90. Kapitel

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90. Kapitel

Ein Theater des Grauens spielt sich vor meinen Augen ab. Es wird geschrien und geschossen, sodass ich panisch fest meine Augen schließe - als ob mich das in Sicherheit bringen würde. Plötzlich durchzieht meine Seite ein stechender Schmerz und sofort öffne ich meine Augen, um auf die schmerzende Stelle zu sehen. 

Mein weißes Shirt nimmt an dieser Stelle eine dunkelrote Farbe an und mit jeder Sekunde wird der Schmerz stärker. Ich weiß nicht, was um mich geschieht, meine Sicht wird verschwommen. Jeder Sinn in meinem Körper schaltet auf Durchzug und ich habe das Gefühl, dass nicht nur mein Körper, sondern auch mein Geist taub wird.

Lautes Gebrüll dröhnt durch meine Ohren, doch ich schaffe es kaum meine Augen offen zu halten. Alles bricht in sich zusammen und ich werde von kompletter Dunkelheit umhüllt.

Ich merke, wie ich das Bewusstsein wieder erlange. Ich versuche meine Augen zu öffnen. "Grace, bitte wach auf!" Ich nehme eine Stimme wahr - jedoch nur verzerrt. Die Geräusche im Hintergrund sind leise. Menschen reden wirr miteinander und ich kann keinen einzigen Laut identifizieren. In diesem Moment scheint mein Gedächtnis wie ausgelöscht, ich weiß gar nichts mehr. Nicht einmal mein Name will mir einfallen, als hätte mir jemand all meine Erinnerungen genommen. 

Ich spüre immer noch diesen heftigen Schmerz in meiner Seite. Als nächstes drückt mir jemand auf diese Stelle, was nur noch unangenehmer für mich ist. Ich will brüllen, doch der Schrei bleibt in meiner Kehle stecken. Er ist staubtrocken - vergleichbar mit der Wüste der Sahara. Mein gesamter Körper ist taub, doch als eine Person ihre Hand auf meine legt, spüre ich das umso intensiver. Diese Hand ist warm und sie zittert leicht, ich verbinde etwas Vertrautes mit dieser besagten Hand. 

"Du musst durchhalten!", ruft die gleiche Stimme. Ich will unbedingt wissen, welche Person mir die ganze Zeit diese Sachen zuruft, doch mir fehlt die Kraft, mich zu bewegen. Es dauert nicht lange, bis ich erneut nur noch mehr die kalte Dunkelheit um mich herum wahrnehmen kann. 

Ich fühle mich leicht. Frei von Sorgen. Befreit. Einsam. Ich öffne meine Augen und schrecke zurück, als ich der Person, die vor mir steht, in die Augen schaue. Ein warmes Lächeln ziert sein Gesicht, als er mich ansieht. "Robin?" Fassungslos stehe ich vor meinem ehemaligen Stiefvater. "Was machst du hier?" Es ist surreal, dass er vor mir steht. Ich habe ihn so viele Jahre nicht mehr gesehen und jetzt stehe ich ihm gegenüber. 

Erst jetzt inspiziere ich unsere Umgebung. Es ist schlicht und einfach weiß. Keine Möbel, keine Gegenstände, keine Wände - es ist fast so, als ob wir im Jenseits gelandet wären. 

"Du musst jetzt auf mich hören", meint er mit sanfter Stimme. "Kehre zurück. Tue es für deine Mutter, tue es für Noah. Tue es für Harry." Was meint er damit, dass ich zurückkehren soll? Ich weiß nicht, was hier gerade passiert. "Was meinst du? Wo bin ich?", schreie ich, doch da verschwindet er vor meinen Augen und erneut wird wieder alles dunkel. Wieder bin ich alleine. 

Im nächsten Moment erlange ich wieder mein Bewusstsein, doch meine Glieder fühlen sich schwer an. Besonders meine Augenlider fühlen sich so an, als ob ein Gewicht an ihnen hängen würde, was mir jegliches Öffnen verbietet.

Mein Kopf pocht. Wie spät ist es? Ich habe kein Zeitgefühl mehr. Diese Begegnung mit Robin - war das ein Zeichen dafür, dass ich nun tot bin? Ich krame in meinem Gehirn herum und es kommen nach und nach einzelne Bilder zurück. Bilder, die mir den Atem stocken lassen. Das letzte woran ich mich erinnere, ist ein grünes Augenpaar, das mir tief in die Augen geblickt hatte. Danach hören meine Erinnerungen auf. 

Nach und nach funktionieren meine Sinne wieder und ich nehme ein Schluchzen neben mir wahr.

Mein Gehörsinn funktioniert wieder.

Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now