20. Kapitel

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20. Kapitel

Die Fahrt endet in einer menschenleeren Gegend, wo uns erst einmal nur Bäume umgeben.

"Wo sind wir bitte?" Ich konzentriere mich darauf, herauszufinden, wo wir sein könnten, doch mein mangelhaftes Wissen über die Plätze Londons lässt mich unwissend.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schlendert er voraus und ich stolpere ihm hinterher, um mit ihm Schritt halten zu können. Wenn man so lange Beine wie Harry hat, ist es für einen Zwerg, wie mich, schwierig mitzuhalten.

Der Weg führt durch den dichten Wald und mit jedem Schritt, den ich gehe, wird es frischer. Wie sehr ich diese Kälte hasse.

Er bleibt abrupt vor mir stehen, sodass ich gegen seinen muskulösen Rücken knalle. Ich reibe mir über die Stirn und will ihn gerade dafür anmachen, doch mein Atem stockt, als ich den Grund sehe, warum Harry mich hier her gebracht hatte.

Es ist schon dunkler geworden, wo der glitzernde See vor uns besonders magisch aussieht. Keiner ist da außer wir beide.

"Schön, huh?", flüstert er und ich nicke zustimmend. "Bist du öfter hier?", frage ich an werfe ihm einen Seitenblick zu.

"Nur, wenn ich Zeit dazu finde."

Dann stehen wir eine Zeit lang still schweigend nebeneinander und sagen kein Wort. Ich lasse die Wirkung des Sees auf mich einwirken. Irgendwie beruhigt mich dieser Anblick.

"Wenn ich das Gefühl habe, dass mir alles zu viel wird, fahre ich oft hier her oder in den Park, wo wir uns getroffen haben", erklärt er weiter und setzt sich auf den Boden, der schneebedeckt ist.

"Dir ist schon bewusst, dass auf dem Boden Schnee liegt und deine Sachen durchnässt, oder?" Ich zeige auf seine Hose. "Mein Mantel ist lang genug, damit ich mich draufsetzen kann", lächelt er. "Willst dich auch nicht setzen? Wenn man zu lange steht, können einem die Füße wehtun."

"Ich habe leider keinen langen Mantel, auf den ich mich draufsetzen kann und auf eine Blasenentzündung habe ich wenig Lust." Er scheint wohl kurz zu überlegen.

"Dann setz dich doch auf mich, dann wird dein hübscher Hintern auch nicht nass." Hat er mir das gerade wirklich angeboten?

"Komm einfach her", lacht er, als er meinen Zweifel in meinen Augen sieht.

Schleppend gehe ich auf ihn zu, ehe er nach meiner Hand greift und zu sich auf sein Schoss zieht.

Ganz steif sitze ich da und verknote meine Finger miteinander. Als er seine Hand auf mein Rücken legt, zieht sich eine Gänsehaut über meinen Körper, denn ich weiß nicht, was ich machen soll. Soll ich mich einfach fallen lassen, oder würde er das eher aufdringlich finden?

"Ist alles in Ordnung?" Ich blicke in Harrys besorgte Miene und schüttle nur lächelnd den Kopf. Ich sitze nur auf dem Schoss von meinem ehemaligen besten Freund und zwar im Schnee an einem See, was eine ziemlich romantische Stimmung aufbringt, wohl angemerkt, dass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt ist.

Plötzlich ist mir so warm, dass ich das Gefühl habe, gleich in Ohnmacht zu fallen und normal bin ich eine Person, die im Winter sehr empfindlich auf die Kälte reagiert.

"Du bist so rot im Gesicht, sicher, dass nichts ist?", lacht er und ich haue ihm leicht gegen die Schulter. Die Müdigkeit, die schleichend wiedergekommen war, macht sich jetzt deutlich bemerkbar, da meine Augen wieder schwerer werden.

"Ich bin nur richtig müde." Wie aufs Stichwort muss ich gähnen und Harry klopft mir leicht gegen den Rücken. "Dann werde ich dich wieder zurück zum Campus fahren." Mit diesen Worten stehen wir auf und laufen wieder zu seinem Auto zurück.

Er schaltet die Heizung an und die Wärme, die ausgebreitet wird, macht mich noch schläfriger, sodass ich meinen Kopf gegen das Fenster lehne. Grace, du darfst jetzt nicht einschlafen. Etwaige Zureden bringen nichts, ich schlafe relativ schnell ein.

"Oh mein Gott." Schlaftrunken nehme ich eine weibliche Stimme wahr, doch ich bin viel zu müde, um zu registrieren, wem diese Stimme gehört. "Psch, sie ist eingeschlafen, falls du es noch nicht bemerkt hast", keift eine raue Stimme und ich nehme nun die Präsenz einer weichen Matratze wahr. Wieder schlafe ich ein und wache am nächsten Morgen um halb sechs in meinem Bett auf.

Whoa, wie bin ich in mein Bett gekommen? Ich richte mich auf und sehe, dass Lily noch in ihrem Bett schläft. Ich versuche meine Gedanken zu ordnen: Ich kann mich noch erinnern, wie Harry mich zurückfahren wollte und ich eingeschlafen bin. Dann erinnere ich mich an meine kurze Aufwachphase von gestern Abend. Lily und Harry müssen miteinander geredet haben.

Ich schwinge mich aus meinem Bett und steige unter die Dusche. Ich stelle mich vor den Spiegel und mache mich für den heutigen Tag fertig. Als ich wieder zurück ins Schlafzimmer zurückkehre, sitzt Lily kerzengerade in ihrem Bett und grinst mich erwartend an.

"Whoa, hör auf mich so anzugucken, da kriegt man ja Angst." Ich lege mir meine Uhr um das Handgelenk und stelle fest, dass Lily mich immer noch so penetrant ansieht.

Ich tapse zu ihr und schlage ihr leicht gegen die Wange, damit sie endlich aufhört, mich wie eine Psychotante anzugucken.

"Du und Harry also?", bringt sie endlich heraus und ich runzle die Stirn.

"Was ist mit uns?"

"Ihr habt etwas miteinander, gibs zu." Sie springt aus ihrem Bett und fasst mir an die Schultern, während sie mich eindringlich ansieht. "Du hast dir den heißesten Mann der Welt geangelt, Schatzi."

Ich greife nach ihren Händen und werfe sie von meinen Schultern. "Wir haben nichts miteinander."

"Das sah gestern ganz anders aus." Wieder werfe ich ihr einen was-willst-du-mir-damit-sagen-Blick zu und sie lacht nur herzlich. "Du bist wohl in seinem Auto eingeschlafen, also hat er dich ins Zimmer getragen, weil er dich nicht wecken wollte."

Jetzt erklärt es sich, wie ich in mein Zimmer gekommen bin. "Aber er ist echt unhöflich, er hat mich gestern angemacht, dass ich leise sein soll, weil du geschlafen hast", schmollt sie und diesmal bin ich diejenige, die lacht. So ist Harry eben.

"Was habt ihr gestern eigentlich gemacht?" Interessiert setzt sie sich auf mein Bett und sieht mich erwartungsvoll an.

"Wir waren essen und danach an irgendeinem See." Sie wirft mir einen dreckigen Blick zu, weswegen ich noch schnell etwas hinzufüge: "Nur geredet, nicht, das was du denkst."

"Ich glaube dir das erst einmal", lacht sie und steht auf.

"Ich hätte aber nicht erwartet, dass so ein knallharter Boxer mit einer Frau essen geht und sie danach zu einem See einlädt", gibt sie offen zu und zieht sich schnell um.

"Ich eigentlich auch nicht",füge ich in meinen Gedanken dazu. "Ich gehe eben schnell eine Zeitung holen." Sie verschwindet aus dem Zimmer und ich lasse den gestrigen Tag wieder Revue passieren. Er hat mich eingeladen, war mit mir am See und hat mich auf mein Zimmer getragen, weil er mich nicht wecken wollte.

Bis vor ein paar Wochen habe ich ihn noch wie die Pest gehasst und jetzt schwärme ich innerlich von seinen süßen Gesten. Meine Mundwinkel ziehen sich zu einem Lächeln und ich greife nach meinem Handy, wo ich sehe, dass Harry mir noch gestern Abend eine Nachricht gesendet hat.

Oh der Herr weiß jetzt auch, wie man sein Handy benutzt.

Gerade, als ich die Nachricht öffnen will, stürmt Lily mit einer Zeitung in der Hand ins Zimmer.

"Oh mein Gott, Grace, du wirst nie glauben, wer auf der Titelseite ist."

Danke articulateme für das Bild!

Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now