60. Kapitel

2.8K 154 8
                                    

60. Kapitel

"Wie fühlt es sich an, so als freier Mann?", frage ich ihn, als wie aus dem Krankenhaus zu meinem Auto gehen. Er ist endlich entlassen worden, muss sich aber noch schonen. "Ganz toll zu wissen, dass ich mich die nächsten Tage mit Schmerzmittel vollpumpen muss!", grummelt er, während er sich auf den Beifahrersitz schmeißt und ein schmerzvolles Aufzischen folgt.

"Nicht so stürmisch oder willst du gleich wieder ins Krankenhaus?", ziehe ich ihn auf und bringe das Auto ins Schnurren. "Wenn ich da deinen unnötigen Sprüchen nicht ausgesetzt bin, dann gehe ich gerne freiwillig dorthin zurück!"

Am liebsten möchte ich ihm eine reinhauen, doch ich beherrsche mich und rolle vom Parkplatz. "Soll ich dich nach Hause fahren?", frage ich nebenbei, während ich über die Autobahn düse.

Aus dem Augenwinkel heraus merke ich, dass er nickt und ich steuere die Richtung seiner Villa an.

Das gute Wetter hat leider nicht angehalten, denn es schüttet und es ist dementsprechend auch rutschig auf der Straße. "Fahr vorsichtig, verdammte Scheiße oder willst du gegen den nächsten Baum fahren?" In Harrys Stimme schwebt Panik, als ich einen LKW überhole. "Soll ich auf der Autobahn 40 fahren?", blaffe ich zurück und werfe einen Blick in den Hinterspiegel. Ein Vollhonk hupt mich von hinten an, weswegen ich auf die nächste Spur wechsle.

"Dieses Arschloch sollte mal besser aufpassen, dass er uns wegen seiner Geschwindigkeit nicht anfährt!", jammert er weiterhin. "Hey, Harry!" Er dreht seinen Kopf zu mir und wirft mir einen fragenden Blick  zu.

"Sei leise!", herrsche ich ihn an und trete noch mehr aufs Gas, um ihn zu ärgern.

"Fuck, ich kotze gleich!" Tatsächlich wird er etwas blass um die Nase. "Nicht in mein Auto, Schätzchen!" Mit diesen Worten steuere ich die Ausfahrt zur nächsten Tankstelle an und halte auf einem Parkplatz an. Sofort reißt er die Tür auf und rennt ins nächste Gebüsch, wo eindeutige Würgegräusche, gefolgt vom Platschen einer Flüßigkeit, zu hören sind. Nun, das wird jetzt eine Weile dauern.

Während der Herr seinen Magen entleert, schlendere ich in die Tankstelle hinein, um etwas Wasser zu kaufen, als ich plötzlich gegen einen dunkel gekleideten Mann stoße. "Oh, Entschuldigung, ich habe Sie nicht geseh-", sofort halte ich inne, als sich dieser Mann umdreht. Er kommt mir bekannt vor. Ich mustere ihn kurz. "Wenn mich so eine entzückende Dame rempelt, dann kann ich doch nichts sagen", schmunzelt er und greift nach meiner Hand, um einen Kuss auf meiner Handfläche zu hinterlassen.

Dann fällt es mir auf einen Schlag ein. Das ist der unheimliche Typ vom letzten Mal. Zu schnell ziehe ich ihm meine Hand weg. Bloß nichts anmerken lassen. "Ähm ..." Ich bin etwas verlegen und weiß nicht, was ich sagen soll. "So eine schöne Frau sollte nicht so bescheiden sein. Sie sind bezaubernd!", lächelt er weiter und nun bin ich diejenige, die gleich kotzen muss. Wie eklig.

"Fass sie nicht an!" Ich werde von dem Typen weggerissen und nach hinten geschoben. Beschützend stellt Harry sich vor mich und wenn Blicke töten könnten, dann wäre der Typ schon längst gestorben. "Verstehe", kommt es vom Fremden und sieht Harry mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Anscheinend hast du deine Lektion nicht gelernt!", flüstert er Harry leise zu, doch laut genug, damit ich es hören kann.

Ich sehe, wie Harrys Armmuskeln sich anspannen und ich versuche ihn zu beruhigen, indem ich meine Finger um seinen rechten Arm schlinge. Leicht versuche ich, ihn ein bisschen von dem Schmierlappen zu entfernen, damit das nicht in einer Schlägerei ausartet. "Sei gewarnt",  formt er mit seinen Lippen und verlässt mit langsamen Schritten die Tanke. "Wichser", spuckt Harry.

"Wieso bist du weggegangen, ohne mir vorher Bescheid zu sagen?" Sein Ton ist scharf.
Schärfer als mir lieb ist.

"Du hast gekotzt, hätte ich dich da fragen sollen, ob du kurz mit mir reingehst? Außerdem bin ich alt genug!" Er reißt mir die Flasche aus der Hand, geht zur Kasse und schmeißt dem Kassierer das Geld hin, ehe er mich an der Hand packt und mich nach draußen zieht. "Wieso bist du denn jetzt so sauer?" Ich bin außer Atem, als wir beim Auto ankommen, denn er hatte eine schnelle Geschwindigkeit drauf. Mit der Faust haut er gegen das Autodach und ich weiß nicht, ob ich mir mehr Sorgen um seine Hand oder um mein Auto machen sollte.

"Nein, ich habe mir nur Sorgen gemacht", presst er durch seine Zähne heraus. Würdest du dann bitte das Auto aufmachen? Ich bin scheißenass und will nicht krank werden?" Ich gehe ums Auto herum und sperre meinen Wagen auf. Gleich daraufhin schalte ich die Heizung ein.

Den Rest der Fahrt sprechen wir nicht miteinander. Die Stimmung hier ist genauso eisig wie das Wetter draußen. Schließlich kommen wir nach einer Ewigkeit bei seinem Haus an, doch anstatt auszusteigen, bleibt er im Auto sitzen. Ich lasse ihn einfach. So starren wir beide ins Nichts. Beobachten, wie sich die Regentropfen zu kleinen Grüppchen bilden und die Windschutzscheibe hinunterrinnen.

Ich drehe am Zündschlüssel und ziehe ihn hinaus. "Ich weiß, dass du denkst, dass ich ein totales Arschloch bist, aber würdest du mir den Gefallen tun und heute bei mir schlafen?" Er schnallt sich ab, um näher zu mir zu rutschen und seinen Oberkörper über die Konsole zu platzieren. "Ich verspreche auch, dass ich nicht arschig zu dir bin!" Daraufhin legt er seinen Kopf auf meine Schulter ab. "Bitte?"

Ich schmunzle leicht über diesen Versuch, aber ich wäre so oder so bei ihm geblieben, dafür hätte er diese Show nicht machen müssen. "Wenn du mich schon so lieb fragst!", erwidere ich, und hebe meine Schulter an, um Harrys Kopf wieder aufzurichten.

"Wann hast du das letzte Mal hier sauber gemacht?", ist das erste, was ich sage, als wir sein Haus betreten. Überall liegen Pizzaschachteln herum, eine Staubschicht auf den Möbeln ist auch schon zu sehen und außerdem könnten die Fenster auch mal geputzt werden. "Ich weiß nicht, ist ne Weile her!" Er zuckt gleichgültig mit den Schultern und ich weiß jetzt schon, dass sich das ändern muss. "Ich weiß, dass du jetzt am liebsten nach einem Staubwedel greifen und putzen willst, aber davor ..." Den Satz beendet er nicht, sondern er geht auf mich zu und schlingt seine Arme um mich. Er duckt sich zu mir hinunter,  damit seine Lippen meine treffen können, während er mich gegen die Tür drückt. "Ich hoffe doch, dass du nichts dagegen hast, in einer dreckigen Gegend rumzumachen?"

Ich habe mir gerade "Ein ganzes halbes Jahr" angeschaut, er ist so schön omg 😭 Empfehlenswert!

Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now