Kapitel 31

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Kapitel 31

Sie würde nicht lange so in der Sonne liegen können, das wusste sie. Es war warm und wäre vermutlich bereits zu warm gewesen, wenn nicht der stete Wind, der vom Meer her blies, für ein erfrischendes Gefühl gesorgt hätte. Marie saß am Rand einer Düne und schaute Richtung Nordsee. Der Sand wirkte beinahe weiß, aber das Meer nicht blau. Zwischen dem Wasser und dem Strand war noch eine dunkle Linie zu erkennen, das Watt. Noch war die Flut nicht an ihrem höchsten Punkt angelangt. Marie schob das Strandtuch unter ihren Beinen etwas zurück, damit ihre Füße den Sand berühren konnten. Warm und angenehm. Sie hatte schon auf dem Weg hierher die Schuhe ausgezogen.

Eine Böe ließ das Strandtuch neben ihr ein Stück hochfliegen. Marie legte ihren Rucksack darauf, beugte sich rüber und kramte nach ihrer Sonnenbrille. Sie fand auch ein leichtes, blaues Tuch, das sie sich kurzerhand um den Kopf band, um die losen Strähnen zu bändigen und sich vor der Sonne etwas mehr zu schützen. Jedweder Hut wäre bei diesem Wind sofort davongeweht. Sie nahm die Sonnencreme und cremte noch einmal nach, soweit es ging, ohne dass sie sich irgendwas ausziehen musste. Dann schaute sie den Strand entlang. Das hier war kein offizieller Badestrand. Es gab keine Strandkörbe, keinen Kiosk, gar nichts. Ein paar hundert Meter weiter links begann ein Naturschutzgebiet und ein paar hundert Meter weiter in die andere Richtung befand sich ein FKK-Strand, wie sie auf dem Weg hierher festgestellt hatten. Sie waren mit den Fahrrädern gefahren, die zum Ferienhaus dazugehörten. Marie musste lächeln, als sie daran dachte, wie skeptisch Felix gewesen war, ob sie mit ihrem Bauch überhaupt Radfahren konnte oder sollte. Aber sie hatte ihm bewiesen, dass das ohne Bedenken möglich war. Mit ihm mitzuhalten, war auch kein Problem gewesen. Eher im Gegenteil, oft hatte sie auf ihn warten müssen. Die Strecke war ziemlich weit gewesen. Eigentlich hatten sie einen anderen Strand angepeilt, aber der hatte ihnen auf den ersten Blick nicht zugesagt. Also waren sie jetzt hier.

Marie schaute nach rechts, in die Dünen, und fragte sich, wo Felix blieb. Sie nahm ihr Handy und schaute drauf. Sie hatten noch Zeit. Aber sie wollte gerne ins Meer, gleich, wenn die Flut da war. Nicht schwimmen, dafür war es wohl zu kalt. Normalerweise hätte sie es versucht, aber nicht mit dem Kleinen, der gerade womöglich ein Nickerchen machte und den sie nicht durch die plötzliche Kälte schocken wollte. Da waren ein paar Leute, die badeten. In den letzten Tagen hatte die Sonne beständig geschienen und das Wasser vermutlich etwas aufgewärmt. Aber das hier war noch immer die Nordsee, nicht die Karibik.

Endlich entdeckte sie Felix in der Ferne. Er hatte seine Badeshorts an. Sobald sie hier ihr Lager aufgeschlagen hatten, hatte er sich von jeder unnötigen Last befreit. Ein wenig beneidete Marie ihn darum. Er hatte eine stark reflektierende Sonnenbrille auf der Nase und an seinem Hals reflektierte ebenfalls etwas. Die Goldkette. Marie musste ihn anschauen. Es wirkte selbstbewusst, wie er da so ging. Auch wenn ab und an zu merken war, dass er tiefer als gedacht im Sand einsank und seine Schritte dadurch schwerer wurden. Marie schaute sich um, um zu sehen, ob sonst jemand Notiz von ihm nahm. Aber da war gerade niemand. Es war ihr lieber so. Sie hatte in den letzten Tagen gemerkt, dass es immer dann schwierig für sie wurde, wenn sie mitansehen musste, wie Felix in Kontakt zu anderen Personen trat. Frauen vor allem, natürlich. Und es gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr nicht, wie sie dann dachte und fühlte. Es verunsicherte sie. Dabei hatte sie den Eindruck, dass sie sich wirklich langsam wieder annäherten. Auch wenn viele der Übungen, die sie gemacht hatten, zunächst unangenehm gewesen waren oder sie sich beide gefragt hatten, wozu etwas gut war, schien sich irgendetwas zu bewegen, auch wenn Marie noch nicht vermochte zu sagen, was es war. Sie hatten über Vertrauen geredet und in einem Schaubild erarbeitet, wie sie ihre Beziehung ansiedeln würden, wo sie die Priorität hätte im Vergleich zu Job, Freunden und Herkunftsfamilie etwa. Vieles hatte Marie überrascht, als sie dann darüber geredet hatten. Sie hatte Felix manchmal total falsch eingeschätzt.

Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Where stories live. Discover now