79. Kapitel

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79. Kapitel

"Lily, du hast alles verstanden?" Ich verdecke die Minikamera leicht und begutachte, ob auch wirklich nichts heraussticht. "Verstanden ja, ob ich bereit bin? Nein!" Sie tritt von einem Fuß auf den anderen, es ist ganz klar zu sehen, dass sie nervös ist.

"Das packst du schon! Wenn es brenzlig wird, greifen wir ein. Wenn wir die Beweise auf Band haben, rufen wir die Polizei und dann hast du die Sicherheit, dass er für seine Taten bestraft wird. Bleib ruhig und verliere deine Nerven nicht. " Ich drücke sie in Richtung Tür und beobachte sie von meinem Auto aus.

Selbst aus 30 Metern Entfernung kann ich ihre Knie zittern sehen, aber an ihrer Stelle würde es mir nicht anders ergehen. Zaghaft drückt sie ihren Finger auf die Klingel und keine fünf Sekunden später öffnet Tim die Tür. Diesmal wird mir bei seinem Anblick wirklich schlecht, sodass ich mich beherrschen muss, nicht gleich loszukotzen. Meine Abneigung ihm gegenüber ist größer als Harrys Ego - was ziemlich schwer zum Übertreffen ist.

"Wie sehr ich diesem Typen eine verpassen will!", knurrt er neben mir und verfolgt mit gerunzelter Stirn das Geschehen. Mir geht es nicht anders - nein überhaupt nicht. Am liebsten würde ich ihm den Kopf abreißen und in den nächsten Fluss werfen, damit ich ihm auch nie wieder in die Augen sehen muss, doch meine Mordgedanken werden von Harry unterbrochen. "Sie ist drinnen, schalt das Tablet ein!"

Wir haben sie mit einer Kamera und einem Mikrofon ausgestattet, wo wir auf einem Tablet alles live mitverfolgen können, was in diesem Haus passiert. Das Bild ist anfangs ziemlich verwackelt, doch ihre Stimmen sind klar zu hören. "Hast du das Geld?", fragt er mit harscher Stimme und Lily legt ihm zitternd das Geldbündel in die Hand. "Das wars? Du wirst immer schlechter, du sollst es den Männern richtig geben, dann würden sie dir auch mehr Geld geben, oder willst du, dass ich diese Nacktbilder online poste?"

"Ich- Tim, ich kann es nicht besser. Ich kriege nachts Alpträume von diesen Männern, ich kann nicht mehr beruhigt schlafen, es geht wirklich nicht besser." Lilys Stimme zittert unkontrollierbar, dass ich am liebsten aus dem Auto springen und das Haus stürmen will, um ihm augenblicklich den Hals umzudrehen.

"Das interessiert mich nicht. Du bist bloß eine kleine Schlampe, die für mich anschaffen geht, mehr nicht. Deine Probleme interessieren mich einen Dreck!" Das sind genug Beweise. "Das ist genug, ich ruf die Polizei!" Ich greife nach meinem Handy und wähle die Nummer, um Hilfe zu holen. "Hey, was ist das?" Tims Stimme erhebt sich schnell, als er plötzlich in Lilys Schal greift. "Ist das eine verfickte Kamera? Hast du das alles mitgefilmt?" Gewalttätig greift er nach Lily und ein Klatschen ist zu hören, worauf ein ohrenbetäubendes Kreischen folgt. "Du miese kleine Verräterin!", schreit er und sie fliegt zu Boden.

"Harry, wir müssen etwas tun!" Ich gerate in Panik, wir sind aufgeflogen. Es geschieht alles in Zeitlupe, als wir aus dem Auto springen und ins Haus rennen. Sekunden vergehen, als Harry sich gegen die Tür stürzt, um diese aufzubrechen. Ein Bild des Grauens zeigt sich, als wir im Vorzimmer stehen. Lily liegt weinend auf dem Boden, ihre Wange rot von dem Schlag. Tim holt schon zum nächsten Schlag aus, als Harry sich auf ihn stürzt und ihn am Kragen packt. "Man schlägt keine Frauen, du Bastard!", schreit er. Er schreit, als würden seine Stimmbänder gleich reißen.

Ich hocke mich zu Lily und ziehe sie an den Schultern zu mir. "Es ist ok, Hilfe ist unterwegs, es ist vorbei!" Ich wippe sie in meinen Armen hin und her, versuche sie zu beruhigen. Es ist der Schock und der Schmerz. Ein aufwühlendes Gefühl, das dazu verleitet, dass auch mir Tränen in die Augen schießen. Sie hatte so gelitten.

"Was macht ihr hier?" Eine Mischung aus Überraschung und Angst spiegelt sich in Tims Augen wieder, als Harry ihn gegen die Wand drückt und ihm beinahe die Kehle zuschnürt. "Du wirst dafür bezahlen! Wir wissen alles!", schreie ich ihn an und kann meinen Gefühlsausbruch kaum kontrollieren.

Kurz darauf sind schon Sirenen zu hören und mehrere Beamte stürmen das Haus. "Das ist er! Er hat sie geschlagen!", weine ich und zeige mit meinem Finger auf Tim, der schon beinahe blau anläuft. Er hat es verdient, zu leiden. "Sir, treten Sie zurück, wir kümmern uns jetzt darum!", bittet ein Polizist Harry und ich kann sehen, dass Harry ihn eher umbringen als loslassen würde, aber schlussendlich lässt er ihn los, damit die Beamten Tim Handschellen um die Handgelenke legen können.

"Brauchen Sie einen Arzt?" Der kleinere Polizeibeamte sieht besorgt zu Lily, doch sie schüttelt nur schluchzend ihren Kopf. "Dann würde ich Sie bitten, uns hinterher zu fahren um eine Aussage zu machen!" Ich nicke bestätigend und helfe Lily auf. Sie zittert am gesamten Körper und wenn ich es nicht besser wüsste, würde sie ohne meinem Halt zusammenklappen. "Wir haben es geschafft, du brauchst keine Angst haben! Du musst ihn nie wiedersehen!" Mit ihr im Arm verlasse ich das Haus und führe sie langsam zu meinem Auto, wo ich sie auf den Hintersitz setze. "Wir fahren jetzt zur Polizei. Ich weiß, wie schwer es für dich ist, aber du musst ihnen erzählen, was er mit dir gemacht hat, nur so können wir ihn ans Messer liefern. Wir haben die Beweise und können dir garantieren, dass alles vorbei ist!"

Langsam nickt sie und ich setze mich auf den Fahrersitz. "Wenn die Polizei später gekommen wäre, hätte ich dem Typen wahrscheinlich das Gehirn rausgeprügelt!", schnauft Harry, als er sich neben mich auf den Beifahrersitz fallen lässt. "Ich hätte nichts dagegen gehabt, aber ich denke, dass er mehr leidet, wenn er im Knast sitzt", erwidere ich und fahre dem Streifenwagen zur Polizeistation hinterher. Das werden jetzt schwierige Stunden für Lily.

Lily sitzt nun schon seit mehreren Stunden im Verhörsaal und ich darf nicht dabei sein. Ich wäre gerne ihre Stütze gewesen. "Hier!" Harry überreicht mir einen heißen Tee, während er sich neben mich setzt. Dankend sehe ich ihn an und nippe an dem Heißgetränk. "Du siehst ziemlich erschöpft aus!" Sanft streichelt er mir durchs Haar, während ich ihn mit müden Augen ansehe. "Das war einfach zu viel. Keiner will sehen, dass deine beste Freundin leidet!" Er nickt mir zustimmend zu, er weiß, was für Qualen das für mich sind.

"Das wichtigste ist, dass es vorbei ist. Ich habe einem Kollegen die Videoaufnahmen übergeben und sie werden gerade ausgewertet", informiert er mich und nun nicke ich. "Sie haben meine Aussage auch schon aufgenommen, ich denke, dass sie dich auch noch fragen werden!" Bei dem Gedanken, dass ich das Erlebte noch einmal erzählen muss, bildet sich ein Kloß in meinem Hals. "Baby", holt er mich aus den Gedanken und legt seine Hand um meinen Nacken, den er krault. "Es ist für deine beste Freundin!", wiederholt er.

"Ich weiß", seufze ich und male kleine Kreise auf seinen Oberschenkel. Es wird schwierig.

Danke an meine liebe Freundin articulateme für das Edit! Ich liebe es! 

Infinity |H. S.|Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα