87. Kapitel

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87. Kapitel

Es vergehen Stunden. Stunden voller Ungewissheit, wie es weitergehen könnte, vergehen. Meine Kehle ist trocken, schon lange habe ich keine Flüßigkeit meine Kehle hinunterrinnen gespürt. Dass die Halle noch dazu staubig ist, hilft mir nicht dabei, mich hier wohlzufühlen. Meine ganzen Gliedmaßen scheinen außerdem eingeschlafen zu sein, doch mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren.

Tausende Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Liam hatte sich einen Stuhl geholt und sich wenige Meter vor mich gesetzt. Desinteressiert zückt er sein Handy aus seiner Hosentasche und beginnt damit herumzuspielen, während ich hier vor ihm fast am Dehydrieren bin.  "Was bringt euch das eigentlich?", krächze ich angestrengt. Ein Hustanfall folgt und nur wenige Sekunden später sehe ich, wie mir eine Wasserflasche vor die Nase gehalten wird. Mein Blick wandert zu seinem starren Gesicht. "Trink", bestimmt er und ich lasse mir das nicht zweimal sagen. Er hält mir die Flasche so hin, dass ich daraus trinken kann. Wenige Sekunden später ist diese leer und noch nie in meinem Leben habe ich mich wie neu geboren gefühlt wie jetzt.

Er zerdrückt die leere Flasche und wirft sie durch den ganzen Raum, bis sie gegen die nächste Wand knallt. "Hast du Garcia vorher nicht zugehört?" Er setzt sich wieder auf den Stuhl, der unangenehm quietscht. Erneut versuche ich meine Hände, die durch ein Seil zusammengebunden wurden, zu befreien, doch erneut scheitere ich. "Du hast unsere Freundschaft also die ganze Zeit über nicht ernst genommen?"

Erneut habe ich das Gefühl, dass sich ein Hustanfall anschleicht, doch ich schaffe es ihn zu unterdrücken. "Anfangs habe ich dich nur wegen Harry angesprochen. Davor wollte ich dich nicht ansprechen, weil es zu auffällig gewesen wäre, wenn ich dich einfach aus dem Nichts angesprochen und dich auf einen Kaffee eingeladen hätte." Es folgt eine kurze Pause - als ob er nach den richtigen Worten suchen würde.

"Doch ich habe gemerkt, dass du eigentlich ziemlich cool bist. Aber die Tatsache, dass du Styles' Freundin bist, kann das nicht wettmachen - außerdem hat er es verdient ein wenig zu leiden!" Ich fasse es einfach nicht. "Liam, ich weiß, dass Harry damals ein Arschloch war", fange ich an und erhalte ein zustimmendes Nicken seinerseits. "Aber er bereut es, er hat sich geändert. Bitte, ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Bitte hör auf damit!" Ich flehe ihn an. Ich flehe die Person, von der ich eigentlich dachte, sie sei mein Freund, dass sie mich gehen lassen soll.

"Daran glaube ich nicht. Einmal Arschloch, immer Arschloch. Aber wenn es wirklich so sein sollte, ändert es nichts an der Tatsache, dass er den selben Schmerz wie ich durchmachen soll."

"Hör zu, wir werden dir nicht wehtun, es soll einfach als Abschreckung dienen und als Köder eignest du dich hervorragend." Wow, da fühle ich mich ja viel besser. Ich habe keine Angst mehr, ich bin eher sauer und enttäuscht. Wie konnte ich mich in so eine Lage bringen? "Ich fasse es nicht, dass du das tust!"

Ich lehne mich in den Stuhl und sehe ihn mit einem vorwurfsvollen Blick an. "Ich finde dich wirklich nett, aber Harry Styles zu zerstören hat gerade Vorrang. Wenn das vorbei ist, können wir gerne echte Freunde sein", erwidert er und ich schnappe empört nach Luft. "Echte Freunde? Du spinnst doch, wie unverschämt muss man sein?" Er lacht amüsiert auf. "Es war nur ein Vorschlag, wenn du nicht willst, dann musst du nicht!", lächelt er, als ein eisiger Luftzug den Raum durchflutet. Schwere Schritte sind zu hören und Garcia nähert sich uns langsam. 

"Wie ich sehe, kümmerst du dich gut um sie!", lächelt er süffisant und stellt sich hinter Liam, um seine Hände von hinten auf seine Schultern zu legen. "Hast du Harry schon den Brief abgeschickt?", kommt es stattdessen von Liam und mit einem zufriedenen Lächeln nickt sein Vater.

"Warum ein Brief? Heutzutage verschickt man Erpresserbriefe doch übers Handy!", melde ich und blicke die beiden ernst an. "Gefesselt an einem Stuhl und trotzdem zu Scherzen aufgelegt. Da hat Styles dich ja abgehärtet!", meint Garcia beeindruckt und greift in sein Jacket. Kurze Zeit später zieht er seine Hand heraus und ich erkenne sofort, um welchen Gegenstand es sich hier handelt. Ich erstarre als ich die Pistole in seiner Hand sehe.

"Du wirst jetzt einfach ruhig bleiben und nichts sagen, sonst werde ich davon Gebrauch machen." Er zeigt auf seine Waffe und ich kann Liam förmlich nach Luft schnappen hören."Whoa, wir haben nur gesagt, dass wir ihr ein wenig Angst machen, von Waffen war keine Rede!", schaltet sich Liam ein und es überrascht mich, dass er davon nichts wusste. 

"Sohn, du musst noch einiges von mir lernen!", erklärt ihm sein Papa und lässt die Waffe wieder dort verschwinden, woher er sie genommen hatte. "Sei einfach brav und tue das, was dir gesagt wird, dann passiert weder dir noch deinem Freund etwas." Er wendet sich Liam wieder zu.

"Alessandro steht draußen Wache, jetzt heißt es nur Abwarten, bis sich der Löwe hier blicken lässt." Immer noch mit einem geschockten Gesichtsausdruck nickt Liam und fixiert einen Punkt hinter mir. Er starrt ins Nichts, er bleibt stumm, als uns sein Vater wieder alleine lässt. "Mir wird nichts passieren? Super, Liam. Ganz toll!", breche ich die Stille und rutsche erneut auf dem Stuhl herum. 

Seine Augen verdunkeln sich, als sein Blick wieder auf mich fällt. "Ich hatte keine Ahnung davon. Wir haben ausgemacht, dass wir dir und Styles einen Schrecken einjagen. Von Waffen haben wir nicht gesprochen." Er scheint tatsächlich keine Ahnung gehabt zu haben, aber immerhin hat er Mitschuld, dass ich hier sitze. Hilflos und gefesselt. 

~Harrys Sicht~

Gleich in der Früh fahre ich zur Uni, um mit ihr zu sprechen. Ich habe einen Strauß voller weißer Rosen besorgt, da ich weiß, wie sehr sie diese Blumen verehrt. Ich bastle mir einige Worte im Kopf zusammen, um ihr zu zeigen, wie leid es mir tut, dass ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe. 

Ich komme auf dem Parkplatz der Uni zu stehen und werfe einen Blick auf die Uhr meines Handys. Sie sollte schon wach sein, aber noch nicht im Unterricht sitzen, weswegen ich mich mit übergestülpter Kapuze in den Wohnbereich begebe. Ich schleiche mit dem Blumenstrauß leise durch die Gänge, bis ich vor ihrem Raum stehen bleibe und zaghaft an der Tür klopfe. Ich höre Schritte, die sich der Tür nähern und setze schon mein breitestes Grinsen auf, doch es erlischt schnell, als ich nur ihrer Mitbewohnerin gegenüber stehe. "Grace, hast du schon wieder deinen Schlüssel verg-" Lily wird sofort still, als sie merkt, dass ich Harry bin und sofort stelle ich mir die Frage: Wieso fragt sie, wo Grace ist?

"Harry?", fragt sie erstaunt und stellt sich zur Seite, um mich in das Zimmer zu lassen. Von Grace ist keine Spur zu sehen. "Wo ist Grace?", frage ich mit zusammengekniffenen Augenbrauen und laufe ins Badezimmer, um dort nach ihr zu suchen. Dort kann ich sie auch nicht auffinden. 

"Ich dachte, sie ist bei dir?", fragt sie genauso ahnungslos zurück und alle Alarmanlagen schrillen bei mir. Sie antwortet nicht auf meine Nachrichten und ihre beste Freundin weiß auch nicht wo sie steckt. "Nein, ich wollte gerade zu ihr!" Dann fällt ihr Blick auf meinen Rosenstrauß und sie legt sich erschrocken die Hände vor den Mund. "Wo ist sie bloß?", fragt sie schockiert und greift nach ihrem Handy, um ihre Nummer zu wählen. Auch bei ihr bleibt es still. 

"Verdammt, sie hebt sonst immer ab!", flucht sie und knallt ihr Telefon auf die nächstgelegene Kommode. "Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?", frage ich sie durchdringend und stelle währenddessen den Strauß auf die Kommode direkt neben ihr Handy. "Gestern waren wir essen, sie wollte zu dir!" Sie wollte zu mir? "Sie ist aber nie angekommen!", keife ich und balle meine Hände zu Fäusten. Verdammt, es muss etwas passiert sein. 

Ich muss sie suchen gehen, auch wenn ich nicht weiß, wo ich beginnen soll. Ich beginne erst damit, mich in mein Auto zu setzen. Was, wenn sie irgendwo verletzt auf dem Boden liegt? Ihr muss etwas zugestoßen sein, sonst würde sie sich doch melden. Verdammt, zu viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf, sodass ich mich kaum auf den Verkehr konzentrieren kann. Etliche Male werde ich angehupt, weil ich irgendwelche Verkehrsregeln missachtet habe. 

Ich beschließe, meine Suche bei mir zu Hause anzufangen. Sie wollte zu mir, also werde ich dort beginnen. Ich parke meinen Wagen in meine Garage und merke, dass ein Briefumschlag ungewöhnlich weit aus meinem Briefkasten herausragt. Es ist sicherlich keine Rechnung, nein der Umschlag ist an den Ecken ziemlich verfärbt und knittrig. Dieser Brief erregt sofort meine Aufmerksamkeit und ich ziehe ihn heraus, um den Brief aus dem Umschlag zu holen. 

Ich überfliege die Zeilen nur so. Am liebsten würde ich den Brief zerreißen. Ich wusste, dass ihr etwas zugestoßen sein muss. Nur wegen mir haben sie sie entführt und ich muss sie da jetzt rausholen. Meine Schuld - meine Aufgabe, sie herauszuholen. Den Brief schiebe ich gefaltet in meine hintere Hosentasche, woraufhin ich mich flink in mein Auto setze und zur, im Brief erwähnten, Adresse fahre.

Ich werde sie da herausholen, egal was es kostet. 

Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now