Kapitel 45

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Kapitel 45

Felix: Hey! Guten Morgen!
Felix: Marie? Alles klar bei dir?
Marie: Guten Morgen. Ich hab verschlafen. Ja, lach nur, so was kann auch mal mir passieren.
Felix: Ich lach nicht. Hab mir nur etwas Sorgen gemacht. Alles okay soweit? Schlecht geträumt?
Marie: War ne unruhige Nacht irgendwie. Das Baby hat ne Nachtschicht eingelegt.
Felix: Ach so, okay. Hat das Kleene Party gemacht?
Marie: Kann sein, ja.
Felix: Ich red mal mit ihm. Kann ja nicht sein, dass es bis in die Puppen wachbleibt. Das erlaub ich ihm erst mit 18.
Marie: Ja, red mal mit ihm, vielleicht hört es auf dich. Wie geht es dir denn?
Felix: Alles gut soweit, bisschen Stress, bin schon auf dem Sprung, Julian wartet. Und ich vermiss dich hart.
Marie: Ich dich auch.

Sie legte das Handy weg. Er vermisste sie. Sie oder etwas anderes? Und wenn er sie vermisste, war es dann wahrscheinlicher, dass er sich Ersatz suchte? Verbissen rührte sie ihr Müsli zusammen. Das war eine furchtbare Nacht gewesen. Und jetzt war es schon fast elf Uhr. Sie sollte mit Felix reden, das wusste sie. Und dennoch hatte sie ihn eben quasi angelogen. Nicht das Baby hatte für eine unruhige Nacht gesorgt. Es waren ihre Gedanken gewesen, die sie fertig gemacht hatten. Die Gedanken an Felix. Fuck. Sie musste etwas tun. Sie war so unruhig. Alles zitterte in ihr auf eine besorgniserregende Weise. Sie musste lernen, ihm wieder zu vertrauen. Und dabei half es nicht, sein Insta-Profil zu kontrollieren, das hatte sie gestern Nacht gelernt. Es hatte alles noch so viel schlimmer gemacht. Sie hielt diese Ungewissheit nicht aus, diese Tagträume, die sie überkamen, in denen Felix ihr stets untreu wurde. Sie hielt die Trennung nicht aus. Und das Schlimmste war, dass sie befürchtete, dass er das auch nicht aushielt.

Noch während sie ihr Müsli löffelte, nahm sie ihr Handy wieder und suchte nach Zugverbindungen nach Berlin.

Felix: Hey, was machst du gerade?
Marie: Ich bin noch unterwegs. Was machst du? Wo bist du gerade? Noch im Büro?
Felix: Bin auf dem Weg nach Hause. Lass uns später reden, ja?
Marie: Okay.

Ja, sie war unterwegs. Aber dass sie unterwegs nach Berlin war, das hatte sie ihm verschwiegen. Sie wusste nicht, wie sie es machen, wie sie es ihm erklären sollte. Sie wusste auch nicht, wie sie es aushalten sollte, wieder in Berlin zu sein. Das letzte Mal war sie dort mit Lucia, René und David gewesen, um ihre Sachen aus der Wohnung zu holen. Es hatte ein festes Ziel gegeben, eine Aufgabe, einen Endpunkt. Und es war klar gewesen, wie sie zu Felix stand. Es war aus gewesen. So was von aus. Der Abschied, der Schlussstrich, sie hatte ihr Leben aus seiner Wohnung geholt. Das war schwer gewesen, aber sie hatte es geschafft, auch oder nur, weil sie Lux an ihrer Seite gehabt hatte.

Und dann war da das andere letzte Mal, als sie nach Berlin gefahren war. Im Zug, so wie heute. Das war grausam gewesen. Es hatte sie kaputt gemacht. Sie hatte ihn damals überraschen wollen, gewusst, dass er sich freuen würde, dass sie ein paar Tage eher als geplant wieder bei ihm sein würde, voller Vorfreude auf das erste gemeinsame Weihnachtsfest, auf seinen Geburtstag. Und heute? Heute würde sie ihn auch überraschen. Und ihn enttäuschen, ihn damit konfrontieren, dass sie nicht klarkam, dass nicht alles okay war, dass sie ihm nicht vertraute. Sie sah ihn die Wohnungstür öffnen, sah eine fremde Frau wie einen Schatten hinter ihm im Flur stehen, sah sein erschrockenes Gesicht. Wie damals, als er und Esther... Fuck. Marie spürte schon wieder die Tränen kommen und starrte angestrengt aus dem Zugfenster hinaus. Es war ein sonniger Tag. Und die Klimaanlage war gut eingestellt. Sie wollte so sehr, dass alles wieder gut war. Aber das war es nicht. Und das Schlimmste war, dass ein kleiner Teil von ihr sich wohl auch völlig konträr wünschte, dass sie ihn wieder erwischte. Es war unwahrscheinlich, vermutlich, ja. Aber irgendwie wäre es dann auch gut, auf eine Weise. Es wäre vorbei, eindeutig, endgültig, unumstößlich. Es hatte Momente gegeben in jener schlaflosen letzten Nacht, in der sie es sich so sehr gewünscht hatte, dass es sofort vorbei war, einfach weil sie die Ungewissheit offenbar wirklich krank machte. Sie nahm ihr Handy wieder, überlegte, ihm doch zu schreiben, legte es wieder hin, rutschte nervös auf ihrem Sitz herum. Das hier war ein Fehler. So oder so und egal, wie es ausging. Sie hatte das Gefühl, dass sie gerade alles kaputt machte.

Als sie am Hauptbahnhof ausstieg, war die Luft stickig und ihr fiel das Atmen schwer. Sie hatte Kopfschmerzen. Natürlich wusste sie, wo sie hinmusste, aber sie wollte nicht in die nächste Bahn steigen, die U-Bahn, die sie zum Kotti brachte oder alternativ den Bus. Sie musste raus, also verließ sie das Bahnhofsgebäude, lief ein paar hundert Meter planlos in die falsche Richtung. Aber was war schon falsch? Sie wollte nicht zu Fuß zu Felix' Wohnung laufen. Vielleicht wollte sie gar nicht dorthin. Vielleicht sollte sie sich für die Nacht ein Hotel nehmen und dann einfach wieder abfahren morgen Früh. Er musste nie erfahren, dass sie hier gewesen war. Sie musste nie erfahren, was auch immer sie erfahren würde, wenn sie ihn hier so aus dem Nichts überrumpelte. Fuck, in ihrem Kopf war alles durcheinander. Sie schaute sich um, sah eine Treppe, auf die sie sich setzte und den letzten Rest aus ihrer Wasserflasche leerte. Das war alles so unüberlegt, so dumm, so spontan. Es passte nicht zu ihr. Sie konnte das nicht, sie sollte das nicht. Gerade jetzt. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. „Willkommen in Berlin", murmelte sie und brachte sich zu einem Lächeln. Dem Kleinen ging es offenbar gut, immerhin. Sie sollte besser auf sich aufpassen, auf sie beide. Sie konnte nicht so kopflos sein, wo sie doch die Verantwortung trug, nicht nur für sich, sondern auch für das Kind. Was jetzt? Sie atmete durch und beschloss, zum Bahnhof zurückzugehen, um sich dort ein Taxi zu besorgen.

Aus irgendeinem sentimentalen Grund hatte sie nicht Felix' Adresse, sondern einfach das Engelbecken angegeben. Sie zahlte und stieg aus. Es war nicht weit von hier zu ihm und sie kannte den Weg. Sie ging langsam, versuchte den Durst und die Gedanken zu verdrängen und stand schließlich doch vor dem Haus. Sie klingelte. Keine Reaktion. Aber die Haustür war, wie früher so oft, nicht richtig geschlossen. Irgendwas hakte da immer wieder. Also ging sie hinein. Sie entschied sich für den Aufzug, fuhr nach oben und klingelte und klopfte schließlich an der Wohnungstür. Er öffnete nicht. Bin auf dem Weg nach Hause. Das hatte er vorhin geschrieben. Es war anderthalb Stunden her. Da war nur noch Leere in ihrem Kopf.

Marie stand wieder vor dem Haus, schaute sich um. Das Café, das man von hier aus sehen konnte, hatte bereits geschossen. Es war gleich acht Uhr. Sie machte sich auf den Weg Richtung Kotti. Zumindest eine Flasche Wasser musste sie sich besorgen. Sie holte ihr Handy hervor, schaute, ob Felix ihr wieder geschrieben hatte. Er hatte nicht. Und er war nicht zu Hause. Oder er hatte einfach nicht aufgemacht. Nein. Er war nicht da gewesen. So einfach. Aber er hatte es ihr doch gesagt.

Sie kaufte sich zwei kleine Flaschen Wasser und eine Banane. Sie würde sich gleich ein Hotel suchen und dann noch ordentlich zu Abend essen. Das musste sie. Aber für den Moment würde das wohl reichen. Ohne darüber nachzudenken, beeilte sie sich, vom Kotti wegzukommen, in die ruhigeren Straßen, die den Platz umgaben. Und ohne es zu wollen, einfach, weil sie nicht drüber nachdachte, schlug sie doch wieder die Richtung ein, aus der sie gekommen war. Und dann sah sie ihn, auf der anderen Straßenseite. Felix. Er ging schnell, stierte geradeaus. Er hatte eine Tüte in der Hand. Abendessen, vermutlich. Marie musste lächeln. Okay. Deswegen war er nicht zu Hause gewesen. Sie kam sich dumm vor. Und trotzdem war damit ja noch nicht alles geklärt. Noch längst nicht. Sie blieb stehen, sah ihn um die Ecke verschwinden. Sie würde ihn überraschen. Und enttäuschen. Sie würde ihm sagen müssen, warum sie hier war. Aber es brachte ja nichts, in diese unangenehme Situation hatte sie sich selbst manövriert. Langsam folgte sie ihm. Er war längst im Haus verschwunden, als sie davorstand. Sie hörte ihr Handy.

Felix: Ich ess gerade noch was, aber danach können wir reden, ja? Videocall?

Erst als sie wieder oben bei ihm vor der Wohnung stand, schickte sie ihre Nachricht ab und klingelte gleich darauf.

Marie: Ja, oder du kannst mir einfach die Tür aufmachen.

Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann tat er es. Wie erwartet war er überrascht. Aber er lächelte auch. „Hey!" Sein Grinsen wurde breiter. „Was... was machst du denn hier?" Er lachte und umarmte sie.

„Hey", sagte Marie leise. Das schlechte Gewissen überkam sie. Seine Freude würde nicht von Dauer sein.

„Ey, ich raff das gerade nicht." Er lachte noch immer, trat aber zurück, um sie reinzulassen. „Warum sagst du denn nichts?" Er umarmte sie noch mal, nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hatte. „Ich dachte, du... na, egal, komm erst mal an, ja? Und... also ick hab mir grad Falafel geholt, die einzig essbaren in der Gegend, können wa uns teilen, aber ick hol dir och noch was, wenn du willst, musst du nur sagen und..." Felix schaute sie nun direkt an und wirkte mit einem Mal weniger enthusiastisch, eher besorgt. „Stimmt was nicht? Irgendwie siehst du blass aus."

„War ne lange Fahrt", sagte Marie, die sich gerade zu kraftlos fühlte, um ihm direkt zu sagen, was sie hierhergetrieben hatte.



Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt