79. Reißender Fluss

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Elijah

Ich hatte meine Mutter noch nie so erlebt. Ich wusste, dass sie brutal und herzlos war. Aber das? Der Junge war nur zwei Jahre älter als ich und letztendlich hatte er nicht mehr getan als sie zu verteidigen. Er hatte sie verteidigt.

Mein Blick löste sich von ihm und suchte nach dem jungen Mädchen. Sie würde nicht bei ihrem Vater sein aber sie musste anwesend sein. Alles andere wäre Verrat. Damit würde sie zeigen, dass die Rudelleitung uneins war und damit schwach. Egal wie wenig sie als junger Wolf zu sagen hatte.

Nach einer Weile entdeckte ich sie auf dem großen Weg zum Platz. Ihre Mutter war bei ihr. Die Frau mit den wilden roten Locken. Der einzig anwesende Vampir.

Erst da wurde mir klar was das bedeutete. Die junge Wölfin hatte nicht mal einen Bruchteil unseres Blutes in sich. Sie war ein Blutsauger und dennoch sah man das ihrem Wolf nicht an.

Der erste Schlag riss mich aus meinen Überlegungen. Der Junge mit den braun-roten Haaren wurde von dem Aufschlag an den Pfahl gepresst. Ich sah wie sich seine Muskeln anspannten und er den Kopf einzog um dort nicht auch einen Schlag abzubekommen. Jedoch konnte Sorin ihm keinen Laut entlocken. Meine Mutter neben mir schnaubte leise und murmelte: "Ich wusste, dass er es nicht kann." Was seinen eigen Sohn schlagen? Verständlich oder? Aber nein, sie würde wahrscheinlich auf mir rumprügeln, wenn es ihr half.

Erneut schlug Sorin zu. Doch obwohl der Peitschenhieb Blut in die Luft beförderte sagte Valea kein Wort. Jedoch konnte ich selbst auf die Distanz sehen wie Tränen über seine Wangen flossen. Sein Blick lag kurz auf einer Gruppe an Männern, welche sich weiter nach vorne drängten. Dann vergrub er den Kopf in seiner Armbeuge und erwartete den nächsten Schlag.

Die Gruppe an Männern schienen die einzigen zu sein, die an diesem Schauspiel gefallen fanden. Teilweise lachten sie und redeten. Jedoch verstand ich nicht worüber. Ihr Tonfall verriet mir allerdings, dass es nichts Nettes sein konnte.

Ich erinnerte mich daran, dass Sorin gesagt hatte, dass mehrere Rudel bei ihm Schutz gesucht hatten. Ob Valea zu einem solchen Rudel gehörte? Es würde erklären, wieso er so gar keine Ähnlichkeit mit dem jungen Wolf hatte.

Vielleicht waren diese Männer sein altes Rudel. Ihr Verhalten ihm gegenüber könnte ein Grund gewesen sein, wieso Sorin ihn zu sich nahm.

Kurz sah ich zu meiner Mutter. Sie hatte die Arme verschränkt und beobachtete das Schauspiel mit ernster Miene als müsse Sorin ihr irgendwas verkaufen. "Er wird nicht schreien.", murmelte ich leise nach einem kurzen Blick zu dem Älteren. "Er wird und wenn ich dafür die Peitsche in die Hand nehmen muss.", erwiderte sie kühl.

Ich atmete tief durch und sah wieder zu dem Pfahl. Valeas Knie zitterten leicht und ich sah wie das Blut von seinem Rücken, den Stoff seiner Hose tränkte. Seinen Kopf presste er fest gegen das Holz und griff mit verkrampften Fingern in die Ketten, die seine Handgelenke hielten.

Als ich seinen Wolf sah, dachte ich er wäre ausgewachsen. Doch er war nicht viel älter als ich. Auch wenn sein menschlicher Körper muskulöser war als man es von Jungen in seinem Alter gewöhnt war. Seine Psyche war jung und dieser Vertrauensbruch... Ich würde nicht mehr von meiner Mutter wissen wollen, wenn sie mich wegen sowas vor dem ganzen Rudel schlug.

Im Augenwinkel nahm ich eine schnelle Bewegung war. Dunkle Locken. Talvi.

Sie rannte in Richtung Wald. Auch Valea schien die Bewegung gesehen zu haben, dann sein Blick ging sofort zu mir. Trotz seiner Schmerzen, schaffte er es in seine Augen eine Drohung zu legen. Doch was wollte er tun? Mir hinterher laufen?

Ohne ihn weiter zu beachten drehte ich der Szene den Rücken und quetschte mich durch die Anwesenden. Dann sprintete ich der jungen Wölfin hinterher. Kurz vor dem Wald änderte ich meine Haut und nahm ihre Fährte auf. Sie war nicht schneller als ich und so kam ich ihr immer näher.

Ich hörte den Fluss bevor ich sie erreichen könnte. Schlitternd kam ich am Abhang zum Stehen. Die herunter fallenden Steine verrieten mich. Das Mädchen fuhr zu mir herum und stolperte dabei über ein paar Steine, die glitschig am Ufer des hier doch sehr reißenden Flusses lagen.

Mit einem erschrockenen Schrei fiel sie rücklings in die Strömung.

Sofort ließ ich mein Fell verschwinden und rutschten den Hang hinunter. Ohne zu überlegen zerrte ich mir mein Hemd über den Kopf und sprang ihr hinterher. Es brauchte einige Anläufe bis ich ihren Arm zu packen bekam und ihren Körper an meinen ziehen konnte um sie dann aus dem Wasser zu retten. Was ehrlich gesagt leichter gesagt als getan ist. Auch wenn sie sehr klein war und nicht grade viel Wiederstand gab war es für mich doch eine Herausforderung uns beide über Wasser zu halten und auf das Ufer zu zu schwimmen.

Keuchend ließ ich mich auf die kühlen Steine sinken sobald ich festen Untergrund unter mehr als einem dreiviertel meines Körper spürte. Die junge Wölfin auf mir fing an zu husten und wenig später übergab sie einen Schwall Wasser neben mich.

"Danke.", hustete sie leise und ließ sich kraftlos wieder sinken. Dass sie dabei auf meinem Brustkorb liegen blieb schien ihr egal.

"Wo wolltest du denn hin?", fragte ich und musterte interessiert ihre dunklen, nassen Locken, welche sich glänzend über meine Schulter legten. Sie hustete noch etwas und rollte sich dann doch von meinem Rumpf. "Einfach weg.", sagte sie leise und versuchte auf die Beine zu kommen. "Wegen deinem Vater?", fragte ich und griff nach ihrer Hand als sie drohte zu fallen. Erschrocken sah sie zu mir und stammelte dann: "Lass... lass mich los. Ich sollte nicht... nicht mit dir... du..." "Es war nicht meine Absicht, dass sie ihm weh tun.", unterbrach ich sie, ließ jedoch ihre Hand los. Dabei stolperte sie erneut und fiel auf ihre vier Buchstaben. "Du hast ihm weh getan.", murmelte sie und strich sich die nassen Haare hinters Ohr.

Sie war so unglaublich jung und dennoch hatte ich das Gefühl mit einer gleichaltrigen zu sprechen. "Ich... ich hatte das Gefühl, dass ich dich beschützen müsste. Woher sollte ich wissen, dass er mich als Bedrohung sieht. Ich konnte doch nicht wissen, dass du freiwillig bei ihm bist.", erwiderte ich und setzte mich auf. "Was?", kam es nach einer kurzen Stille verwirrt über ihre Lippen. "Es tut mir leid. Ich wollte sowohl dir als auch ihm nichts Böses.", beteuerte ich und richtete mich auf um nach meinem Hemd zu suchen. Allerdings waren wir doch etwas weiter getrieben als ich dachte.

"Nichts Böses? Wir waren in deinem, euren Revier.", hörte ich sie sagen. Mit einem leisen Knirschen stand sie auf und folgte mir flussaufwärts. Ich räusperte mich leise und sagte: "Ich rieche dich schon seit Jahren in unserem Revier. Wenn ich..." "Du auch?", unterbrach sie mich und lief etwas schneller um mir ins Gesicht blicken zu können. Das sie beim rückwärts Laufen allerdings wieder fallen konnte schien ihr egal. "Auch?", echote ich und legte leicht den Kopf schief. "Dein Geruch ist der Grund wieso ich keine Nacht in meinem Zimmer aushalte. Meine Eltern sind so verdammt böse auf mich weil ich mich ständig rausschleiche. Deswegen ist Valea bei mir. Er soll auf mich aufpassen und mich davon abhalten die Grenze zu überqueren.", sprudelte es über ihre Lippen.

Erstaunt blieb ich stehen. Sie nahm es genauso wahr wie ich.

Die Worte meiner Mutter kamen mir in den Sinn. Mein Großvater hatte uns binden wollen. Ich hatte sie beruhigt als sie ein Baby war. Hatte er eine Verbindung zwischen uns erkannt?

Das junge Mädchen bückte sich vor mir und hielt wenig später mein Hemd in der Hand. "Das hast du doch gesucht, oder?", fragte sie und gab es mir. "Ja, danke.", erwiderte ich und zog es mir über den Kopf.

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt