Kapitel 21

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Kapitel 21

Es klopfte. Ihre Augen brannten. Warum brannten ihre Augen nur so? Und warum war der Rest ihres Körpers so kalt? Jedenfalls... wo war sie gewesen? Ach ja. Sie wollte ans Meer. Solange das noch möglich war. Wenn sie in den nächsten Wochen fuhr, würde ihr Bauch noch nicht so dick sein, dass ihre Bewegungsfreiheit dermaßen eingeschränkt war. Vielleicht könnte sie Lucia überreden, mitzufahren. Aber nein, die hatte Paul und musste sicher auch arbeiten. Und überhaupt, es wäre sicher besser, wenn sie alleine fahren würde. Es klopfte. An der Ostsee war es schön gewesen im Winter. Überraschend schön. Aber auch etwas traurig. Es war aber auch eine angespannte Situation gewesen damals, so nachdem... Egal. Vielleicht an die Nordsee diesmal. Irgendein kleines Hotel an der Küste. Oder vielleicht eine Ferienwohnung auf einer der Inseln? Norderney, da waren René, Adrian und Céline früher öfter gewesen. Sie hatte Fotos gesehen. Es sah da sehr schön aus. Andererseits... so auf einer Insel? Und wenn mit dem Baby was war? Nein vielleicht blieb sie sicherheitshalber auf dem Festland. Es würde trotzdem schön sein dort. Sie musste sich noch einen neuen Badeanzug kaufen. Hoffentlich war das Meer wärmer als es hier gerade war. Es klopfte. Sie könnte auch ganz woandershin fahren. In die Berge? Ein See. Ein See inmitten der Berge, lange Wanderungen. Auf den Bergspitzen würde immer noch Schnee liegen, wie damals, als... Nein. Es klopfte. Vielleicht könnte sie nach Schweden fliegen. Aber mit Lucia wäre es dort schöner. Vielleicht später mal wieder, wenn das Kleine auf der Welt war und nicht mehr so winzig. Oder vielleicht nach Irland? „Marie, bitte mach auf!" Vermutlich war es dort im Juni angenehm warm. Die grünen Wiesen, die man immer sah, wenn irgendwo von Irland die Rede war, sahen doch nach einem gesunden, angenehmen Klima aus. Es klopfte. „Marie, bitte sag was!" Oder Schottland. Da war es doch ähnlich. Edinburgh. Die Stadt sollte schön sein. Vivi und Nils waren mal dort gewesen. Eine schöne Stadt und dann konnte man Ausflüge rundherum machen. Aber sie müsste dahin fliegen. Das war nicht so gut, wenn man schwanger war, oder? Und wenn was war mit dem Kind... Nein, sie sollte in Deutschland bleiben. Es klopfte. Warum klopfte es? „Soll ich Susanne holen? Marie, ernsthaft, wenn ich nich gleich was von dir höre, trete ich die Tür ein!" Marie schreckte hoch. Was? Sie schaute in die Richtung, aus der die Stimme und das Klopfen kamen, lauter und lauter. Sie war in ihrem Schlafzimmer, ja. Was? Was hatte die Stimme da gesagt? Felix... Marie schlug die Decke zurück und schob sich aus dem Bett, ging zur Tür und drehte den Schlüssel um, ehe sie wieder zurück Richtung Bett ging. Ihre Beine fühlten sich schwach an und sie konnte nicht wirklich klar sehen. Noch bevor sie sich wieder hingesetzt hatte, hörte sie die Tür. Sie zog die Beine hoch aufs Bett, legte sich wieder hin und deckte sich zu. Ihr war kalt. Ja, sie sollte ins Warme fliegen. Nein, nicht fliegen, das lieber nicht. Fahren. Mit dem Zug. Oder besser mit ihrem Auto. Ja, sie hatte ja jetzt ein Auto. Das war gut. Da konnte sie so viel Gepäck mitnehmen, wie sie brauchte für zwei, drei Wochen, vielleicht länger. Auch den Laptop, dann konnte sie schreiben, falls sie denn wollte. Also dann ans Meer. An die Nordsee. Vielleicht irgendein Kurort. Gab es an der Nordsee Thermalquellen? Ihr war kalt. So ein warmes Thermalbad war schön. Damals in Tirol hatten sie... Nein. Sie würde sich ein Häuschen mieten, oben an der See, und dann würde sie den ganzen Tag nur tun, was ihr gut tat. Spazierengehen und lesen und... Etwas bewegte sich vor ihren Augen, hektisch, winkend irgendwie. „Marie?" Sie blinzelte und ihre Sicht wurde klarer. Felix. Nein. Wo war sie gewesen? An der See, ja. Was? Was wollte sie machen? „Marie? Was ist mit dir? Redest du nicht mehr mit mir?" Sie blinzelte erneut. Sie lag auf der Seite, die Bettkante vor ihrer Nase, hielt Sammy unter der Decke fest umarmt. Und vor dem Bett auf dem Boden hockte Felix, der sie ansah. Er sah ihr direkt ins Gesicht. Warum war er so nah? Das war nicht gut. „Geht es dir... geht es dir gut?" Gut... Gut? Marie spürte, wie sich etwas in ihrem Brustkorb sammelte. Es stieg ihre Luftröhre hoch. Sie begann zu schluchzen, gerade als die Tränen wieder zu fließen begannen. „Hey..." Seine Stimme war sanft, so sanft. Wie konnte er nur... Wie konnte er nur gleichzeitig so sanft sein und dann... „Was kann ich machen, hm? Was... fuck, es tut mir so leid, ja? Ich..." Marie schaute ihn an, ohne den Kopf zu bewegen. Sie sah ihn wie durch einen Schleier. Sie blinzelte, damit es klarer wurde, aber es half nur bedingt. Weinte er auch? Oder war das nur sie? Es war seltsam, so seltsam. Und ihr war weiter kalt. „Du zitterst." Ja. „Soll ich..." Marie hörte ihn atmen, tief, ganz tief. Wenn sie an die See fuhr, würde es warm sein, ganz sicher. Es würde dann ja schon Sommer sein und sie würde froh sein über den frischen Wind an der See. Felix verschwand aus ihrem Sichtfeld. „Erschreck dich nicht, ja?" Wovor sollte sie erschrecken? Wovor noch Angst haben? Um ihr Kind, ja. Aber dem ging es gut, das spürte sie. Ruhig, ganz ruhig. Es schlief. Die Matratze bewegte sich und dann spürte Marie eine Umarmung, von hinten, eine Umarmung, die sie in ihrer Decke einhüllte. „Ich gehe weg, wenn du das willst. Aber eigentlich kann ich dich so nicht alleine lassen, also... bleib ich bei dir, ja? Bis du wieder reden willst. Oder kannst. Weiß nich, was das is. Schock vielleicht? Oder Panikattacke? Aber da sahste immer anders aus. Aber... egal wie, ich bleib jetzt, ja?" Sie spürte, wie er näher an sie rückte, sie regelrecht umklammerte mit seinem Arm. Langsam fühlte sie Wärme. Felix. Sie fiel. Sie fiel tief und tief und tief nach hinten, landete mit dem Rücken in einem weichen Federbett. Umarmt. Sie fühlte sich umarmt und warm und beschützt. Sie ließ los und sank nach hinten. Sie spürte Felix hinter sich, seine Wärme. Das war gut. Sie sollte ihn mitnehmen an die See. Ja, so sollte es sein. Sie sollten zusammen fahren. Sie sollten zusammen sein. Wenn sie jetzt die Augen schloss, würde sie aufwachen und alles würde wieder richtig sein. Sie hatte es nie gesehen, nie erfahren. Und vor allem hatte er es nie gemacht, nie gelogen, nie, nie, nie hätte er sie so hintergangen. Nicht ihr Felix. Er liebte sie. Er liebte sie doch. Marie bewegte sich, schob sich ein wenig nach hinten, in seine Umarmung, schmiegte sich so gut es ging an ihn. So. So sollte das sein. Sie schloss die immer noch brennenden Augen. Ihre Nase war kalt und ihre Füße. Aber der Rest ihres Körpers wurde langsam warm. Sie hörte auf ihren Herzschlag, zählte ihn, bis sie einschlief.

Sie wachte auf und alles war gut. Es war warm. Angenehm warm. Nein, fast ein bisschen zu warm langsam. Sie rutschte ein wenig nach oben, brachte den Arm, der sie festgehalten hatte, dazu, sie loszulassen, damit sie die Decke runterstreifen konnte. Sie drehte sich um, vorsichtig. Erst auf den Rücken, dann auf die andere Seite. Felix lag ihr gegenüber, schaute sie an, lächelte lieb. Vielleicht wollte er was sagen. Marie strich sich mit der Hand über den Bauch, ehe sie sich auf den Ellenbogen stützte, sich etwas weiter zu Felix schob, der sie anstarrte. Dann küsste sie ihn. Einen Moment reagierte er nicht, aber dann stieg er ein. Sie küssten sich mit weichen Lippen und sanften Zungen. Bald spürte Marie wieder seinen Arm, den er an ihrem Ellenbogen vorbeischob, sie so umarmte. Marie legte ihren Arm auf seinen Oberkörper, kam ihm etwas näher, während Felix sich auf den Rücken fallen ließ. Sie schaute ihn immer nur flüchtig an, selbst wenn sie die Küsse wenige Sekunden unterbrachen, streichelte blind Felix' Wange, sein Schlüsselbein, tastete sich wieder nach unten und ließ ihre Hand auf seinem Bauch ruhen. Sie spürte, wie er atmete, halb unter ihr, wie sich alles etwas hob und senkte. Die Gefühle, die sie überkamen, waren gut. Es begann an ihren Lippen, flutete ihren Kopf, ließ sich als Kribbeln in ihrem Nacken Zeit. Und dann tauchte da dieses altbekannte Flattern in ihrem Bauch auf. Nicht das, was sie manchmal von ihrem Kind spürte. Nein, da waren zwei andere Orte, zwei verschiedene Gefühle, die sich nicht erklären ließen. Die Fledermäuse waren wieder da. Sie brachten alles in ihr zum Schwingen, ihr Herz und das, was für ihr Wollen und Sehnen zuständig war, viel tiefer in ihr. Felix' Hand hatte den Weg zu ihrem Kopf gefunden, hielt sie fest, streichelte sie, während er das Küssen offenbar genoss, denn er bekam ganz eindeutig nicht genug davon. Marie begann, ihn zu streicheln, seinen Bauch, sie nahm die Muskeln unter dem Stoff wahr, die sich anspannten. Dann ließ sie ihre Hand tiefer gleiten, der Stoff wechselte und als sie den Arm ganz ausgestreckt hatte, fand sie die Wölbung, die sich warm unter seinen Shorts erfühlen ließ, und die zu wachsen schien, während Marie mit ihren Fingern darüber strich. Währenddessen küssten sie sich weiter, und Felix wurde fordernder, irgendwie rauer, spreizte die Finger über Maries Wange, ihr Ohr, ihren Hinterkopf, hielt sie fest, stützte mit dem anderen Arm ihren Rücken. Marie rieb noch einmal über die deutliche Beule in seiner Hose, dann strich sie mit der Hand wieder nach oben, tastete sich voran, bis sie den Saum des Shirts fand. Sie fuhr darunter, streifte es etwas hoch, fühlte seine warme Haut und verharrte schließlich auf seiner Brust, wo sie seinen Herzschlag fühlen konnte. Sie schmiegte sich näher an ihn, versuchte eine bequeme Position zu finden. Sie spürte seine Lippen, seine Zunge, die härter und drängender wurden. Ihre eigenen Lippen waren längst geschwollen. Wieder ließ sie ihre Hand nach unten streichen, rasch diesmal, über seinen Bauch bis zum Saum seiner Shorts. Mit einem Finger fuhr sie darunter. Da drehte Felix plötzlich den Kopf weg, unterbrach so den Kuss. Marie zuckte regelrecht zurück, nahm ihre Hand weg, hievte sich etwas weiter hoch, weg von ihm, der aber noch immer seine Hand an ihre Wange hielt, nur ganz federleicht noch.

„Willst du das wirklich?", fragte er und sah sie dabei an.

„Natürlich will ich das", sagte Marie trotzig, aber ihre Stimme war eingerostet, und es kam mehr wie ein Rauschen heraus. Sie bemühte sich um ein Lächeln und legte ihre Hand wieder auf seinen Bauch.

Felix griff nach ihrem Handgelenk, während er Marie weiter skeptisch anstarrte. „Bist du dir sicher?"

Sie blinzelte. Und auf einmal wusste sie nicht mehr, was sie da gerade tat.



Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Where stories live. Discover now