99. Dragan

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Maro

„Das noch!", rief Atayo mir zu und deutete auf eine weitere Ruine. „Das ganze Ding?", fragte ich schockiert und sah an den Himmel. Da die Werwölfe heute alle zu spät angetreten waren hingen wir etwas im Plan. Demnach war es auch schon sehr spät und die Sonne würde bald hinter den Wipfeln verschwinden. „Wir müssen aufholen. Sorin kann jeden Tag ankommen.", erwiderte mein Bruder und lief weiter über die riesige Baustelle. Ebenso wie Vanja. Jedoch war er weniger ein Schreihals wie mein Bruder. Mehr schaute er wo Hilfe gebraucht wurde und half selber oder aber schickte Verstärkung. Man sah deutlich, dass Werwölfe sich in mehr als einem Punkt von den Vampiren unterschieden. Sie waren Rudeltiere. Sie halfen sich und waren für einander da.

Seufzend ließ ich mich gegen eine Fassade sinken und beobachtete Vanja weiter. Ich konnte mir Sorin in dieser Position nicht vorstellen. Er war der Laufbursche von meinem Bruder. Der Geschlagene. Blutend, hängend in unserem Keller. Das Arschloch, dass mit meiner Freundin geschlafen hatte. Dessen Brut sie ausgetragen hatte. Er war kein Teamplayer, niemand der anderen half. Er schadete jedem dem er über den Weg lief.

Ich hatte den armen Jungen nicht gesehen, aber sie sprachen über ihn. Schon jetzt. Einige fürchteten sich deswegen vor den Werwölfen. Sie dachten, sie seien wie Sorin. Doch niemand war wie er. Vanja zum Beispiel war das komplette Gegenteil.

„Alles klar bei dir?", vernahm ich seine dunkle Stimme. „Ist es die Hitze? Ihr seid Nachtwesen, richtig?", harkte er nach und trat zu mir in den Schatten. „Hauptsächlich sind wir zur Zeit unterirdische Wesen.", erwiderte ich und nahm das Wasser entgegen, dass er mir reichte. Es war selten, dass wir dieses zu uns nehmen mussten. Aber bei der Hitze war es eine gute Idee. „Verstehe, dennoch ist eure Haut sehr empfindlich. Ihr alle werdet Sonnenbrand bekommen.", sagte Vanja und musterte grinsend meine Stirn. Ich nickte leicht und nahm einen großen Schluck. Dann sah ich wieder zu dem Werwolf. Sein Blick glitt über die Hütte hinter mir, bevor er sagte: „Ihr macht gute Arbeit. Cirah sagte, ihr lebt eigentlich in sehr alten Häusern und musstet euch nie Gedanken um das Bauen von Gebäuden machen. Aber dafür sehen sie echt nicht schlecht aus. Wir sind damit aufgewachsen unsere Häuser selber zu bauen." Ich nickte langsam und sah mir ebenfalls die Fassade an. Man merkte es der Bauweise an, dass die Wölfe Ahnung davon hatten. Sie waren stabil und für jedes Wetter gemacht. Es dauerte nicht lange sie hoch zuziehen und man konnte auch, wenn noch nicht alle Wände standen darin wohnen. Sie boten viel Platz auf wenig Grund. Dazu ließen sie sich sehr gut nebeneinander stellen.

„Alles klar?", fragte er erneut. Verwundert hob ich meine Augenbrauen und erwiderte: „Was? Ich dachte, das war rhetorisch." Vanja schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, es war nicht rhetorisch. Ich habe dich schon eine Weile im Auge. Irgendwas stimmt nicht." „Ähm... wie darf ich das verstehen?", fragte ich verwirrt. „Kann sein, dass es mich nichts angeht. Ich habe nur beobachtete wie du über den ganzen Tag immer unkonzentrierter wurdest und du scheinst nicht mit deinem Bruder zu reden.", erwiderte er und deutet auf Atayo. Er wusste schon jetzt wie die Familienverhältnisse waren?

Verwundert folgte ich seiner Geste und sah dann zu ihm zurück. „Es ist nichts Wichtiges. Ich denke, meine Arbeitsbereitschaft sinkt nur mit jeder Stunde mehr.", erwiderte ich leise und musterte ihn aufmerksam. „Du kennst Dragan.", stellte er fest und verschränkte die Arme. Ich nickte langsam und beobachtete erleichtert, dass er keine warnende Körpersprache an den Tag legte. „Du wirst nicht alleine sein. Einige seines Rudels meiden ihn. Ich war da. Offensichtlich war es anfangs nicht so. Aber an dem Tag an dem wir ankamen, passierte das mit Valea, dem Jungen. Sein Rudel ist verängstigt. Er wird sich ändern müssen und er wird es tun. Es ist nicht seine Absicht. Er hat nur keine Ahnung.", erklärte er und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Es muss schon schwierig sein als Vampir in ein Rudel hinein zu wachsen.", murmelte er und sah wieder zu Atayo. „Selbst Familie ist für euch...", setzte er an und lächelte leicht ohne weiter zu reden. „Familie ist für uns alles. Nur sind wir nicht grade die vorzeige Familie. Lass dich davon nicht täuschen.", erwiderte ich und griff nach der Werkzeugtasche, die mehr ein Stoffbeutel war als alles andere. „Außerdem ist Sorin kein Vampir.", fügte ich leise hinzu bevor ich Vanja stehen ließ und mich auf den Weg zu der nächsten Ruine machte.

Ziemlich lustlos machte ich mich daran die unbrauchbaren Wände gänzlich abzureißen. Das Gespräch hatte mir deutlich gezeigt, dass ich auf diese Arbeit keine Lust hatte weil sie für Sorin war. Den Vampirhund. Für Vanessa hatte ich mich zusammen gerissen, doch das war so lange her und die Wut hatte sich mit jedem Jahr mehr aufgebäumt.

Immer mehr und jetzt grade war ich mir nicht sicher was ich tun würde, wenn er vor mir steht. Oder sie.

Vanessa.

Kurz hielt ich inne. Sie musste bei ihm sein. Sie würde ebenso herkommen. Ich würde sie wiedersehen. Vorausgesetzt, dass Sorin sie aus dem Festival gerettet hatte. Aber davon ging ich einfach mal aus. Sie waren vor uns weg. Nur deswegen war ich bei Atayo geblieben. Genau wie Eric waren sie vor uns vom Platz gefahren und wir blieben alleine zurück.

„Hey!", schallte es über die Lichtung. „Sie kommen!", kam es kurz später dazu. Sofort fuhr mein Blick hinauf. Hecktisch suchte ich den Lichtungsrand ab und erkannte kurz darauf mehrere Gestalten.

Im Augenwinkel sah ich Vanja zügig auf die Gruppe zugehen. Ebenso wie Atayo. Also ließ ich mein Werkzeug fallen und folgte.

Ziemlich schnell erkannte ich den dunkelhaarigen unter den Leuten. Seine Haaren waren zu einem Knoten gebunden und entblößten seine Narbe. Der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte damit schon fast einschüchternd, wenn ich ihn nicht auch schon anders gesehen hätte. Dazu wusste ich ganz genau was das für ein Gefühl war, dass in seine Augen stieg als er meinen Bruder entdeckte.

„Dragan.", hörte ich Vanja sagen. „Minin.", erwiderte er mit dunkler Stimme und ließ dann seinen Blick über die Lichtung gleiten. „Deine Leute können für eine Weile im Bunker unterkommen. Zumindest die, die wir nicht in die Hütten bekommen.", sagte Atayo und trat etwas näher. „Sie werden hier oben bleiben. Wir sollten keine Konflikte provozieren.", erwiderte Sorin und sah weiter durch die Anwesenden. Bis sein Blick auf mich fiel. Kurz schluckte er fest bevor er wieder zurück sah. Mit eine einfachen Bewegung deutete er seinen Leuten an sich auf der Lichtung her zurichten. Somit standen wir bald nur noch zu siebt an diesem Ort. „Galina Solokow und ihr Sohn.", stellte Sorin die fremde Frau vor. Vanja nickte verstehend ebenso wie Atayo. Doch mein Blick bohrte sich nur immer tiefer in Sorins Schläfe. Ziemlich klar sah ich das Mädchen an seiner Seite und es war kaum zu übersehen wer sie war.

Langsam trat ich etwas näher und zog so wieder Sorins Aufmerksamkeit auf mich. „Sind das alle?", fragte ich dunkel und bedrohlich. „Maro.", hörte ich meinen Bruder warnend sagen. „Sind es nicht genug für dich?", erwiderte Sorin und legte einen Arm um das junge Mädchen. „Wo ist Vanessa?", knurrte ich leise. Sorin sah kurz auf seine Tochter hinab bevor er ohne mich anzusehen sagte: „Die Jäger haben sie vor ein paar Wochen geholt." „Und du schaffst es nicht...", fing ich an zu brüllen. Doch Vanja schlug mir seinen Arm vor die Brust. „Keine Konflikte. Nicht hier. Wir stellen ihn nicht in Frage. Auf dieser Lichtung sind sechs Rudel. Du willst sie nicht führerlos erleben.", knurrte er leise und drückte mich zurück. Doch ich musste dennoch ein Vorwurf los werden. „Du hast es versprochen. Du sagtest, du würdest auf sie achten.", rief ich und schlug Vanjas Arm fort. „Maro, wir leben in dem selben Risiko. Du weißt, dass niemand sicher ist. Egal was wir versuchen.", hörte ich meinen Bruder sagen. Doch mein Blick hatte sich auf Sorins Gesicht gefestigt. „Es war nicht meine Absicht. Meinst du ich finde es lustig, dass meine Tochter keine Mutter mehr hat?", knurrte er leise und ich beobachtete wie die rote Farbe in seine Augen stieg

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt