3. Kapitel

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3. Kapitel

Erfahrung ist eine nützliche Sache. Leider macht man sie immer erst kurz nachdem man sie brauchte. - Johann Wolfgang von Goethe

Dieser Spruch von Goethe ist einer meiner Lieblingszitate von ihm. Er war ein weiser Dichter, der es schaffte, die Gedanken, die in einem Menschen vorgehen, in Worte widerzuspiegeln.

Ich habe mich heute wieder einmal mit meinen Schlabberklamotten ins Bett geworfen und zwar mit meinem Laptop auf meinem Schoß und einem heißen Tee. Es gibt nichts Schöneres als sowas bei so einem miesen Wetter zu machen.

Ich rücke meine Lesebrille zurecht und schreibe meine Gedanken zum heutigen Tag nieder. Meine Mama meint, dass sei gut, um deinen Geist von negativen Gefühle zu befreien. Wie eine Beichte, nur, dass du es keiner Person erzählst, sondern dass es elektronisch aufgehoben wird. Egal, wie dumm die kleinen Dinge sind, die du aufschreibst, niemand wird darüber lachen.

Schreiben ist die beste Medizin für mich, wenn mich etwas bedrückt, ich fühle mich einfach besser. Mein Handy, das neben mir liegt, vibriert auf und meine Augen wandern zum Display. Mama.

Ich greife danach und nehme ihren Anruf entgegen. Ich vermisse sie schrecklich.

"Mama." Ein Lächeln bildet sich auf meine Lippen.

"Schatz." An ihrer Stimme merke ich, dass sie sich freut, meine Stimme zu hören. Mindestens genauso viel, wie ich mich darüber freue, ihre zu hören.

"Wie geht es dir denn? Alles gut an der Uni?" Bei solchen Telefonaten merke ich, wie sehr ich sie vermisse. Ich vermisse Brighton generell oft, obwohl London eine tolle Stadt ist. Doch das Familiäre fehlt mir hier.

"Alles super und bei euch? Ist alles gut?", stelle ich ihr die Gegenfrage und spiele mit dem Saum meines T-Shirts.

Plötzlich höre ich ein lautes Klirren im Hintergrund, woraufhin ein Fluchen folgt.

"Bis auf die Tatsache, dass dein Bruder gleich Ärger kriegt, weil er mein Lieblingsporzellan kaputtgemacht hat, ist bei uns auch alles in Ordnung." In ihrer Stimme liegt etwas Genervtes. "Hat Noah wieder mal dein Porzellan hingemacht?", lache ich und muss daran denken, wie er ungeschickt versucht, das teure Gut auf seinen Händen zu balancieren. "Schon das zweite Mal in drei Wochen" lacht sie nun und hält kurz inne.

"Ich vermisse dich", sagen wir beide gleichzeitig und lachen auf. Wie die Mutter so die Tochter.

"Wann kommst du uns denn wieder besuchen?" Ich überlege kurz. "Hm, wir sind ja mitten im Semester, aber ich versuche mein Bestes, euch bald wie möglich zu besuchen", verspreche ich höre plötzlich ein lautes Poltern. Lily kommt, besser gesagt, stürzt ins Zimmer hinein und lacht einfach ohne Grund.

"Ist alles in Ordnung bei dir? Was war das für ein Geräusch?" Ich höre die Besorgnis in ihrer Stimme. "Lily", kichere ich augenverdrehend, woraufhin sie lachend einstimmt. "Ist sie schon wieder betrunken?" Meine Mum kennt Lily und weiß genau, wie sie drauf ist.

"Anders kann ich mir ihr Verhalten nicht erklären", stimme ich ihr zu. "Ich sollte auflegen und Lily helfen, bevor sie noch etwas Unüberlegtes macht."

"Alles klar, Liebes. Melde dich, wenn du etwas brauchst ja? Ich hab dich lieb."

"Mache ich. Ich dich auch." Ich lege auf und stehe auf, um Lily aufzuhelfen, die hilflos auf dem Boden liegt. "Man, du riechst schlimmer als die Würstchen von der Cafeteria-Tussi", stelle ich entsetzt fest und schmeiße sie sanft auf ihr Bett.

"H-a-ast d-u gesagt, dass i-ich stinke?" Sie beginnt zu schmollen und es bilden sich Tränen in ihren Augen. Oh Gott, was hat sie bitte getrunken?

"Du hasst mi-ch!", schluchzt sie und fängt an zu heulen. Das hat mir noch gefehlt.

"Nein Lily, ich hasse dich nicht. Zieh dich bitte um, dann riechst du tausendmal besser als die Würstchen."

Es ist amüsant, betrunkene Leute zu sehen. Sie machen sich komplett zum Affen und können sich nicht mehr erinnern, wenn sie nüchtern sind. So, wie bei der Klassenfahrt vor drei Jahren. Wir waren in Berlin und einige aus meiner damaligen Klasse, haben sich so sehr betrunken, sodass sie einige pikante Geheimnisse ausgeplaudert haben. Ich möchte mich niemals in so einer Lage befinden müssen, muss sicherlich unangenehm sein, wenn die peinlichsten Geheimnisse ausgeplaudert werden und dann noch von einem selber.

"Denkst du echt, dass ich dann besser als die Würstchen riechen werde?" Ihre Augen werden groß und strahlen pure Freude aus. Süß.

"Auf jeden Fall", lächle ich und schmeiße ihre irgendwelche Sachen aus ihrem Schrank zu. "Gott, ich werde jetzt gut riechen", freut sie sich und zieht sich um, während ich mir einen Messie-Dutt mache. Es ist erst 23 Uhr und sie kommt jetzt schon besoffen an? Gute Leistung, Lily. Wirklich.

"Dann hast du geheult, weil ich dir gesagt habe, dass du schlimmer als die Würstchen von Ms. Hell stinkst", erzähle ich Lily amüsiert beim Mittagessen. "Nein, habe ich nicht." Sie hält sich beschämend die Hände vors Gesicht, um ihren Scham zu verbergen.

"Und wie du hast", schmunzle ich und beiße von meinem Apfel ab.

"Ach findest du wirklich, dass meine Würstchen so stinken? Dann hole dir doch etwas von dem Supermarkt, der vor Kurzem aufgemacht hat", meldet sich plötzlich eine tiefe Frauenstimme, der ich nur einer Person zuordnen kann. Dem Teufel persönlich. Ms. Hell.

Ich schlucke schwer. "So habe ich das doch nicht gemeint, ich wollte doch nur ...", fange ich an, werde aber abrupt unterbrochen. "Spar dir dein Gerede", blockt sie mich mit einer Handbewegung ab und marschiert wieder zu ihrem Platz hinter dem Tresen. Jetzt bin ich diejenige, deren Kopf knallrot anfärbt und am liebsten im Erdboden versinken würde.

Lily versucht sich einen herben Lachanfall zu verkneifen, was sich deutlich durch ihr errötetes Gesicht und ihren schweren Atem zeigt. "Sag jetzt ja nichts", bitte ich sie peinlich berührt und esse mein Gericht weiter.

"Ms. Hell meinte doch, dass ein Supermarkt in der Nähe aufgemacht hat. Wollen wir später vorbeischauen? Ist doch super, dass wir endlich einen in unserer Nähe haben, sonst mussten wir ja immer in die Stadt hineinfahren", kommt es von Lily und ich überlege kurz. Wieso nicht? Wenn schon einer eröffnet hat, dann sollten wir ihn uns einmal anschauen.

Er ist tatsächlich nur wenige Gehminuten vom Campus entfernt und sieht recht einladend aus. "Ich gehe einmal zum Alkohol, ja?", informiert mich Lily und ich lache leicht. War ja so klar.

Währenddessen schlendere ich durch den Supermarkt und muss zugeben, dass er echt gut ist. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt.

Plötzlich knalle ich mit voller Wucht gegen eine breite Person.

Wer diese breite Person wohl sein mag?

Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now