32. Kapitel

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32. Kapitel

Als ich sie ansehe, fällt ihr Blick auf mich und ihr Gesichtsausdruck, der vorher noch so neutral aussah, verwandelt sich schlagartig zu einem bösen Blick. Ich schlucke und wende meinen Blick sofort ab, als ich meinen Aufsatz nehme und kehrt zur Klasse mache.

Ich spüre ihren durchbohrenden Blick auf meinen Rücken, und muss mich zusammenreißen, nicht gleich nach hinten zu starren, und ihr in die Arme zu fallen, um ihr zu sagen, wie leid mir das alles tut. Immerhin tut es mir nicht leid, dass ich ihr die Wahrheit über Tim gebeichtet habe. 

Mit einem lauten Knarren öffne ich die Türe zu meiner Klasse und ziehe somit alle Blicke auf mich. Wie sehr ich diese alte, schäbige Tür hasse.

Ich fixiere meinen Blick auf Mr. Frank und lege meine Arbeit auf sein Pult. "Miss Anderson, ich bin über Ihre Schnelligkeit beeindruckt! Sie können von mir aus schon gehen", lächelt er mich aufmunternd an. Ich bedanke mich und verlasse schnellstmöglich die Klasse. Im Korridor angekommen, halte ich Ausschau nach Lily, doch sie ist weit und breit nicht zu sehen, weswegen ich mich auf den Weg zur Mensa mache. 

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch knapp 20 Minuten habe, bevor mein nächster Kurs beginnt, also setze ich mich in die hinterste Ecke des Raumes und ziehe ein Buch aus meiner Tasche, welches ich vor kurzem bei der Bibliothek ausgeborgt hatte. 

Hier ist es ruhig. Bis auf ein paar Studenten, die entweder eine Freistunde haben oder einen Kurs schwänzen, sind hier nicht viele Leute, weswegen ich diese Ruhe hier vollkommen genießen kann. Während ich jedes einzelne Wort in mich aufsauge, bemerke ich gar nicht, dass sich eine weitere Person gegenüber von mir setzt.

Diese Person räuspert sich kurz und reißt mich damit komplett aus meiner erschaffenen Traumwelt. Mein Blick wandert von nach vorne und ich blicke in die braunen Augen von Liam, der mich breit anlächelt.

"Oh, tut mir leid, ich habe dich nicht bemerkt, ich war so in meinem Buch vertieft", entschuldige ich mich lächelnd, während ich mein Buch aus der Hand lege und es in meiner Tasche versinken lasse. "Ich habe es gemerkt, was ist das für ein Buch?" Interessiert versucht er in meine Tasche zu gucken.

"Dark Night", antworte ich und sehe ihn daraufhin fragend an. "Hast du keinen Unterricht?", frage ich skeptisch und er spitzt unschuldig die Lippen. "Es kann sein, dass mir ein gewisser Herr Tyson eine Präsentation aufgebrummt hat und ich sie nicht gemacht habe."

"Bei Herr Tyson würde ich wahrscheinlich auch passen, wenn ich etwas nicht gemacht habe, was er mir aufgezwungen habe. Damit unterschreibst du quasi deinen Selbstmord", antworte ich zustimmend und ein brummendes Lachen entflieht seiner Kehle. 

"Da hast du recht. Was machst du eigentlich hier? Hast du keinen Unterricht?", widerspricht er.

"Ich hatte gerade Englisches Schreiben und wir mussten einen Aufsatz schreiben, mit dem ich früher fertig war, da hat mich Mr. Frank früher gehen lassen."

"Du bist ein Streber", zieht er mich auf und ich trete ihm für diese freche Antwort gegen das Schienbein, woraufhin er schmerzhaft sein Gesicht verzieht. "Sag das nochmal und der Tritt landet das nächste Mal wo anders", drohe ich ihm und sofort ist er still. 

"Was hast du eigentlich mit Styles zu tun?" Seine Frage ist direkt aus seinem Mund geschossen, weswegen ich erst realisieren muss, dass er mich das gefragt hat. "Die Frage ist eher, woher du ihn kennst. Du siehst mir nicht so aus, als ob du mit so Typen wie Harry abhängen würdest", stelle ich ihm die Gegenfrage, woraufhin sich ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht bildet. 

"Du siehst mir aber auch nicht so aus", argumentiert er und lehnt sich zurück, was ich ihm gleich tue. "Gut, wir waren früher Nachbarn, dann bin ich weggezogen, wir haben uns aus den Augen verloren und haben uns nach all den Jahren wiedergesehen", erkläre ich und sehe ihn erwartend an. Als er nichts sagt, helfe ich ihm auf die Sprünge: "Und jetzt erzählst du mir, woher du ihn kennst."

Genau zu diesem Zeitpunkt läutet es, was Stundenwechsel bedeutet.

"Zu schade, dass ich jetzt zum nächsten Kurs muss", grinst er schadenfroh und lässt mich wieder alleine. Ungläubig sehe ich ihm hinterher. Ich würde nur zu gerne wissen, was Liam, der auf den ersten Blick sehr vernünftig scheint, mit einem Typen wie Harry zu schaffen hat. 

Schnaufend stehe ich auf und will die nächste Stunde antreten. Mit langsamen Schritten laufe ich in die nächste Klasse, wo mich auch schon mein Lieblingsprofessor erwartet: Mr. Tyson. Ich würde mal sagen, ab in die Höhle des Löwen. 

Nach diesem anstrengenden Tag will ich mich einfach nur entspannen und besuche, wie so oft, die Unibibliothek. Normalerweise würde ich mich jetzt mit Lily in ein Cafe setzen und wir würden uns über die Leute hier aufregen, die uns auf die Nerven gehen, aber sie ist ja sauer auf mich.

"Grace, wie schön, dich mal wiederzusehen. Wie geht es dir?", fragt mich Erica, während sie einige Bücher in die Schränke einordnet. "Naja die alltäglichen Probleme, die ein Student hat", antworte ich mit einem leicht belustigten Unterton in der Stimme. Sie wirft mir einen besorgten Blick zu und hält sofort inne, als sie meine Antwort erhält. 

"Was ist denn passiert?" Sie rückt ihre Brille zurecht und dreht sich zu mir. "Streit mit Lily", antworte ich knapp und senke traurig meinen Blick. "Oh, da habe ich etwas für dich, um dich hervorragend abzulenken. Sie geht kurz in den hinteren Teil der Bibliothek und kommt mit einem Buch zurück. "Lies das, das wird dich auf jeden Fall auf andere Gedanken bringen." Lächelnd hält sie mir das Werk hin, welches ich entgegennehme. "Stephen King?" Ich ziehe meine Augenbrauen in die Höhe, denn eigentlich stehe ich nicht so auf seine Werke.

"Es ist ein ziemlich gutes Buch, wirklich. Ich denke, dass dich dieses Buch von King überzeugen wird." Sie schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln. "Gut, wenn du meinst, dann werde ich mir das mal angucken." Mit diesen Worten verziehe ich mich in die nächstbeste Ecke und mache es mir gemütlich mit diesem Buch. 

King packt mich schon nach einigen Seiten mit seinen Schreibkünsten und ich verschlinge das Buch regelrecht. Seite für Seite versinke ich immer in dieses Buch, bis mich ein Donnern aus meiner Traumwelt reißt. Es hatte angefangen zu schütten und zwar richtig heftig. Na toll, und bei so einem Wetter muss ich noch zu meinem Zimmer fahren?

Ich ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und werfe einen Blick auf die Uhrzeit, die mir verrät, dass die Bibliothek in zehn Minuten schließen wird. Ich beschließe mir das Buch für ein paar Tage auszuborgen, weswegen ich zu Erica gehe. "Also hat es dir Stephen doch angetan, huh?", grinst mich Erica von der Theke aus an. "Ich habe zu schnell geurteilt", gebe ich lachend zu und übergebe ihr das Buch, damit sie es abscannen kann. 

"Dann wünsche ich dir viel Spaß mit diesem Buch", zwinkert sie mir zu und ich verabschiede mich von ihr. Als ich das Gebäude verlasse und kurz davor bin in den Regen zu gehen, bleibe ich stehen und finde unter einem Dach Schutz vor der Nässe. Ich habe keinen Regenschirm mit, und wenn ich jetzt aus meinem Versteck rausgehen, bin ich schneller nass, als ich Heureka sagen kann.

Anders komme ich nicht heim, weswegen ich wohl das Risiko eingehen muss. Schnell renne ich in den Regen, bis hin zur nächsten Bushaltestelle. Bei der Bushaltestelle finde ich wieder ein trockene Umgebung, da dort ein kleines Dach über den Wartesitzen ragt.

Ich spüre, wie die Nässe immer mehr durch meine Klamotten rinnt. Das wird eine fette Erkältung geben. Zitternd schlinge ich meine Arme um meinen Körper, um mir ein wenig Wärme zu spenden, doch kein einziger Teil meines Körpers ist noch in der Lage dazu. Wenn jetzt nur ein Engel kommen und mich mitnehmen würde, denn der nächste Bus kommt erst in 20 Minuten.


Infinity |H. S.|Where stories live. Discover now