Kapitel 11

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Kapitel 11

Marie fuhr von der Landstraße ab und folgte dem inzwischen schon so vertrauten, etwas kurvigen und engen Weg zum Hof. Sie sah etwas Weißes hinter den Büschen aufblitzen, schon ehe sie in die Einfahrt eingebogen war. Felix stand da, an sein Auto gelehnt, die Arme verschränkt und lächelte. Marie parkte neben ihm und stieg aus. „Sorry, dachte, ich bin eher wieder hier. War noch einkaufen und..." Sie hob den Blick, merkte, dass Felix zu ihr gekommen war, überraschend nah. „Ähm... ja. Hi!" Sie lächelte.

„Hey." Er lachte und zeigte dabei den Großteil seiner Zähne.

„Gut...äh..." Marie räusperte sich, musste schlucken. Sie hielt Felix ihren Schlüssel hin. „Hier, kannst schon hochgehen. Weiß ja, was dein Problem bei so langen Autofahrten ist, also..."

„Was?" Er nahm den Schlüssel, sah sie aber verständnislos an, ehe er plötzlich erneut grinste. „Ach so, du meinst ick muss pissen."

„Mhm." Marie ging nach hinten und öffnete den Kofferraum.

„Wolltest du dit janze Zeug etwa alleene hochschleppen?" Er war ihr gefolgt und schaute etwas fassungslos auf den bis oben vollgestopften Kofferraum.

„Äh... ja? Nicht alles auf einmal, aber... ja. Hier ist eben kein Supermarkt direkt um die Ecke. Großeinkäufe sind echt mein Ding."

„Ja, aber du sollst nicht..."

Als er nicht weiterredete, drehte Marie sich zu ihm und sein Blick traf sie. Er schaute ihr in die Augen. Irgendwas darin war so wahnsinnig weich und warm, dass es Marie verwirrte. So einen Blick hatte sie noch nie bei ihm bemerkt. Aber dann wanderte sein Blick weiter nach unten und Marie musste lachen. „Okay, ja. Machst du dir deswegen Sorgen? Ich pass schon auf, ja? Ich trag nicht zu schwer. Du musst da keine Bedenken haben. Ich bin gesund, das Kind ist gesund. Da kann ich schon noch das meiste so machen wie bisher. Ich wechsle keine Reifen oder so und Wasserkästen würde ich auch nicht schleppen."

„Man sieht es jetzt", sagte Felix leise. „Eindeutig. Is gewachsen."

„Ja, planmäßig." Marie musste lächeln. „Drei Wochen ist es her, oder? Ja, das Kleine wächst wirklich."

Felix' Blick blieb noch einige Sekunden starr auf ihre Körpermitte gerichtet, ehe er wie aus Gedanken erwachend heftig einatmete und sich dann räusperte, ehe er Marie den Schlüssel zurückgab und dafür gleich drei der Taschen aus dem Auto nahm. „Ick helf dir jedenfalls", stellte er klar.

„Gut. Danke." Marie nahm zwei Packungen Toilettenpapier und Küchenrolle und ging dann voraus zur Haustür.


„Alles verstaut", stellte sie fest und schloss die Schranktür.

„Jut." Felix nickte und schaute sich um. „Äh... ach so, muss noch mein Zeug aus dem Auto holen. Fast vergessen." Er verschwand aus der Küche.

Marie sah ihm hinterher, auch als er längst nicht mehr zu sehen war. Sie hörte, wie er die Wohnungstür öffnete und dann seine raschen Schritte im Flur, federnde Sprünge die Treppe hinunter. Sie wandte sich ab, holte Gläser aus einem der Oberschränke, ließ kaltes Leitungswasser in den Glaskrug laufen. Er war wieder hier. Früher als gedacht. Er hatte sich erst heute Morgen angekündigt. Und sie wusste noch immer nicht, was sie fühlen sollte. Nein. Sie konnte das eh nicht steuern. Gerade war es gut. Die Freude darüber, dass er da war und ihr bei einigen Dingen helfen wollte, überwog die Angst, dass sein Anblick in ihr Wut, Trauer oder gar Panik auslösen könnte. Es war ruhig in ihr. Sie hatte viel darüber nachgedacht in den letzten Wochen und auch mit Lucia und vor allem ihrer Mutter geredet. Die war auch der Überzeugung, dass das Kind nun mal gerade alle Aufmerksamkeit auf sich zog, alles auf sich fokussierte. Und dass es da sogar egal war, wenn Marie eigentlich dem Vater gegenüber ganz anders fühlen müsste und Dinge zu verarbeiten hatte. Dennoch blieb da dieses unterschwellige Gefühl, diese leise Stimme, die Marie warnte, dass das hier nicht auf Dauer gut gehen konnte. Oder zumindest nicht leicht werden würde. Da war so viel Liebe gewesen, so viel Liebe, die sie für Felix empfunden hatte und immer noch empfand, auch wenn sie sie hinter einer Mauer versteckt hatte. Und da war Wut gewesen. Und Trauer und Verzweiflung, Hilflosigkeit. Verlust. Das war alles noch in ihr, sie spürte das Echo. Wie absurd war es, dass sie nun aber dennoch hauptsächlich Freude empfand, weil er da war?

Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Where stories live. Discover now