Kapitel 16

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Kapitel 16

Marie wachte auf. Sie atmete schwer, ihr Herz schlug zu heftig und sie fühlte sich schwitzig. Angst. Sie hatte etwas geträumt. Aber was? Sie setzte sich im Bett auf, machte das Licht auf ihrem Nachttisch an. Es war so unruhig. Regen schlug gegen die Rollläden und der Wind rüttelte daran. Angst. Was war da gewesen? Sie fuhr sich über die klebrige Stirn. Ihre Augen waren auch geschwollen. Sie hatte geweint im Schlaf. Ihr Herz schlug noch immer zu schnell, zu kräftig. Sie schob die Beine aus dem Bett, lehnte sich zurück, um besser atmen zu können. Ganz ruhig. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Ganz ruhig, kein Grund zur Panik. Die Straße, sie im Auto und auf einmal drehte sich alles und tat weh. Regennasse Straße. Nein. Es war Winter gewesen damals, Weihnachten. Es hatte nicht geregnet. Sie sah wieder, wie sich alles drehte. Da waren Häuser, hohe Häuser in einer Stadt. Nein. Es war nicht in der Stadt gewesen, sondern mitten auf einer Landstraße, im Nirgendwo. Es war nur Regen, den sie hörte, jetzt. Sie musste ihn in ihren Traum eingebaut haben, ja.

Sie griff nach dem Glas auf ihrem Nachttisch, trank einen Schluck. Dann stand sie auf, langsam, vorsichtig. Ihr war nicht schwindelig, gut. Sie ging ins Bad, wusch sich das Gesicht, zog sich dann auch das Oberteil aus, wusch ihre Schultern, ihren Rücken. Besser. Sie trocknete sich ab, ehe sie sich wieder anzog und ins Schlafzimmer zurückkehrte. Eine heftige Böe ließ den Rollladen erzittern. Alles gut. Diese Scheune war aus Stein gebaut.

Als sie wieder im Bett lag, ließ sie das Licht zunächst an. Sie wollte nicht, dass der Traum zurückkam. Einatmen, ausatmen. Alles gut. Ihr Herz hatte sich noch immer nicht beruhigt. Sie spürte die Angst. Und die Traurigkeit. Das war nicht normal. Ja, vielleicht lag es auch an der Schwangerschaft. Normalerweise hätte sie jedenfalls nicht bei dieser Tierdoku so dermaßen geheult wie heute Abend. Aber es war nicht nur das. Es war die ganze Situation. Und ja, es war Felix. Er lag im Gästezimmer. Nur ein paar Meter entfernt von ihr. Nein, sie sollte nicht an ihn denken. Sie sollte schlafen. Sie löschte das Licht.

Sie saß im Zug nach Berlin. Sie nahm ihr Handy und schrieb Felix, dass sie früher zurück sein würde. Und alles war gut. Nein. Doch. Wenn sie damals nicht... Nein. Ein Tag im Dezember, eine falsche Entscheidung. Nein. Es war nicht nur das gewesen. Nur weil man die Augen verschließt, heißt das nicht, dass das Problem nicht existiert. Vielleicht hätte er aufgehört, sie zu betrügen, sobald er erfahren hätte, dass sie schwanger war. Und? Hätte es das besser gemacht? Nein. Marie drehte sich auf die Seite. Wenn sie früher mit ihm mitgefahren wäre, ihn auf Tour begleitet hätte. Nein. Wenn sie ihm von Anfang an gesagt hätte, dass es okay wäre, wenn er ihr nicht treu war. Aber es war nicht okay für sie. Also: Nein. Wie sie es drehte und wendete – das mit Felix und ihr war zum Scheitern verurteilt gewesen. Warum tat es dann trotzdem noch so weh? Warum suchte sie immer noch nach Lösungen, wo es keine gab? Fuck. Ganz ruhig, Keks. Sie streichelte ihren Bauch. Kannst weiter schlafen. Aber sie konnte das nicht. Sie machte das Licht wieder an und rollte sich aus dem Bett.

Sie bemühte sich, leise zu sein, als sie in den Flur trat und hinüber in die Küche ging. Sie machte das Licht über dem Herd an, das nicht besonders hell war, und schaute dem Regen zu, der gegen die Scheiben klatschte. Hier hatte sie die Rollläden nicht heruntergelassen am Abend. Sie sah an sich herab, zu ihrem Bauch, auf den sie ihre linke Hand gelegt hatte. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. Viel zu sehr, viel zu heftig. Ruhig. Sie nahm ein Glas, ließ Wasser hineinfließen aus dem Hahn und trank es dann in kleinen Schlucken. Es half nicht. Sie öffnete den Kühlschrank. Aber da war nichts, was sie jetzt beruhigt hätte, kein Soulfood. Die Bolognese hatten sie komplett aufgegessen. Und überhaupt – sie würde jetzt nicht anfangen, mitten in der Nacht zu kochen, damit sie etwas Warmes und Beruhigendes bei sich hatte. Warm. Sie füllte den Wasserkocher, stellte ihn an, nahm einen Teebeutel und eine Tasse aus dem Schrank. Der Wind heulte und irgendwo klapperte etwas, es schepperte, als wäre etwas umgefallen. Sie dachte an die Tomaten auf dem Balkon, die in einem kleinen Frühbeetkasten geschützt waren vor Regen. Hoffentlich auch vor dem Sturm.

Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Where stories live. Discover now