20. Zecke

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Jon

„Achtest du auf ihn?"

„Was?", kam es überfordert über meine Lippen als Sanji hinter mich trat und auf den kleinen Jungen am Tisch deutete. Sein Hals war von einem Verband umgeben, ebenso wie seine Unterarme. „Ich muss Nael finden. Aber eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn heute zum Essen zubringen. Kannst du darauf achten, dass er was zu sich nimmt?", führte Sanji aus und drückte mich eigentlich schon halb auf den Platz vor dem Jungen. „Warum sollte er nichts zu sich nehmen?", fragte ich und sah zu dem Gleichaltrigen auf. „Lev musste ihm Stäbe mit Widerhaken aus dem Zahnfleisch entfernen. Offensichtlich war er ihnen zu gefährlich. Sie haben verhindern wollen, dass er jemanden beißt. Ihm ist die Lust am Essen offensichtlich vergangen. Ich dachte, es würde ihm leichter fallen, wenn er die anderen trinken sieht.", flüsterte Sanji und trat dann auf die andere Seite des Tisches. „Bleibst du bei Jon? Ist das in Ordnung?", fragte er den Kleinen mit einer solch zarten Stimme, dass mir fast ein „Nawww.", entkommen wäre. Der Kleine sah zu mir und nickte dann leicht. Also entfernte Sanji sich. Offensichtlich Nael suchen. Was auch immer der schon wieder tat. Dabei hatte ich gedacht, dass seine Aufgaben bei den Kindern und bei Eric ihn auslasten würden. Offensichtlich nicht.

„Wie heißt du denn?", fragte ich den Kleinen und beugte mich leicht nach vorne. „Ezra.", kam es ziemlich leise über die spröden Lippen. Dabei rollte er das „r" so unglaublich niedlich. „Hast du noch Schmerzen, Ezra?", fragte ich und legte die Hände um das Glas, welches ich mir von der Ausgabe mitgenommen hatte. Natürlich war es auch möglich, alleine seine Nahrung zu sich zunehmen. Ich jedoch nutzte die Zeit lieber, um meinen besten Freund zu treffen. Allerdings würde das heute wohl nichts werden. Sozialisierungsunterricht mit Ezra. „Das ist schon echt gewöhnungsbedürftig, was?", fragte ich als ich sah, wie weit sein Glas von ihm weg stand. Ich selber hatte damit keine großen Probleme. Für mich war es auch möglich, die nötige Energie aus Tierblut zuziehen. Schätzungsweise, weil mein Körper schon immer mit sehr wenig auskam. Aber ich konnte auch verstehen, dass einem Tier Blut nicht zusagte. Es schmeckte zudem auch noch anders.

„Hier bist du."

Ezra fuhr zusammen und sah zu dem großgewachsenen Mann. „Wurde von Sanji ab geordert.", erwiderte ich und beobachtete wie mein bester Freund sich neben mich setzt. „Das ist Ezra.", stellte ich den Kleinen vor und nahm den ersten Schluck heute. „Ich bin Kenneth.", stellte sich der Straßenköter-Blonde vor. Doch von Ezra kam kein Wort. Auch gut.

Kenneth zuckte mit den Schultern und sah dann zu mir. „Favio ist hier.", haute er raus und sah dann auf sein Essen. So bekam er nicht mit, wie ich schwer schluckte und langsam das Glas sinken ließ. Wie automatisch fing die Haut über meinem Hüftknochen anzubrennen. Eric hatte angeboten, sie herauszuschneiden. Jedoch war es ein Teil von mir. Ich konnte die Zeit nicht vergessen und dabei würde auch nicht das Entfernen dieser Zahl helfen. „Favio.", wiederholte ich und schluckte erneut. „Sie wollten ihn zwingen, mich zu töten. Ranga befreit ihn grade von so einer Überwachungsfessel. Er wird bleiben. Ich dachte, du solltest das wissen.", sagte er und spießte eine Kartoffel auf. „Danke.", brachte ich kurz über die Lippen. Dann fiel mein Blick wieder auf Ezras Glas. „Ich kann dich Sanji nicht hungrig übergeben.", sagte ich belustigt und schob das Glas zu ihm. Allerdings verzog er leicht den Mund und schüttelte den Kopf. „Ey, du hast deine Konkurrenz gefunden.", sagte Ken lachend und stieß mich an. „Ich trinke meinen täglichen Bedarf.", erwiderte ich und rollte mit den Augen. „Lass mich.", sagte Kenneth und stützte dann seine Ellenbogen auf, um sich etwas über den Tisch beugen zu können. „Kleiner, das ist wichtig. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nicht hungrig bist.", sagte er sanft. Im selben Moment hörte man seinen kleinen, aber wahrscheinlich gähnend leeren Magen knurren. Ezra schluckte schwer und ich beobachtete, wie sein Blick auf Kenneths Teller ging. Hatten sie ihm dasselbe angetan wie mir?

„Möchtest du das?", fragte ich vorsichtig und deutete auf Kenneths Mahlzeit. Ezras Blick schoss wieder nach oben und ich konnte sehen, wie er sich unbewusst über die Lippen leckte. „Ein Mensch?", fragte Kenneth. Dennoch schob er seinen Teller zu dem Kleinen und reichte ihm die Gabel. Zögerlich hob Ezra seine Hand und sah dann mit großen Augen zu mir. „Nimm ruhig.", sagte ich und sofort griff er nach dem Besteck und fing an zu essen. Der erste Biss schien ihn zu schmerzen. Allerdings aß er danach vorsichtiger weiter und schien so diesem Schmerz aus dem Weg zu gehen. Er war so jung. Ich denke nicht, dass ich in seinem Alter verstanden hätte, was sie mir damals gespritzt hatten. Ich hätte weiter verzweifelt versucht, Blut zu mir zunehmen. Dennoch schien ihm klar zu sein, dass Blut ihm nicht zu sagen würde. Überlegend setzte ich mein Glas wieder an die Lippen und trank den nächsten Schluck. Mein Blick ging auf seine Hände, auf denen mehrere Bissnarben prangten. Vampire konnten zwischen menschlich und phasenweise menschlich unterscheiden. Eric hatte für mich nie bedeutend menschlich gerochen und den leichten Anflug hatte ich mir mit seiner Arbeit erklärt. Aber Ezra war nicht menschlich. Nicht mal im Anflug. Also warum kamen so viele, denn es waren offensichtlich mehrere, auf die Idee ihn zu beißen? Ich schätzte jetzt einfach mal, dass sein Hals und seine Unterarme schlimmer aussahen und ich wollte gar nicht wissen, was der Rest so aufwies.

„Warum die Verbände?", hörte ich meinen besten Freund fragen. Ezra sah kauend auf und schluckte dann fest. Stumm sah er ihn an und dann glitten seine Augen zu mir. „Haben dich Vampire gebissen?", fragte Kenneth und ich fühlte wie er eine Hand auf meinen Oberschenkel legte. Ezra senkte wieder stumm den Blick. Aber es war eindeutig, was er mit seinen Blicken gesagt hatte. „Das wird dir hier nicht passieren.", sagte ich und stellte mein Glas ab. „Ich gehör' hier nicht hin.", nuschelte Ezra mit seiner hell klingender Stimme. „Ja, wir alle nicht. Aber wir sind grade nur hier sicher.", erwiderte Kenneth und stand auf, um sich auf der anderen Seite neben Ezra zu setzen. „Sie nannten mich Zecke.", vernahm ich wieder die helle Stimme. Doch das Wort war bei mir dunkel hinterlegt. „Zecke. Steh auf Zecke.", hallte es in meinem Kopf wider. „So haben sie mich auch genannt.", sagte ich mitfühlend. Allerdings fuhr Ezras Blick nach oben und ich erkannte, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. „Aber du bist ja auch eine.", sagte er mit brüchiger Stimme. Ich nahm wahr, wie Kenneth die Luft anhielt. Ich jedoch konnte nicht reagieren. Hatten sie ihm so sehr den Kopf verdreht, dass er glaubte einer von ihnen zu sein?

„Ezra, das ist nicht nett.", sagte Kenneth und ich sah wie er sanft über den Rücken des Jungen strich. Er hielt sich für einen Menschen. Er schien es für richtig zu erachten. Woher kam er, dass er eine solche Meinung vertrat? Mit einem solch jungen Alter.

„Ist schon gut. Er wird schon noch verstehen, dass er einer von uns ist.", sagte ich an Kenneth gewandt und stürzte mein Glas hinunter. Um dieser Situation besser entfliehen zu können, vernichtete ich Ezras Glas gleich mit. „Ich denke, Sanji wird dir das besser erklären können.", fügte ich hinzu und erhob mich. Er konnte nichts dafür. Es waren diese schrecklichen Menschen, die ihm das eingeredet hatten. Wer wusste, was er war? Vielleicht einer der Prototypen. Vielleicht hatten wir ihre optimierten Menschen gleich mit befreit. Aber warum sollten sie, sie Zecke nennen? Eventuell ging es in dem Zusammenhang um etwas anderes.

Ich hatte den Eingangssaal noch nicht ganz verlassen, da schlangen sich zwei schlanke Arme um meine Hüfte. Erst dachte ich, es sei Ezra, der sich entschuldigen kam. Es war aber Maya. „Hey, Kleine.", hörte ich mich selber sagen. Innerlich war ich allerdings immer noch mit Ezra beschäftigt. Meine Tochter streckte sofort die Hände aus und ich nahm sie auf den Arm, damit sie erstens mir einen Kuss auf die Wange drücken und zweitens ihre Arme und ihren Kopf auf meinen Schultern ablegen konnte. „Was machst du hier oben?", fragte ich sanft als ich merkte, dass ihr Griff stärker war als sonst. „Mama schläft so viel.", nuschelte sie gegen meinen Hals. „Das stimmt. Aber den Schlaf wollen wir ihr lassen. Magst du mit den anderen Kindern spielen?", fragte ich und küsste ihren Scheitel. Doch sie schüttelte mit dem Kopf und klammerte sich noch ein wenig fester an mich. Also würde ich mich jetzt wohl mit meiner Tochter ablenken, anstatt dieses Gespräch zu verarbeiten.

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now