6. Naels Schritte

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Moe

Nur meine Schritte waren auf der langen Treppe zu hören. Die Treppe, die ich jetzt seit rund sieben Jahren hinaufstieg. Allein. Dennoch dachte ich jedes Mal an Naels Schritte vor mir in der Dunkelheit. Nur um oben auf ein Neues enttäuscht zu werden. Und jedes Mal vermisste ich seine Anwesenheit mehr. Anfangs hatte ich mir eingebildet es würde daran liegen, dass mein Körper sich immer noch nach seinen Pheromonen sehnte. Später musste ich einsehen, dass es nicht mein Körper war, sondern mein Herz. Es war nicht, wie ich vermutet hatte. Der kleine Omega war nicht die Gefahr. Es lag nicht an seiner Fähigkeit, dass ich nicht von ihm ablassen konnte. Dennoch wäre er in meiner Nähe in Gefahr gewesen. Er war noch nicht bereit dafür gewesen, was ich von ihm gewollt hätte.

Seufzend trat ich auf das Dach und sah erneut auf den großen Wald. Herbst. Ich hatte fast jeden Morgen hier gesessen und die Jahreszeiten wechseln sehen. Ab und an hatte ich im Winter Gestalten durch den Wald laufen sehen. Aber sie waren nie bedrohlich gewesen.

„Moe?"

Wurde ich verrückt? Verwundert drehte ich mich herum. „Wo ist Jon?", hörte ich mich selbst sagen. Konnte ich vielleicht noch etwas intelligenter sein? Ich stand nach all diesen Jahren wieder allein mit ihm hier. Dennoch fragte ich lieber nach meinem Bruder, der eigentlich hier sein sollte.

„Ich habe ihn abgelöst. Ich brauchte Zeit.", erwiderte er und erhob sich von der kleinen Erhöhung, auf der er schon damals gesessen hatte. „Zeit allein. Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest.", sagte er und trat auf mich zu. Jedoch nicht wie ich hoffte, um mir wieder näherzukommen ... Nein, er trat an mir vorbei zu der Luke.

„Nael.", setzte ich jedoch an. „Nein, Moe. Nein.", sagte er und ich hörte das Kratzen der Steine unter seinen Füßen als er sich herumdrehte. „Ich bin nicht deinetwegen hierhergekommen.", knurrte er. Ich drehte mich ebenfalls zu ihm und erwiderte: „Und dennoch sind wir hier. Nael, lass uns bitte reden. Sieben Jahre, sieben verdammte Jahre. Du bestrafst mich, dafür, dass ich versucht habe dich zu schützen." „Schützen?", rief er ungläubig und lachte auf. „Ich hätte dich gebraucht. Nur weil du der Meinung warst, nicht stark genug sein zu können, musste ich ein weiteres Jahr unter der Schreckensherrschaft meines Vaters verbringen. Ich hatte keine Chance meine Fähigkeit, wie du es wolltest, zu trainieren, weil er mich weggesperrt hat wie ein ungehorsames Kind. Du hast mir keine Chance gelassen bei dir bleiben zu können, dir beweisen zu können, dass ich keine Gefahr für dich bin.", schrie er jetzt den Tränen nahe. Ziemlich offensichtlich hatte ich da etwas getroffen, dass dringend herauswollte.

„Nicht du warst es, der mich daraus geholt hat und dafür gesorgt hat, dass mein Vater von mir ablässt. Das war Sanji. Wie mickrig muss man sich als Alpha fühlen, dass selbst ein Omega solche Dinge besser schafft? Sag es mir!", rief er und trat wieder auf mich zu. Ich würde ihm nicht sagen, dass ich Sanji darum gebeten hatte, dass ich es ihm überhaupt möglich gemacht hatte, Nael aus diesem Raum zu holen.

„Ich habe versucht dir nicht weh zu tun.", hörte ich mich selbst sagen. Nael schnaubte und erwiderte: „Das hat super funktioniert." „Nael, du warst ein Kind. Du kannst mir nicht erzählen ...", setzte ich an, aber er unterbrach mich. „Ich war ein weiteres halbes Jahr ein verdammtes Kind. Keine sieben Jahre. Moe, ich mag nicht so aussehen, aber ich bin vierundzwanzig. Wo warst du die letzten sechs Jahre? Huh?", rief er und fing an, auf meine Brust einzuschlagen. Sanft nahm ich seine Handgelenke und hielt sie fest. „Du kennst mich nicht, Nael. Es sind viele weitere Vampire zu uns gestoßen. Wäre ich ... hätte ich wieder deine Nähe gesucht ... du hättest nie die Chance gehabt, dich umzusehen. Jemand anderen kennenzulernen. Ich bin immer noch ...", gab ich stockend von mir und verstummte als Nael aufhörte sich gegen meinen Griff zu wehren. Mit großen Augen sah er zu mir herauf. „Du ...", kam es rau aus seiner Kehle. „Du hättest mich ...", stammelte er und ich fühlte, wie er die Hände sinken ließ, also ließ ich sie los. „Siehst du. Das hättest du nicht gewollt. Das willst du immer noch nicht und ich verstehe das. Aber ich kann jetzt damit leben. Nur sei nicht mehr so kalt zu mir.", bat ich. Im Augenwinkel sah ich, wie seine rechte Hand sich wieder hob. Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie er sie an meine Wange legte. Dann ging mein Blick in sein Gesicht. Leicht legte er den Kopf zur Seite und trat etwas näher. „Kalt? Meinst du etwa so, wie du mich die letzten Jahre behandelt hast?", fragte er gefährlich leise und ich sah, wie seine Fangzähne wuchsen. „Ich glaube du solltest dieselbe Ablehnung spüren, die du mir zugeführt hast.", knurrte er und fletschte die Zähne. „Findest du nicht?", fragte er leicht lächelnd und biss sich auf die Unterlippe. Sofort stieg mir der süße Geruch seines Blutes in die Nase.

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now