82. Mein Hund

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Vanessa

„Talvi!", rief ich jetzt sicher zum fünfzigsten Mal. Ich verstand, dass sie das nicht ertragen konnte. Ihr Freund litt und das nur, weil sie ihn in Gefahr gebracht hatte. Sie war doch der Grund wieso Valea überhaupt in den Wald ging. „Talvi!", schrie ich wieder. Doch meine Tochter würde sicher einen Teufel tun. Sicher hatte sie Angst ich würde sie zurück zu dem Platz führen auf dem ich Sorin mit der blutigen Peitsche zurück gelassen hatte. Valea hatte nur noch in den Ketten gehangen und schrecklich geweint bis ein klägliches „Bitte" seine Lippen über kam.

Ich verstand nicht viel von Rudeln aber ich wusste, das Valea niemals wieder ein angesehener Wolf sein würde. Egal wie stark er war. Dieses Bild hatte sich bei jedem eingebrannt.

„Talvi! Bitte antworte doch. Es ist vorbei", versuchte ich es erneut. Doch wieder keine Antwort. Stattdessen schwere Schritte. Erschrocken blieb ich stehen und starrte auf den breitgebauten Mann, welcher vor mir aus dem Dickicht kam. „Wen haben wir denn da?", fragte er und legte seine Hand an die Waffe an seinem Gürtel. Sofort fühlte ich mich an meine Ankunft hier zurück erinnert. Doch dieser Typ war ein Mensch. Dafür waren meine Sinne noch gut genug, obwohl ich mich vor ein paar Jahren entschieden hatte nur noch Tierblut zutrinken. Da die Wölfe ihr Fleisch aßen lebte ich von den Überresten. Es war leichter zu beschaffen und bei den Vorwürfen die uns die Jäger machten hatte ich ein schlechtes Gewissen bekommen obwohl ich nie einen Menschen getötet hatte und die Blutkonserven laut Sorin nicht von getöteten Menschen stammten. Doch ich konnte sehr gut von dem Tierblut leben.

„Bist du taub? Oder stumm? Oder beides?", keifte der Mann. „Ich dachte es sei eine rhetorische Frage", erwiderte ich kleinlaut und biss mir auf die Unterlippe. „Was tut eine so hübsche Frau ganz alleine im Wald?", fragte er und kam langsam auf mich zu. Seine speckigen Hände legten sich an mein Kinn und hoben meinen Kopf. „Ich suche... suche... meinen Hund", log ich und umgriff nervös meine Daumen. „Vampir?", fragte er aus dem Kontext gerissen und griff grob nach meinem Arm. „Was?", kam es panisch über meine Lippen. Doch da hatte er schon mit einem Taschenmesser in meinen Arm gestochen.

Was taten sie hier draußen? Sorin hatte gesagt, dass sie näher kamen aber so nah?

Grob rammte er einen Teststreifen in die Wunde und entlockte mir ein Winseln. Hatte ich nicht grade darüber nachgedacht, dass ich Menschen nicht schaden wollte? Doch jetzt wünschte ich mir genug Menschenblut getrunken zu haben um diesen Grobian zu überwältigen.

„Aha", machte er und drehte mir den blutigen Arm auf den Rücken. „Du kommst wohl mit", raunte er mir ins Ohr und leckte über meinen Hals. „Das muss ein Irrtum sein", versuchte ich es. Doch das würde er mir sicher nicht glauben. Er verknotete meine Hände auf dem Rücken und stopfte mir dann einen Fetzen Stoff in den Mund, denn er mit einem weiteren fixierte. Ein leises Winseln entkam mir als er mich über seine Schulter warf und sich weiter von dem Dorf entfernte.

Selbst wenn ich schreien konnte. Ich würde Sorin nicht in Gefahr bringen. Ich durfte das Dorf, das Rudel nicht verraten. Alleine wegen Talvi. Sie brauchte ein Zuhause in dem sie sicher war.

Lev

Gähnend ließ ich mich aus dem Van sinken. Vanja hatte mir befohlen hier anzuhalten, da ich in den letzten zehn Minuten offensichtlich mehr als dreißig Mal gegähnt haben soll. Ich persönlich wusste, dass ihm einfach nur schlecht war. Kurz darauf hörte ich auch wie er sich in den nächsten Busch übergab. Also umrundete ich das Fahrzeug und sah nach ihm. „Alles okay? Bist du seekrank?", fragte ich besorgt. Vanja spuckte aus und drehte sich zu mir herum. „Siehst du hier einen?", knurrte er und wischte sich über den Mund. Leicht musste ich schmunzeln. „Das heißt doch nur so. Es bedeutet, dass dir schlecht wird wenn sich etwas unter dir bewegt", erklärte ich. Vanja musterte mich kurz. Dann schüttelte er leicht den Kopf und murmelte: „Ihr Menschen seid mir suspekt." Erneut musste ich lächeln. Ich war der erste Mensch, den er kennenlernte und schon waren wir ihm suspekt. Sprach nicht wirklich für mich.

„Was wollen wir hier?", fragte ich. „Geh schlafen. Ich pass auf", befahl er und deutete auf den Van. Schon beim Einsteigen hatte er sich über die Inneneinrichtung gewundert. Offensichtlich hatte sie ihn auf die Idee gebracht.

Mit Schwung öffnete ich die Tür. Links und rechts auf dem Boden des Vans lagen zwei schmale Matratze und oben befanden sich Schränke. In ihnen war Medizin. Alles davon war für die Befreiten zur Versorgung.

„Geh schlafen", knurrte Vanja hinter mir und dennoch schwang etwas Sorge in seiner Stimme. Jedoch wusste ich nicht ob er sich sorgte, dass ich uns gegen den nächsten Baum fahren würde oder ob es nur Sorge um mich war.

Dennoch kam ich seinem Befehl nach und kletterte in den Wangen um mich auf die Matratze zu legen. Ich hörte wie auch er in den Wagen kam und dann zu meinen Füßen die Hecktüren öffnete. Kurz darauf schob Vanja einen dünnen Stoff unter meinen Kopf. Es war sein Hemd. Erschrocken riss ich die Augen auf und starrte gegen die metalerne Wand. Hinter mir stand jetzt ein oberkörperfreier, braungebrannter, gutaussehender Typ und... ja was tat er da eigentlich? Doch ich würde einen Teufel tun mich jetzt um zu drehen. Gezwungen schloss ich die Augen und trotz der Anspannung war es recht leicht in den Schlaf zu driften. War wohl doch eine sehr lange Nacht.

Als ich das nächste Mal die Augen öffnete war es leicht schwül im Auto. Offensichtlich hatte die Sonne trotz der Bäume es geschafft, das Gefährt zu erreichen. Verschlafen rieb ich mir die Augen und sah mich im Wagen um. Doch bis auf das Hemd gab es keine Spur von Vanja. Hatte er mich zurück gelassen? War es ihm doch zu viel? Langsam kroch ich aus dem Wagen. Doch auch in der unmittelbaren Umgebung sah ich ihn nicht.

„Vanja?", kam es unsicher über meine Lippen. Sofort hörte ich es im Gebüsch rascheln und wenig später trat der junge Mann hervor. „Gut geschlafen?", fragte er und strich sich ein paar Blätter aus den Haaren. Wie ich vermutete hatte würde mir sein Anblick ohne Hemd den Verstand rauben. Beim Bewegen seiner Arme spielten seine Brustmuskeln und die Menge an Linien auf seinem Körper war einfach absurd, wenn man bedacht, dass er dennoch kein breitgebauter Mann war. Die Narben auf seiner Brust gaben dem ganzen noch einen ganz eigenen Touch. „Lev?", fragte er. Erschrocken hob ich den Blick und reichte ihm sein Hemd. „Ja, gut geschlafen. Wir können weiter", sprudelte es aus mir hervor. Was zum Teufel war das? Ich war doch der Typ, der aufriss. Wie konnte er es sich erlauben mich hier so wuschig zu machen? Wahrscheinlich war es nicht mal seine Absicht.

Unsicher drehte ich mich herum und ging wieder auf den Van zu. Ich zog die Wagentür auf und schwang mich auf den Sitz und beobachtete dann, wie auch Vanja in den Wagen stieg. Schon jetzt hatte ich den Eindruck, dass er jetzt schon wieder spucken musste. „Sicher, dass du schon wieder bereit bist?", fragte ich leise. Vanja sah mich an und zog sich dann sein Hemd über den Kopf. „Fahr einfach", knurrte er und sah dann nach vorne durch die Frontscheibe. Also seufzte ich leise und trat auf die Kupplung. „Wie du meinst", murmelte ich und startete den Wagen.

Es war lange still. Fast unangenehm still. Also griff ich nach dem Anstellkopf des Radios. Allerdings lief auf jedem Sender irgendeine beknackte Nachrichtensendung. Überall ging es nur um die Vampirsituation und ich sah im Augenwinkel wie skeptisch Vanja auf das Gerät sah. Also stellte ich es wieder aus und versuchte die Stille zu ignorieren. 

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt