63. Vision

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Eric

Mit leisen Schritten ging ich langsam durch unsere Bibliothek. Man sah schon auf den ersten Blick wie viel fehlte. Doch Lydia sagte, dass das meiste unten in dem Sarg meines Vaters liegen würde. Was für ein lustiges Bild. Seine Werke in seinem Sarg. Zurück gekehrt und vereint mit ihm. Traurig lächelnd strich ich über die verblieben Bücherrücken. Menschenwerke. Nicht ein mal die Vampirtheorien von menschlichen Autoren standen mehr in diesen Regalen.

„Nicht alle Bücher, die du hier nicht findest sind verloren.", hörte ich Lydia in den staubigen Raum sagen. „Azrael hat sehr früh begonnen zu lesen.", fügte sie hinzu und wank mir ihr zu folgen. Also trat ich aus dem Raum und sah wie sie die Tür meines Zimmers öffnete.

Langsam trat ich näher. Hatte er dieses Zimmer übernommen? Doch nein, hatte er nicht. Lydias vertrauter Geruch hing in der Luft. Nur die breite Fensterbank hatte sich verändert. Dort lag jetzt eine weiche Unterlage und ein paar Kissen. Daneben ein großer Stapel an Büchern. Die Theorien, welche ich in der Bibliothek vermisst hatte.

„Er hat dein Blut getrunken. Nur in sehr kleinen Mengen über die letzten sieben Jahre. Aber dennoch hat er sich so schnell entwickelt. Die ersten Bücher hat er gelesen als er fünf war. Eric, du kannst dir nicht vorstellen wie erschrocken ich war. Noelia und ich hatten ihm bis dahin nur vorgelesen. Er muss sich das alles selber durch das Vorlesen beigebracht haben.", sagte sie und nahm sanft meine Hand.

„Ich habe es selber grade mit einem solchen Frühzünder zutun.", murmelte ich und sah zu ihr hinab. Auf ihrem Gesicht lag Interesse also sprach ich weiter. „Erst hatte ich nicht verstanden warum er überhaupt in den Laboren war. Er war ein Kind, menschlich noch dazu. Die Vampire haben ihn gebissen, haben offensichtlich auch gedacht er sei ein Mensch. Dachte ich aber auch nur bis er irgendwann mit einem Herzrhythmusfehler vor mir stand. Erst da habe ich begriffen, dass er ein Halbvampir ist. Ich habe ihm Blut gegeben und von einem Moment auf den nächsten ging es ihm blendend. Am nächsten Tag war er so verändert.", schilderte ich und sah zurück ins Zimmer. „Er nimmt sich ebenso meine Bücher. Medizin. Die schrecklichsten Bilder können ihn nicht erschrecken.", murmelte ich und löste meine Hand aus ihrer um meinen Arm um sie zu legen. „Klingt wie Azrael.", murmelte Lydia und griff in mein Hemd, legte ihren Kopf auf meine Brust. „Er ist vampirfeindlich.", erwiderte ich belustigt und strich durch ihr Haar bevor ich hinzufügte: „Er hat Jon eine Zecke genannt." Lydias Kopf fuhr in die Höhe als sie sagte: „Nein, das klingt nicht nach Azrael. So hätte ich ihn nicht erzogen." „Ich weiß.", erwiderte ich und küsste ihre Stirn.

Sie wieder bei mir zu haben, machte mich so unglaublich glücklich. Jedoch hasste ich mich um so mehr für die Nächte mit Chrissy. Wie konnte ich ihr das antun? Glauben, dass sie gestorben wäre?

„Lydia.", setzte ich langsam an. „Nicht, sag mir nicht, dass du wieder gehen musst. Ich weiß es, Eric. Nur bitte, lass mir diesen Moment.", hauchte sie und klammerte sich fester an mich. „Ich werde nicht gehen. Nicht jetzt und nicht morgen.", erwiderte ich und strich durch ihr Haar. „Wir konnten über so vieles noch nicht reden und ich halte das nicht weiter aus.", fügte ich hinzu. Langsam hob sie erneut den Kopf und sah mich mit ihren wunderschönen Augen an. „Jetzt noch? Oder wollen wir vielleicht erst schlafen?", fragte sie vorsichtig. Dennoch sah ich die Angst in ihren Augen. Sie wollte nicht, dass ich blieb. Ob es nur daran lag, dass sie Angst hatte sie könnten mich erwischen konnte ich nicht sagen.

„Geh ruhig. Ich würde mich gerne noch etwas umsehen wollen.", erwiderte ich. Leicht nickte sie und löste sich von mir. „Lass dir Zeit.", hörte ich sie noch sagen bevor ich die Tür schloss.

Ich erinnerte mich an den Tag als ich mit Azrael auf dem Arm hier stand. Wie ich an meine Brüder damals gedacht hatte. Ob er später Ranga ähnlich sehen würde? Wenn er dann noch lebte. Doch daran wollte ich nicht denken. Mein Sohn lebte, wenn auch in Gefahr. Wegen meiner Gene.

Mein Weg führte mich auf den Dachboden zu Jons Zimmer. Offensichtlich war es Azraels Zimmer geworden. Dennoch war es kein typisches Kinderzimmer. An der Einrichtung hatte sich nicht viel geändert. Immer noch standen überall die Bücherregale mit etwas leichterer Lektüre und ebenso das Bett mit dem Tisch. Was mich auf ein Kinderzimmer schließen ließ, war das Kuscheltier und der mir fremde Geruch. Andächtig griff ich nach dem leicht abgewetzten Tier. Eine Fledermaus. Sicher Noelias Idee, wie ich sie kannte.

Mein Blick glitt weiter durch den Raum während ich die Finger etwas fester um den Stoff legte. Wie sehr ich mich dafür hassen könnte, dass ich nicht geblieben war oder sie mit mir genommen hatte. Ich hatte einen Sohn verdammt und er würde keine Kindheitserinnerung mit mir haben. Wie ich mit meinem Vater.

Langsam legte ich das Stofftier zurück und wollte mich grade auf den Weg zurück machen als mir etwas ins Auge fiel. Neugierig ging ich zu Jons Schreibtisch und nahm den Bilderrahmen hoch. Es war eine Schaukel zu sehen. Auf dem Brett zwischen den beiden Seilen saß ein Junge. Vielleicht fünf. Die Beine für den Schwung ausgestreckt. Seine schulterlangen Haare fielen ihm trotz, dass sie zum Teil zusammen gebunden waren ins Gesicht. Dennoch erkannte ich dieses wunderschöne Lächeln, konnte mir sein Lachen fast einbilden. Meine Finger fanden ihren Weg auf das Plastik, jedoch durchzuckte meine Augen kurz darauf ein unglaublicher Schmerz. Erschrocken ließ ich den Bilderrahm auf den Tisch fallen und taumelte zurück. Es fühlte sich wie der Farbwechsel an nur um einiges schmerzvoller und es konnte auch nicht sein. Das Mittel sollte für die nächsten fünf Tage, wenn nicht sogar mehr reichen.

Keuchend schloss ich die Augen und versuchte den Schmerz zu lindern, jedoch zeigte sich das erste verschwommene Bild.

„Du hast ihr so weh getan. Du weißt nicht wie oft und wie lange sie einsam in ihrem Zimmer geweint hat und jetzt bist du zurück. Doch dir fällt nichts besseres ein als sie gleich wieder zum Weinen zubringen!", schrie eine Jungenstimme im Stimmbruch. Doch das Bild wurde nicht klarer. „Du bist kein Vater. Niemals!", keifte er und kurz darauf wurde eine Tür zugeworfen.

Schmerzverzerrt keuchte ich auf und rang nach Luft, riss die Augen auf und sah mich zitternd im Raum um. „Azrael.", verließ es leise meine Lippen. Wer sonst? Aber wieso hatte ich das gesehen? Das durfte nicht sein. Meine Hand fuhr an mein Gesicht, doch meine Haut zeigte immer noch die Verätzungen auf, welche auch immer noch so schmerzhaft waren. Offensichtlich war es etwas Wichtiges. Sonst hätte es sich nicht darüber hinwegsetzen können. 

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt