von solchen Dingen immer ferngehalten. "Aber wie kann es sein, dass du dann bei denen landest?"
Blinzelnd sieht er zum Fenster, als müsste er sich zusammenreißen und atmet tief durch.
"Mein Onkel hat mich darauf gebracht."
"Du hast ihn gehasst!" falle ich ihm ins Wort, weil durch meine Erschütterung auch langsam Wut aufkommt. Er hatte sich immer über dessen herzlose und selbstverliebte Art beschwert. Gesagt, wie er nie wirklich in seiner Nähe sein wollte, weil er seiner Familie gegenüber ein Arsch war. Ich brauchte ihn nicht einmal kennenzulernen, um den selben Hass gegenüber diesem Mann zu entwickeln.
"Schon, aber er meinte, er könnte mir einen Job im IT-Bereich besorgen, der mich gut über Wasser halten würde. Also hat er mich dieser Gruppe beigefügt."
"Aber wieso? Die sind niederträchtig und machen illegale Sache."
Er zuckt die Schultern. "Ich hatte keine Wahl. Ich hatte keine Hoffnung mehr auf etwas anderes und war verloren. Niemand wollte mich und ich konnte mich auch auf nichts konzentrieren. Selbst meine Familie wurde mit immer weiter vergehender Zeit enttäuschter von mir."

Vielsagend richten sich seine Augen wieder auf mich. Doch ich kann nichts sagen. Ich kann ihn lediglich nur mit offenem Mund anstarren.
"Aber es ist halb so schlimm. Ich komme gut klar und darf die ganze technische Arbeit erledigen, so wie ich es immer wollte."
"Es ist nicht so, wie du es wolltest." patze ich enttäuscht.
Wieder presst er die Lippen aneinander. "Vielleicht, aber daran ist nichts zu ändern. Es ist etwas." versucht er es schön zu reden. Aber wir wissen beide, dass es nicht so klasse ist. Er kann mich nicht täuschen. "Aber, hey. So haben wir uns nach all den Jahren endlich wiedergefunden. Das ist doch gut, oder?" Er drückt es aus, als bräuchte er meine Bestätigung darauf, aber ich bin immer noch zu sprachlos, um ihm diese Last zu nehmen.

Schon fast verletzt richte ich mich auf die Knie und umarme ihn einfach fest, um ihn wenigstens irgendwie zu trösten. Der Hunter aus meiner Zeit hätte einen solchen Weg niemals gehen wollen. Er wollte nie gesetzlose Dinge tun und hatte schon damals die Meinung fest vertreten, dass er ein ehrlicher Mann werden will, der sich von den anderen abhebt und ein friedliches Leben leben wird. Ich kann nicht fassen, dass dieser Mensch zu dem heute geworden ist.

Ich kann nicht einmal richtig atmen, weil so viele Gefühle auf einmal auf mich einpreschen, doch ich versuche sie für ihn zurück zu halten, während ich spüre, wie er die Arme zuerst schwach um mich schließt, bevor er mich fester an sich zieht, als würde er Halt brauchen. Halt, den er wohl schon lange nicht mehr gespürt hatte.

I'll get youWhere stories live. Discover now