Kapitel 44

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Kapitel 44

Sie schreckte aus dem Schlaf hoch und atmete schlagartig ein. Ihr Herz wummerte in ihrer Brust und ihr stand der Schweiß auf der Stirn. Sie schaute zur Seite, aber da war niemand. Dennoch tastete sie, ließ ihre Hand über die Bettdecke streichen, die sie nicht weggeräumt hatte, als Felix abgereist war. Ruhig, ganz ruhig jetzt. Sie rollte sich auf die andere Seite, zog die Decke von sich, ließ die Beine aus dem Bett baumeln, setzte sich auf. Sie fühlte sich als hätte sie mehrere Tassen Espresso getrunken, bevor sie sich hingelegt hatte. Aber so war es nicht. Sie fand das Nachtlicht, schaltete es an, blinzelte in die Helligkeit. Dann tippte sie ihr Handy an, sah die Uhrzeit. Halb drei. Was sollte das? Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Das Kleine schlief. Seltsam, dass es nicht wach geworden war, bei der Unruhe, die sie in sich trug. Nein, keine Sorge. Sie streichelte es. Da drin ist alles in Ordnung, richtig? Kein Grund aufzuwachen, nur weil deine blöde Mama bekloppte Träume träumt. Nein, sie wollte nicht daran denken. Sie stand auf und ging ins Bad.

Als sie sich die Hände wusch und sich dabei im Spiegel betrachtete, kamen ihr die Tränen. Sie wollte es gerne auf die Hormone schieben, aber die konnten auch nicht alles entschuldigen. Da war diese Gefühl von Beklommenheit, das es aus ihren Träumen heraus in die Wirklichkeit geschafft hatte. Sie wollte das nicht. Sie wollte nicht schluchzen. Sie sah die Tränen fließen, atmete ruhig, wusch sich dann das Gesicht und flocht sich ihre Haare neu. Alles gut. Nur ein wenig mehr Schlaf könnte sie noch brauchen.

Zurück im Schlafzimmer legte sie sich hin, halb auf den Rücken, halb auf die Seite, stützte sich auf das riesige Kissen, rutschte sich zurecht, bis es bequem war für sie beide. Das Baby regte sich in ihr. Offenbar war es ihm nun doch zu unruhig geworden. Alles gut. Halb drei. Es war die zweite Nacht ohne Felix. Er war jetzt in Berlin. Am Abend hatten sie noch miteinander geredet und den ganzen Tag über hatte er ihr immer wieder Nachrichten geschickt. Viel mehr als früher, fast so, als wollte er ihr etwas damit beweisen. Oder sich davon abhalten, etwas anderes zu tun. Vermutlich würde es selbst ihm schwer fallen, Marie eine WhatsApp zu schreiben und im selben Moment mit einer anderen Frau zu flirten. Obwohl... Fuck! Hör auf, Marie! Sie stöhnte laut auf, wollte damit ihre Gedanken übertönen, ließ es aus ihrer Kehle summen und brummen, ähnlich wie bei den Atemübungen, die sie im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte. Sie hatten sie an die Stimm- und Aufwärmübungen im Chor erinnert. Sie taten ihr gut, beruhigten und entspannten ihre Stimmbänder und ihr Zwerchfell. Das Kleine reagierte, oder vielleicht bildete Marie sich das auch nur ein. Jedenfalls schien es wieder zur Ruhe zu kommen. Aber Marie tat das nicht. Sie atmete ruhig, ja, aber da waren diese Bilder in ihrem Kopf, diese Gedanken. Sie streckte den Arm aus, ertastete ihr Smartphone und nahm es, entsperrte es. Sie wollte sich selbst davon abhalten, aber sie öffnete wie unter Zwang den Zugang zu Felix' Instagram-Profil, den er ihr einmal eingerichtet hatte, als eine Art vertrauensbildende Maßnahme. Offenbar war es mit dem Vertrauen nicht ganz so weit her. Es fühlte sich falsch an, in seinem Konto zu stöbern, aus seiner Ansicht heraus. Die Posts kannte sie, die Kommentare darunter auch, vor allem unter dem mit dem er vor nicht allzu langer Zeit öffentlich gemacht hatte, dass er vergeben war. Ihre beiden Hände auf der hölzernen Tischplatte, unten am Bach. Es war der aktuellste Post bisher. Marie zögerte nur kurz, dann ging sie in die DMs. Es dauerte eine Weile, bis sie sich zurechtfand, da ihr eigener Account definitiv anders aussah. Sie sah die verschiedenen Ordner und fühlte sich überfordert. So viele Nachrichten. Auch in der letzten Stunde waren welche eingegangen. Marie sah die Namen, die ihr nichts sagten, las die ersten Wörter der Nachrichten, die immer angezeigt wurden. Sie scrollte in einer Liste voller Nachrichten von Leuten, mit denen Felix offenbar schon mal geschrieben hatte. Marie sah die Profilbilder, klickte teilweise drauf, überflog ein paar Nachrichten, die aber nichtssagend waren. Viele Frauen, jung, gutaussehend oder zumindest in der Lage, sich in ein gutes Licht zu rücken, sich vorteilhaft zu fotografieren. Sie würde sich die jetzt nicht alle durchlesen. Stattdessen ging sie zurück zu den Posts, klickte auf den mit ihren Händen, schaute doch noch mal in die Kommentare, fand die neuesten. Herzchen, Glückwünsche, vereinzelt ein paar traurige Emojis. Und dann ein Kommentar mit ein paar mehr Worten, geschrieben vor nicht mal zwölf Stunden: Wow. Erst das hier und dann die News: Du bekommst Nachwuchs? DU? Wenn das ein Hilferuf sein soll: Blinzle bitte zweimal in deiner nächsten Story. Dann waren da mehrere Emojis, lachend, weinend, konfus und noch ein Send help!

Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Where stories live. Discover now