81. Albtraum

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Kenneth

„Ken, Ken", hörte ich es leise Wimmern. Verschlafen öffnete ich die Augen und sah direkt in die meines kleinen Bruders. „Was ist los?", flüsterte ich und strich mir die Haare aus der Stirn. „Albträume", sagte er leise und zog seine Decke etwas fester um seine Schultern.

Seufzend schwang ich die Beine aus dem Bett und stand somit auf seiner Matratze. Er hätte sich geschämt mit in meinem Bett zu schlafen obwohl wir das früher ständig getan hatten. „Zieh dich an", sagte ich leise und zog mir meinen Pullover über meinen Schlafsachen. Jacob erhob sich und kam meiner Bitte nach. Ich selber trat an Favios Bett. Wieder klebte Blut unter seiner Nase und ein rauer Husten schüttelte seinen Körper ab und zu. Irgendetwas verschwieg er mir. Aber ich würde ihn nicht zwingen können es mir zu sagen. Schon gar nicht nach der Sache mit den Flügeln. Leise nahm ich den blutige Stoff auf seinem Nachtschrank und ließ etwas Wasser aus der Flasche daneben darauf laufen bevor ich das dunkel gewordenen Blut sanft aus seinem Gesicht wischte. Er war krank, ziemlich offensichtlich. Aber was hatte er nur?

„Ken", hörte ich Jacob erneut sagen. „Ich komme schon", erwiderte ich und legte das Tuch weg bevor ich in meine Schuhe schlüpfte und mit Jacob den Raum verließ. Schweigend folgte er mir durch die Gänge in den Versammlungsraum und hinaus in die abgebrannte Stadt.

„Sind es die selben wie früher?", fragte ich leise und lehnte mich gegen die nächste rußige Wand. Frische Luft hatte ihm immer geholfen. „Nein. Ich hatte sie lange nicht mehr", erwidere Jacob und hockte sich auf den Boden um mit den Fingern Muster in den Sand und Ruß zu malen. „Worum ging es?", fragte ich sanft. „Victor und dich", murmelte er und sah zu mir auf. Er schluckte leicht und sagte dann: „Dieses Bild, als er an Mamas Beinen hing. Ich..." „Jacob, du bist kein Kind mehr", sagte ich sanft und ließ mich an der Wand hinunter gleiten. „Ich weiß, aber Mama hat mich von diesem Zeug fern gehalten und es macht mir Angst. Du und Papa, ihr habt euch verändert und dein Freund...", murmelte er. Ich seufzte leise und sagte: „Ich wäre wirklich gerne ein Halt für dich. Glaub mir, ich weiß selber am besten, dass man das hier nicht alleine durch steht. Aber ich brauche selber eine Stütze. Favio ist mit sowas groß geworden. Deswegen kann er das ertragen und hält meine Angst. Ich verstehe auch nicht, wieso Victor glaubt du seist hier gut aufgehoben." „Weil sie mich jagen. Sie haben Papa gefoltert um herauszufinden wo du bist. Sie brauchen mich um ihn zu zwingen", erwiderte Jacob und sah dann auf seine Muster. „Sie haben ein Video gefakt, weil ich im Ausland war. Doch das wusste Papa nicht", fügte er hinzu. „Er hat dich dennoch nicht verraten", hauchte er leise und nahm ein wenig von dem Staub in die Hand, nur um ihn wieder auf den Boden rieseln zu lassen. „Deswegen war er so lange fort", murmelte ich und griff in meine Haare.

„Dieser Favio. Was seid ihr?", hörte ich Jacob fragen. „Freunde", kam es vielleicht etwas zu schnell über meine Lippen. „Ken, kein Kind mehr", erinnerte er mich und deutete auf sich. „Er hat mir durch das Labor geholfen. Ansonsten wäre ich an den Zuständen dort zu Grunde gegangen", fügte ich hinzu. Er musste ja nicht wissen, dass es seine Lippen und seine Hände waren, die mir da durch geholfen haben.

„Wieso warst du dort?", fragte er. „Sie hätten mich getötet. Sie wussten das ich in Kontakt mit Jon war", erklärte ich. Jacob nickte langsam und schluckte leise. Auch wenn er so erwachsen geworden war. Sein Verhalten mir gegenüber hatte sich nicht geändert. Und ich sah ebenfalls noch den kleinen Jungen in ihm.

„Jack, es tut mir leid. Ich hätte für dich da sein müssen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich es bereue", hörte ich mich sagen. Jacob hob langsam den Blick und erwiderte: „Es ist nicht deine Schuld. Wärst du geblieben hätte ich dich sicher nie wieder gesehen." Damit hatte er recht aber es wirkte dennoch nicht so als wäre es wirklich in Ordnung gewesen.

„Wieso warst du im Ausland?", fragte ich um über etwas erfreulicheres zu sprechen. „Schüleraustausch. Wusstest du, dass in keinem anderen Land diese Scheiße hier passiert?", fragte er. Ich schüttelte den Kopf. Offensichtlich wollte er über nichts anderes sprechen. „Sie halten uns für irre. Ich wurde dreitausendmal gefragt ob ich es glaube und ob ich einen Vampir gesehen hätte", fügte er hinzu und schüttelte leicht den Kopf. Dann gähnte er und rieb sich über die Augen. „Alles wieder gut?", fragte ich und erhob mich wieder. Jacob folgte meinem Beispiel und nickte. Dann trat er auf mich zu und schlang seine Arme um meinen Brustkorb. „Ich hab dich lieb", flüsterte er und drückte noch etwas fester zu. „Ich dich auch", erwiderte ich und strich durch sein Haar, welches immer noch so samtig war wie früher. Einen Moment standen wir nur da, genossen die Nähe des anderen und ich erwischte mich dabei wie ich mir die Vergangenheit vorstellte. Wie wir im Garten gespielt hatten, wie ich ihm bei den Hausaufgaben half. Bis hin zu dem Tag an dem er geboren wurde. Damals war es für mich der schlimmste Tag in meinem Leben. Jacob war für mich der Beweis, dass meine Mutter ihr altes Leben hinter sich ließ. Ein neuer Mann, ein neuer Sohn. Jedoch rückblickend hätte mir nichts besseres passieren können.

Langsam löste ich mich von ihm und sah in sein Gesicht. „Geh schonmal runter. Du kennst den Weg doch, oder? Ich komme nach", bat ich ihn. Jacob nickte langsam und umarmte mich noch einmal fest bevor er sich herum drehte und in der Dunkelheit verschwand.

Tief durchatmend schloss ich die Augen und fühlte sofort das vertraute Drücken auf meinen Schulterblättern. Langsam streckte ich sie und schüttelte sie aus. Die Zeit in der ich sie angenehm verstecken konnte verkürzte sich immer mehr und ich fühlte jedes Mal wie viel mehr sie sich verspannten. Leise stöhnte ich und streckte jetzt ebenfalls meinen Körper.

Was sie wohl tun würden, wenn sie mich bekamen. Laut Victor wussten sie von den Flügeln. Suchten sie deswegen so hartnäckig nach mir. Was würde eigentlich aus meiner Mutter werden, wenn sie jetzt schon anfingen Victor zu foltern um herauszufinden wo ich war?

Doch darüber konnte ich nicht weiter nachdenken. Denn Schritte zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Erschrocken versteckte ich die Schwingen wieder auch wenn die Person schon unmittelbar hinter mir stand. War Jacob zurück gekommen? „Jack, ich sagte dir doch...", setzte ich an. Doch ein stumpfer Gegenstand wurde mir über den Hinterkopf gezogen und ließ meine Sicht schwarz werden. 

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt