56. Säure

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Victor

Jeder Schrei, der durch das Gebäude klang ließ mich um Jacob bangen. Er war nicht mal zwanzig Jahre alt und dennoch... Er war ein Mensch, kein Vampir. Trotzdem setzten sie ihn hierfür ein. Brachten mich um den Verstand vor Angst um meine Söhne. Den Hunger konnte ich jedoch dank dieser Angst sehr gut ignorieren. Sie gaben mir seit geraumer Zeit nicht mehr als was ich brauchte um zu leben. Doch die Angst machte mich krank. Was wenn sie Kenneth fanden? Er war nicht nur jemand, der sie verraten hatte. Er hatte ein Geheimnis, das sie niemals erfahren durften. Aber sie hatten Jacob, der mich sein Leben lang hassen würde, wenn ich seinen Bruder verriet.

Schwere Schritte klangen durch den Gang bevor die Tür aufgerissen wurde und das kalte, sterile Licht in meine müden Augen fiel. „Hier.", sagte eine dunkle Stimme bevor mich ein Brocken Brot traf.

„Wartet.", rief ich und versuchte mich aufzurichten. „Ist dir was eingefallen?", fragte die dunkle Stimme und langsam erkannte ich die Gesichtszüge der Person. „Lasst mich zu ihm. Ich muss ihn sehen.", flehte ich und kroch auf Knien zu seinen Füßen. „Antworten und du bekommst deinen Sohn wieder.", knurrte er und trat mir vor die Brust. „Ich sagte doch, dass ich nichts weiß.", keuchte ich und fühlte wie mir vor Schmerz die ersten Tränen über die Wangen flossen. „Dann sag mir wo du warst. Zu Hause warst du nicht. Sonst hättest du deinen Sohn aufwachsen sehen.", sagte der Mann und kniete sich zu mir auf den Boden um meinen Kopf sanft an meinem Kinn nach oben zu ziehen. „Ich habe mich von meiner Frau getrennt. Sie wollte hier nicht hineingezogen werden.", erwiderte ich und suchte eine Gefühlsregung in seinen Augen. „Also ist sie ebenso ein Anti wie ihr Sohn?", fragte er und hob eine Augenbraue. Panisch schüttelte ich den Kopf und erklärte: „Nein, sie... sie ist nur kein Fan von Gewalt. Sie, meine Frau, sie war genauso gegen Vampir, ist es immer noch." „Zum Beispiel?", fragte er und legte den Kopf schief. „Sie... Kenneth hatte viel Kontakt mit dem jüngsten Bruder von Eric Shi. Als Jacob jünger war hat Kenneth ihn häufig bei diesem Bruder gelassen. Meine Frau hat das nicht gutgeheißen und hat das sofort unterbunden.", stammelte ich und betete, dass ich damit keinen größeren Schaden angerichtet hatte.

„Wieso war Kenneth dann in unseren Reihen? Wenn er soviel Kontakt zu diesem Bruder hatte?", fragte er weiter und richtete sich auf. „Weil er erst später erkannte. Zumindest sagte er mir das. Er wurde... sie haben ihn verletzt. Sie haben ihm vorher diese Seite nicht gezeigt. Ich weiß nicht was in seinem Kopf vorging. Ich bin nur sein Stiefvater.", erwiderte ich. Verstehend nickte der Mann und atmete tief durch. „Du glaubst auch du kannst uns für dumm verkaufen.", sagte er dunkel und damit verließ er die Zelle. Ließ mich erneut zurück in der Dunkelheit. Mit der Ungewissheit ob ich meinen Sohn je lebend wiedersehen würde.

Moe

Vorsichtig öffnete ich Erics Bürotür. Doch mein Bruder schlief nicht wie so oft auf seinem Tisch, sondern lief nervös vor ebendiesen auf und ab. „Alles okay?", fragte ich. Kurz hielt Eric inne und erwiderte: „Mit Nael? Ja, ich habe ihn zu Sanji gebracht, da sollte er sicher sein. Ranga hat mir versprochen Sanji Zeit zugeben also..." „Ich meine bei dir. Geht es dir gut?", unterbrach ich ihn. Diesmal blieb er gänzlich stehen und sah mich an. „Sieht das so aus?", fragte er und griff sich in die dunklen Haare. „Kann ich dir helfen?", erwiderte ich. Mein Bruder seufzte und ging zu der Behandlungsliege. „Du könntest deine ganze Kreativität und Wut der letzten Jahre an meinem Gesicht auslassen.", murrte er und nahm das Skalpell vom Beistelltisch. „Ich darf dich schlagen?", fragte ich überrascht. „Ich sagte kreativ.", knurrte Eric und hielt mir das Skalpell hin. Überfordert sah ich zwischen ihm und dem silbernen Gegenstand hin und her. „Ich soll dich verletzten?", fragte ich fassungslos. „Du darfst. Ich werde es nicht selber schaffen.", erwiderte er und drückte mir das schlanke Messer in die Hand. Dann band er sich die Haare zurück. „Deine Leinwand.", fügte er noch leise hinzu und schloss die Augen. „Eric.", formten meine Lippen fassungslos. Warum wollte er, dass ich das tat? „Tu es doch einfach!", rief er und schlug die Augen wieder auf. Ich hatte eine gelbe Iris erwartet. Aber es blieb bei den dunklen Augen. „Du hast das Mittel genommen. Ich... soll ich dich umbringen?", sagte ich schockiert und legte das Skalpell hin. Ich sah wie seine Brust sich vor Verzweiflung schnell hob und senkte. Bevor er sagte: „Moe, ich muss zu Lydia. Aber so werden sie mich erkennen und wegsperren. Sie werden mir schlimmeres antun als ein paar Schnitte oder Säure. Bitte. Niemand sonst..." „Nein, ich werde dich nicht verletzen. Schon gar nicht mit Säure. Spinnst du?", rief ich und erst da viel mir die Sprühflasche auf. „Tu es oder ich werde es tun und dann könnte ich mich wirklich ernsthaft verletzten. Moe, ich habe das Mittel noch nicht genommen. Ich werde die Verletzungen etwas heilen lassen und es erst dann nehmen. Aber bitte...", flehte er. „Na schön.", knurrte ich und legte meine Hand auf seine Brust. Drückte ihn an die Wand so dass er nicht viel Spielraum hatte. Dann nahm ich das Skalpell wieder auf und holte aus. Der erste Schnitt zog sich von seinem rechten Mundwinkel über seine Nase durch seine Augenbraue. Ich fühlte nur wie Eric hektisch nach Luft rang. Der Schreck hatte ihm sicher etwas vom Schmerz genommen. Jedoch sah ich schon jetzt, dass die Wunde durch das wenige Tierblut, dass wir tranken auch so nicht wirklich heilte. „Hier.", sagte ich ruhig und gab ihn ein Wattepad. „Leg das auf dein Auge.", befahl ich ihm. Zitternd kam er dem nach und schloss das andere ebenfalls. Meine Hand legte sich an den Flaschenhals und hob diese vom Tisch. So sehr wie ich Eric auch als Kind gehasst hatte. Er war mein Bruder und diese Macht über ihn zu haben gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Also schraubte ich den Verschluss der Sprühfalsche auf. Ohne weiter darüber nachzudenken schloss ich ebenfalls die Augen und kippte ihm den Inhalt auf die Gesichtshälfte, auf welcher er sein Auge schützte. Als ich seine Schmerzenslaute hörte, kniff ich die Augen zusammen und ließ zitternd die Flasche fallen. Ich wollte nicht sehen was ich angerichtet hatte. Wollte sein Leid nicht sehen. Doch ich musste. Er war mir in jeder Hinsicht ausgeliefert. Also zwang ich mich meine Augen zu öffnen. Das meiste hatte seinen Arm erwischt. Dennoch schlug die Haut über seinem Auge und um seinen Mund und Nase kleine Blasen. Hecktisch griff ich nach der Wasserschüssel, welche Eric offensichtlich schon bereitgestellt hatte und tropfte mit Hilfe eines Tuches etwas Wasser über die Verätzung. Versuchte so vorsichtig wie möglich die restliche Säure wegzuspülen. Am liebsten hätte ich ihn in die Duschen geschleift aber ich wusste, dass eine schnelle und richtige Versorgung gegen seinen Plan wäre.

Vorsichtig entfernte ich seine Hand von seinem Auge und nahm ihm mit einem trockenen Tuch das Wattepad ab um es fort zu werfen. „Siehst du mich?", fragte ich besorgt und musterte seine Augen, welche beide angefangen hatten zu tränen. Allerdings sicher wegen der Schmerzen.

„Es tut mir leid.", winselte ich und versorgte weiter die gereizte Haut, welche sich langsam zu einem schrecklichen Narbengewebe zusammenzog. „Es tut mir leid.", wiederholte ich. „Ich habe dich drum gebeten.", sagte Eric leise. Bedacht den Mund nicht zu sehr zu bewegen. Zitternd reinigte ich die Wunden weiter und musste feststellen, dass ihm die Flüssigkeit auch den Hals und die Brust hinuntergelaufen war. Vorsichtig knöpfte ich sein Hemd auf und trennte den Stoff von seiner Haut.

„Oh mein Gott. Kann man euch nicht für ein paar Stunden alleine lassen?"

Erschrocken fuhr ich herum und fühlte mich in der Zeit zurückgesetzt. Damals, wenn unser Vater uns beim Streiten erwischte. Doch diesmal war es Shinji, der im Türrahmen stand und entgeistert auf Erics entstellten Körper starrte. Danach wanderte dieser enttäuschte Blick zu mir. „Wofür war das?", fragte er vorwürfig. „Damit ich sicher zu Lydia komme.", erwiderte Eric und erhob sich zischen von der Liege. „Bleib sitzen. Mein Gott. Eric.", schimpfte Shota und eilte zu meinem Bruder. Selbst wenn ich versuchte es richtig zu machen, versaute ich alles, tat nur das Falsche. Mit wässrigen Augen lehnte ich mich an Erics Schreibtisch und beobachtete wie Shota weiter die Verätzungen ausspülte. „Niemand sonst...", hörte ich ihn wieder sagen. Niemand außer mir... War ich in seinen Augen so brutal? In Gedanken fing ich an auf meiner Lippe zu kauen bis meine Lippe wund und zerrissen war.

„Shota ist okay. Es soll nicht perfekt sein.", hörte ich meinen Bruder sagen und sah wie er sich die Spritze mit seinem gesunden Arm in den Oberschenkel stieß. „Es sollte gar nicht sein. Bist du irre geworden? Ich dachte du seist Arzt? Du solltest Körper erhalten anstatt sie zu zerstören.", warf Shota ihm vor. Eric schnaubte leise und erwiderte: „Manchmal muss man zerstören um zu erhalten. Ich muss zu meiner Familie egal was es kostet." 

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now