Kapitel 6

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Kapitel 6

Ein paar Minuten nachdem Marie das Gespräch mit Julian beendet hatte, saß sie noch immer auf der Couch und nippte an ihrer Teetasse. Ihr Herz klopfte. Vielleicht war es ganz gut, dass sie jetzt wieder mit ihm in Kontakt trat, ohne das vorher tagelang geplant zu haben. Sie stellte die Tasse ab und griff nach ihrem Handy.

Marie: Hallo Felix. Ist komisch, dir zu schreiben. Aber ich muss einfach wissen, wie es dir geht. Ich weiß nicht, wie du dazu stehst, aber ich fände es gut, wenn wir mal wieder reden würden. Ich hoffe einfach, dass es dir gut geht. Liebe Grüße, Marie

Sie hatte den Tee gerade ausgetrunken, als eine Antwort einging.

Felix: Hey! Meinst du mit reden telefonieren? Weil, dann würd ich dich einfach jetzt anrufen.

Marie atmete durch. Ihr Herz schlug schneller. Beruhige dich, das geht jetzt wirklich nicht, dass du dich so aufregst. Sie zog die Beine aufs Sofa und eine Wolldecke über sich, ehe sie die Antwort tippte.

Marie: Dann mach das.

Es dauerte nur Sekunden, da erklang die Melodie. Einatmen, ausatmen. Marie nahm ab und verschluckte sich fast, als sie versuchte zu reden. „Ha... hallo."

„Hey." Felix machte ein Geräusch, von dem Marie nicht sicher war, ob es eher auf ein Lachen oder ein Weinen hindeutete. Es rührte sie jedenfalls auf eine seltsame Art. „Is schön, dass du dich meldest."

„Mhm." Marie musste sich räuspern. „Ja, ich dachte... weiß nicht, hab an dich gedacht."

„Das ist... weiß nicht, aber... ja, is total schön, also... deine Stimme zu hören."

„Hm." Sie räusperte sich erneut.

„Bist du erkältet?"

„Äh... weiß nicht, vielleicht ein bisschen, ja. Äh... ja, ich wollte ja wissen, also... wie es dir so geht, ja?"

Es herrschte eine Weile Stille in der Leitung. „Is grade schwierig", sagte er dann leise.

„Ja, versteh ich."

„Mhm." Er atmete hörbar durch. „Und... äh... was... also was machst du so? Und... wo bist du jetzt überhaupt? Also, versteh schon, wenn du mir das nicht sagen willst. Wobei, also ich bin kein Stalker, glaub ich, also... ja."

„Natürlich sag ich dir das. Ich bin vor ein paar Tagen in eine eigene Wohnung gezogen. In der Gegend, wo ich aufgewachsen bin."

„Bei deiner Familie also. Westerwald."

„Ja."

„Das ist gut."

Marie lächelte. „Ja, aber ist auch gut, dass ich nicht direkt bei ihnen wohne."

„Ja, verstehe. Brauchst auch deine Ruhe, wa?"

„Mhm." Sie musste schon wieder lächeln, einfach, weil er sie verstand. „Und... was machst du so? Oder hast du in letzter Zeit so gemacht?"

„Nich viel. Grade keine Comedy oder so. Wollte ja eh Pause machen und... ja, jetzt... weiß auch nich. Gammel halt so rum irgendwie."

„Klingt nicht so gut."

„Nein, ist auch nicht so gut."

Marie wusste nicht weiter. Es brachte doch nichts. Sie würde ihn nicht dazu bringen, sich aufzuraffen, wenn sie die Ursache oder zumindest einer der Gründe dafür war, dass es ihm gerade so schlecht ging. Sie hörte es in seiner Stimme, diese Niedergeschlagenheit. Es war wie ein Echo, denn sie fühlte dasselbe, noch immer und immer wieder, auch wenn es in den letzten Wochen langsam etwas gedämpft worden war. Sie war ja gut abgelenkt gewesen. Und nie wirklich allein.

„Ick würd dich gerne sehen", sagte er plötzlich, ganz leise.

„Hm?"

„Na ich... weiß auch nicht."

Marie brach es beinahe das Herz. Erneut. Aber so ein Herz bestand ja wohl aus vielen Teilen, die brechen konnten. Sie zog die Decke enger um ihre Beine, stopfte sie um sich herum fest, strich über ihren Bauch, in dem sich das altbekannte Flattern meldete. „Willst du mich mal besuchen?", fragte sie schnell, bevor sie der Mut verließ. Es musste ja sein, das wusste sie. Und sie sollte sich nichts vormachen. Sie sehnte sich nach ihm. Und sie wollte sehen, wie es ihm ging, mit eigenen Augen und ohne, dass er vielleicht am Telefon so tat als ob. Wobei... offenbar hatte sie ja die ganze Zeit nicht erkannt, wenn er sie anlog, selbst wenn er ihr gegenübersaß. Sie spürte einen Stich und zuckte zusammen.

„Was?", fragte er, offenbar überrascht.

Sie atmete durch. „Ich würde auch nach Berlin kommen, aber irgendwie... wäre das komisch, weißt du? Und... also wir könnten uns auch in Köln treffen, klar, wenn dir das lieber ist. Vielleicht bist du ja demnächst noch mal da? Oder wir-"

„Nein, also... klar komm ick dich besuchen." Es klang jetzt so, als würde er sich wirklich freuen. „Ick... hab doch eh nüscht Besseret zu tun, also... nee, dit klingt jetzt falsch, aber... also dit ist hier allet jerade scheiße und... ja, ick würde dich echt gerne wiedersehen."

Marie grinste, weil sie sich so freute, dass er immer mehr berlinerte. Ihr war nicht klar gewesen, dass sie das so sehr vermisst hatte. „Okay, das ist gut. Wann hättest du denn Zeit?"

„Na... also ick könnte morgen Früh losfahren, also... nee, warte, also vielleicht sollte ick erst... äh... vielleicht übermorgen?"

„Also bei mir passt das."

„Okay, dann, ähm... machen wir das so."

„Ja, gut." Marie rieb sich über die Knie. „Dann... sag mir übermorgen am besten einfach Bescheid, wenn du abschätzen kannst, wann du da sein wirst. Oh und ich schick dir dann gleich noch die Adresse."

„Gut. Dann... also ich freu mich, ja?"

„Ja. Ich mich auch." Marie kniff die Lippen aufeinander. „Tschüs."

„Ja, tschüs."

Marie legte das Telefon neben sich auf die Couch, ließ dann den Kopf nach hinten fallen und starrte an die Decke. Sie wusste nicht, ob sie gerade im Begriff war einen riesigen Fehler zu begehen. Sie wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. Und sich selbst auch nicht. Aber sie musste sich um ihn kümmern und ihm ins Gewissen reden, ihm vielleicht klar machen, dass Selbsthass und sein ungesundes Verhalten keine Lösung sein konnten. Sie schaute wieder geradeaus. Ja, es war aus zwischen ihnen. Aber das hieß eben nicht, dass er ihr egal war. Absolut nicht. Sie wünschte ihm nur das Beste. Und das sollte sie ihm vielleicht mal sagen. Sie bezweifelte, dass Felix tatsächlich denken könnte, sie würde ihn hassen, so wie Julian es behauptet hatte. Wenn er bei ihr war, würde sie hoffentlich alle Zweifel dahingehend ausräumen können. Und dann würden sie reden. Vielleicht konnten sie überlegen, wie sie eine Art von Freundschaft aufbauen konnten. Eigentlich mussten sie das sogar. Irgendwie würden sie doch immer Teil des Lebens des jeweils anderen sein.



Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt