10. Aleksis

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Lydia

„Dr. Greve, richtig?"

Erschrocken sah ich auf. Hatten sie ...? „Hey, keine Angst.", sagte er Mann vor mir und nahm mir das Tablet aus der Hand, welches ich nur noch zitternd festhalten konnte. „Kommen Sie. Ich muss mit ihnen sprechen.", sagte er sanft und führte mich in das nächste Zimmer. Sein altes Büro. Mit brennenden Augen sah ich über die leer geräumten Regale. Die Regale, die früher über und über mit Ordnern gefüllt waren. Jeder einzelne, mit so vielen spannenden Fällen und ich hatte sicher nicht mal einen Bruchteil davon gesehen. Sein Lebenswerk, und sie hatten es vernichtet. „Es tut mir leid. Es ist der einzige Raum, in dem wir ungestört sind.", sagte der Mann und legte mein Tablet auf Erics Schreibtisch.

Seit vier Jahren arbeite ich wieder hier. Noelia hatte dafür gesorgt. Sie sagte, ich würde irre werden, wenn ich den ganzen Tag in seinem Zimmer sei und nur für Azrael herauskommen würde. Jetzt jedoch vergrub ich mich in Arbeit. Damit ich nicht an den schrecklichsten Fehler denken musste, den ich in meinem Leben begangen hatte. Auch wenn es lächerlich klang für jede andere Mutter. Aber ich hätte ihn niemals zur Schule schicken dürfen. Niemals.

Wieder stiegen mir Tränen in die Augen und verstärkten das Brennen.

„Dr. Greve, ihre Freundin hat mich beauftragt nach ihrem Sohn zu suchen.", sagte der Mann und das erste Mal sah ich ihn jetzt wirklich an. Er trug eine dunkelgraue Anzughose mit einem schwach blauen Hemd. Darüber trug er eine dunkle Kord-Weste, die an ihm erstaunlich modern aussah. Ohne viel Haargel hatte er seine Haare mit einem Seitenscheitel nach hinten gekämmt. Was ihm jedoch keinen strengen Look verpasste, da einige der Strähnen sich aus dieser Frisur lösten und frech über seine Schläfe hingen. „Dr. Greve. Hören Sie mir zu?", fragte er und trat zu mir. „Lydia.", erwiderte ich und reichte ihm meine Hand. „Angenehm, Aleksis. Alek reicht aber.", sagte er und nahm meine Hand. Sie war kühl.

Verwundert sah ich auf unsere Hände und dann wieder auf zu ihm. Er lächelte sanft und erklärte: „Ich bin wie ihr Sohn." Er war wie Azrael? Wie konnte er sich vor ihnen verstecken? „Lydia, ihre Vermutung war richtig. Die Schule hat den Auftrag gegeben, ohne die Eltern zu benachrichtigen. Ich konnte noch nicht herausfinden, wohin sie ihn gebracht haben, aber ich bin mir sicher, das werde ich noch.", hörte ich ihn sagen. Doch ich hörte nicht mehr als immer wieder Erics Stimme in meinem Kopf, die sagte, dass es nicht die richtige Zeit gewesen war.

„Wie haben Sie es geschafft.", flüsterte ich und sah auf in seine beruhigend graugrünen Augen. „Der Vampiranteil bei mir ist gering. Ich habe zwar die Wirkung, also die Zähne, die kalte, blasse Haut. Aber es lässt sich nicht in meinem Blut nachweisen.", sagte er vorsichtig und biss sich dann unsicher auf die Unterlippe. „Ich brauchte nie das Blut meiner Eltern.", nuschelte er und wirkte dabei so unglaublich jung. Als würde ich ihn dafür schlagen, dass ich meinem Sohn Erics Blut gegeben hatte. Immer wieder, nur in kleinen Mengen, aber ständig. Nur, weil ich Angst hatte, sein Herzfehler würde wiederkehren. Er musste so verwirrt sein. Es war ihm doch gar nicht bewusst, was er war. Er hatte das Blut nie freiwillig getrunken. Es war nur in seinem Essen.

„Lydia, es ist nicht Ihre Schuld.", sagte der Halbvampir.

Ich schüttelte nur leicht den Kopf und versuchte zwanghaft meine Tränen zurückzuhalten. Es war meine Schuld. Ich hatte nicht auf Eric gehört. Ich hatte meinen Sohn auf eine menschliche Schule geschickt in der Hoffnung, er wäre angepasst oder würde sich anpassen.

„Soll ich sie nach Hause bringen?", vernahm ich die angenehm dunkle Stimme. Ließen Menschen nicht eigentlich ihre Wut und Trauer an dem Überbringer der Nachrichten aus? Warum hatte ich das Bedürfnis, mich in seiner tröstenden Stimme zu verlieren?

„Kommen Sie.", sagte er sanft und wenig später legte sich ein Arm um meine Schulter. Im Augenwinkel sah ich, wie er mein Tablet mitnahm und es dann am Tresen abgab, als wir das Krankenhaus verließen.

Jedoch bekam ich nicht mit, wie er mich ins Auto setzte und zu Erics Haus fuhr. Erst als er mich nach dem Hausschlüssel fragte, kam ich wieder zu mir. Ich hörte, wie er hinter uns die Tür schloss. Jedoch beachtete ich ihn nicht mehr, sondern ging über den Flur, direkt ins Wohnzimmer, um mich dort auf die Couch zusetzten. Sofort tastete ich nach der Decke, unter welche Eric zuletzt geschlafen hatte. Sie roch schon längst nicht mehr nach ihm. Dennoch schenkte sie mir Trost. Denn sie roch nach Azrael. Ich hatte ihn mit ihr immer eingewickelt, in der Hoffnung er würde seinen Vater wahrnehmen, seinen Geruch als etwas Vertrautes wahrnehmen. Allerdings hatte er nie nach ihm gefragt und auch als ich ihn darauf ansprach, sagte er nur, dass er nichts von ihm wissen wolle, genauso wie sein Vater ja nichts von ihm gewusst haben wollte. Dass Eric nicht anders konnte, hatte ich ihm nicht gesagt. Zu dem Zeitpunkt fand ich es okay. Ich dachte, es würde Azrael dabei helfen, von seinem Vater abzulassen. Dabei vergaß ich aber, dass ich die Einzige war, die von Eric ablassen musste.

„Lydia, kann ich irgendetwas für Sie tun?", hörte ich Aleksis fragen. Je mehr er sprach, desto mehr hörte ich seinen russischen Akzent. Oder zumindest konnte man ihn vermuten. Leicht schüttelte ich den Kopf und beobachtete, wie der junge Mann sich mir gegenüber auf das Sofa setzte. Weshalb ich davon ausging, dass er jung war, wusste ich nicht. Eric wäre sicher trotz seines Alters unverändert. Er sehe sicher noch genauso jung aus.

Wenn sie ihn nicht getötet haben.

Das wusste ich nicht. Es gab verschiedene Meldungen dazu. Jedoch keine eindeutige. Aber ich musste zugeben, dass ich es aufgegeben hatte daran zu glauben ihn wiederzusehen.

„Aleksis, ich hätte nicht gedacht, dass du es so früh schaffst.", hörte ich meine Freundin sagen. „Es war nicht allzu schwer. Ich warte noch auf weitere Informationen. Ich hoffe, sie helfen dir und deiner Freundin.", erwiderte Aleksis. Sie schienen sich näher zu kennen.

„Bleibst du?", fragte Noelia und setzte sich neben mich. „Wenn ich eine Stelle bekomme. Sicher.", erwiderte Aleksis und ich fühlte, wie er einen Blick zu mir warf. „Ich denke, es ist unangebracht jetzt Smalltalk zu halten.", fügte er leise hinzu. „Nein, ist okay. Ich werde hochgehen.", sagte ich und erhob mich.

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now