4. flüssiges Silber

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Lydia

„Glaubst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?", fragte Noelia und verschränkte die Arme, während sie neben mich trat. „Sie können es nicht nachweisen.", erwiderte ich und lächelte leicht, als Azrael sich noch einmal zu uns herumdrehte. „Du weißt nicht, wie viel sie nachweisen können. Nur, weil du es nicht kannst. Er ist kein Mensch.", sagte Noelia und ich fühlte, wie sie mich von der Seite ansah. „Ich werde ihn nicht wie Atayo seine Geschwister sein Leben lang einsperren. Noe, du hast selbst gesehen, wie wissbegierig er ist. Wenn das so weiter geht, hat er in drei Jahren Erics komplette Bücherei durchgelesen.", erwiderte ich und wank meinem Sohn.

Noelia schnaubte und murmelte: „Der nächste Punkt. Er ist viel zu weit entwickelt für einen Siebenjährigen. Lydia, er kann lesen und schreiben. Du wirst doch nicht glauben, dass das nicht auffällt." „Er hat mir versprochen, es niemandem zu zeigen. Und du wirst mir kein schlechtes Gewissen machen dafür, dass ich meinen Sohn glücklich sehen will.", knurrte ich und zog meine Kollegin zurück zum Auto, um mit ihr nach Hause zu fahren.

Lev

Zuerst hatte ich versucht zwanghaft nicht auf den schlanken Vampir auf der Liege zu achten. Zwar hatten wir heute den Tag mehr oder weniger gemeinsam verbracht. Dennoch hatte ich Angst, dass ich diese einigermaßen entspannte Atmosphäre zwischen uns zerstörte. Es hatte fünf Jahre gedauert, bis Sanji akzeptierte, dass ich ihm nichts Böses wollte. Dass ich immer nur versucht hatte ihn zu schützen, dass ich einfach nur zu wenig Informationen hatte.

Jetzt hörte ich, wie sein Atem sich verlangsamte und tiefer wurde.

Unsicher sah ich zu ihm. Seine sonst so ordentlich zusammengebundenen Haare lagen wirr auf der Liege und ich konnte beobachten, wie sein schmaler Brustkorb sich langsam hob und senkte.

„Sanji?", fragte ich leise. Aber es kam keine Reaktion.

Lautlos stand ich auf und trat an die Patientenliege. „Sanji.", wiederholte ich und legte langsam eine Hand auf seinen Oberarm. Hatte er nicht mal erzählt, dass wir Menschen viel müder sind als Vampire? Schmunzelnd strich ich seine Haare zurück und hob ihn dann von der Liege. Ranga würde sich sicher Sorgen machen, wenn er nicht nach Hause käme.

Also machte ich mich auf dem Weg zu dem Zimmer der beiden.

Mit dem Fuß klopfte ich an die Tür und wartete darauf, dass Ran sie öffnete. „Wie oft musst du ihn eigentlich noch ...", setzte dieser an und verstummte, sobald er mich erkannte. „Was tust du bei ihm? Was ist mit Eric?", fragte er und nahm mir mit grimmigem Blick seinen Freund ab. „Eric musste nach Nael sehen. Ich dachte, du fändest es besorgniserregend, wenn Sanji nicht nach Hause kommt.", erwiderte ich und lehnte mich in den Türrahmen, um zu beobachten, wie er den Omega ins Bett legte.

„Ich finde es besorgniserregend, dass du bei ihm bist.", knurrte Ran und kam zurück zu mir. Sein Zeigefinger drückte sich auf meine Brust und ich sah, wie seine Augen einen leichten silbernen Stich bekamen. „Ich will nichts von ihm. Ran, ich akzeptiere eure Beziehung. Wir sind nur Kollegen.", erwiderte ich und beobachtete, wie Rangas Nasenflügel anfingen zu beben. „Halt dich fern von ihm.", sagte er grollend und bleckte seine Zähne. Doch dann änderte sich schlagartig sich etwas in seinem Blick. „Geh.", keuchte er und wich einen Schritt zurück.

„Ranga, bitte. Wer weiß, wie lange wir noch so leben müssen. Du kannst doch nicht ...", setzte ich an, doch brach ab, als ich sah, wie Ran sich beide Hände vor Mund und Nase drückte.

Mein Blut.

Sanji hatte sowas auch schon angedeutet. Es war schwierig, für ausgehungerte Vampire und offensichtlich auch für Vampire, die den Geruch von menschlichem Blut nicht mehr gewöhnt waren, sich zurückzuhalten.

„Es ist okay.", hörte ich mich sagen. „Nimm es dir."

Ranga wich noch etwas zurück und löste dann seine Hände so weit, dass er wieder mit mir sprechen konnte. „Ich kann nicht. Das geht nicht. Lev, ich hasse dich. Aber ich will dich nicht töten.", sagte er mit gepresster Stimme. „Wirst du nicht. Aber es wird dir helfen. Ich glaube daran, dass du dich kontrollieren kannst.", erwiderte ich und legte meinen Kopf etwas zur Seite. Auch das hatte ich von Sanji gelernt. Die Adern lagen so näher an der Haut und waren für die Vampirsinne besser wahrzunehmen. Wie ich diese Stunden vermisste. Nach einem halben Jahr hatte er angefangen, mir Nachhilfe in Vampirmedizin zu geben. Jetzt gab es sie nicht mehr.

„Bist du dir sicher?", fragte Ran und kam einen Schritt auf mich zu. Seine Augen glichen jetzt flüssigen Silber. Ich nickte bestätigend. Ein weiteres Mal ließ Ranga sich nicht bitten.

Sofort stand der vor mir und ich fühlte seine Hände an meiner Taille. Tief atmete er durch, bevor ich hörte, wie er den Mund öffnete.

Ich selber schloss die Augen.

Schon bei der ersten Befreiung war ich einem hungrigen Alpha in die Hände gefallen. Es hatte vier weitere gebraucht, um mich wieder zu befreien. Bei der zweiten Befreiung brauchte es zwar kein so großes Kraft Aufgebot, aber Eric hatte alle Hände damit zu tun gehabt, mich wieder zusammenzuflicken. Es waren Beta gewesen. Mehrere. Immer noch trug ich die langen Narben auf den Innenseiten meiner Arme, auf der Rückseite meines Oberarmes und oberhalb meines Knies. Danach wurde ich von den Befreiungen ab geordert und durfte nur noch auf den Krankenbesuchen mit.

Erschrocken riss ich den Mund auf, als Ranga seine Zähne in mein Fleisch bohrte. Ich fühlte, dass er sich Mühe gab sanft zu sein trotz seines Hungers. Dennoch fuhr ein scharfer Schmerz von meiner Halsbeuge in meinen Brustmuskel.

Ranga hingegen stöhnte gegen meine Haut und ich fühle wie seine rechte Hand an meinem Körper empor wanderte, bis sie sich in meinen Haaren vergrub. So presste er mich fester an sich und fing an, gierig das Blut aus der Wunde zu saugen. Weswegen die Stelle langsam aber sicher betäubt wurde und das sonst so vertraute Brennen des Speichels war nicht zu fühlen.

Ranga trat noch einen weiteren Schritt auf mich zu und drängte mich an die Wand neben der Tür. Schon jetzt fühlte ich, wie mir schwindelig wurde und ich war froh darüber, mich gegen die Wand lehnen zu können. Doch schon wenig später zog Ranga seine Zähne aus der Wunde und ich fühlte, wie er fahrig mit der Zunge darüber leckte. Dann atmete er schwer gegen meine Haut.

„Geh.", keuchte er leise und obwohl seine eine Hand immer noch in meinem Nacken lag, tastete die andere nach der Tür. „Bitte, du musst gehen.", keuchte er und zwang sich die Hand zu senken. Also schlüpfte ich wacklig durch den Rahmen. „Danke.", war das Letzte, das ich hörte, bevor die Tür sich schloss.

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt