54. Dunkellila

10 6 0
                                    

Nael

Seufzend kniff ich die Augen zusammen und gab dem Drang nach mich zu strecken. Dabei stießen meine Finger auf Haut. Verwirrt öffnete ich die Augen und erblickte einen Nacken. Mein Blick glitt weiter nach oben, bis ich die halblangen rot-braunen Haare erblickte. Erschrocken keuchend fuhr ich hoch und starrte auf sein schlafendes Gesicht. Im selben Augenblick stieg mir der Alphageruch in die Nase und mir wurde schlecht. Hecktisch verließ ich das Bett und hechtete ins Bad um mich dort zu übergeben. Wimmernd wurde ich das menschliche Essen los. Ich erinnerte mich, dass er mich damit gefüttert hatte. Er war hier gewesen. Hatte mich gewaschen, mich versorgt. Mein Körper erschauderte bevor ich den letzten Rest loswurde. Keuchend tastete ich nach einem Tuch und reinigte meinen Mund bevor ich erschöpft an die Wand sackte. Meine Beine zitterten genau wie meine Hände. Meine Bauchmuskeln schmerzten vom Würgen und ich schmeckte die Magensäure. Konnte man sich noch widerlicher fühlen?

Mein Blick ging zu der Dusche. Ein Luxus dieser Räume. Mein Zimmer besaß so etwas nicht. Angestrengt brachte ich mich auf die Beine und öffnete den kleinen Schrank neben der Tür. Mit immer noch zitternden Fingern zog ich eines der Handtücher hervor und legte es auf das Waschbecken. Dann fing ich an mich zu entkleiden.

Mein sonst schon so schmächtiger Körper zeigte jetzt noch viel mehr die Abzeichnungen meiner Knochen. Abstoßend. Angewidert wand ich den Blick ab und stieg in die Duschwanne.

Auch wenn das Wasser nicht besonders warm war blieb ich ziemlich lange unter dem Wasserstrahl. Bis ich etwas das Gefühl hatte wieder sauber zu sein.

Vorsichtig setzte ich meine nassen Füße auf den Badezimmerboden und wickelte das Handtuch um meine Hüfte. Mein Blick blieb im Spiegel hängen. Die Narbe...

Langsam hob ich eine Hand und strich über die Nähte an meinem Hals. Aber mehr als das war dort nicht zu finden. Es war vorbei. Meine Lippen umspielte ein kleines Lächeln, während ich mein Haar hochhielt um eine bessere Sicht auf meinen Hals zu haben. Keine Narben. Die erste Freudenträne lief über mein Gesicht. Ich war frei und ich würde diesen Fehler nicht erneut begehen. Niemals.

Da meine Arme an Kraft verloren senkte ich sie wieder. Allerdings verdeckten meine Haare so wieder meinen Hals. Das sollten sie nicht. Dort war nichts mehr wofür ich mich zu schämen brauchte. Nichts mehr. Nur reine Haut.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte öffnete ich den Schrank unter dem Waschbecken und fand sofort was ich suchte. Meine Finger legten sich um das kühle Metall. Meine linke Hand griff nach der ersten Haarsträhne, welche ich ohne einen weiteren Gedanken abschnitt. Bis sie mir nur noch bis zum Kinn reichten. Dann trocknete ich sie noch etwas bevor ich die Strähnen, die mir ins Gesicht fielen nach hinten band und auch meinen restlichen Körper abtrocknete.

Neu. Ich fühlte mich neu. Eine neue Chance.

„Nael?"

Erschrocken ließ ich die Schere fallen, welche ich grade wegräumen wollte. Im selben Moment öffnete sich die Tür. Moe blieb wie erstarrt stehen und ich sah wie er die Luft anhielt.

„Ich habe grade geduscht.", knurrte ich. „Das ist es nicht.", erwiderte er ohne Luft zu holen und verließ das Bad wieder. Die Tür schloss sich und wenig später hörte ich den Schlüssel im Schloss.

„Moe!", rief ich und lief zur Tür. „Es tut mir leid. Nur für einen Moment. Ich hole Eric.", versprach er. „Moe!", schrie ich und schlug gegen das Holz. Doch ich hörte nur wie die Zimmertür sich schloss. Was war sein scheiß Problem? Glaubte er, nur weil ich ihn in einem schwachen Moment zu mir gelassen hatte... Es war kein schwacher Moment. Ich hatte ihm vergeben. Aber...

Meine Beine trugen mich zurück zum Spiegel. Das Mahl war fort. Ich gehörte ihm nicht.

Mein Blick glitt in meine Augen. „Ach du Scheiße!", entkam es mir. Ein stechend dunkles Lila strahlte mich an. Nichts war mehr von meinen hellen Augen zu sehen. Jetzt wusste ich weshalb er die Luft anhielt. Kein einziger Alpha würde...

Ich hörte die Zimmertür sich erneut öffnen. Sofort lief ich zurück zur Tür und presste mich gegen das Holz. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und wenig später drückte die Person auf der anderen Seite gegen die Tür. „Nael.", hörte ich Eric sagen als er den Widerstand fühlte. „Komm nicht rein.", rief ich und stemmte mein Gewicht weiter gegen das Türblatt. „Nael, es ist okay. Moe ist nicht hier. Ich will nur nach dir sehen.", erwiderte er, versuchte aber nicht weiter die Tür zu öffnen. Selbst er würde dem nicht widerstehen können. Selbst er... „Hol Sanji. Bitte. Bitte, kein Alpha.", erwiderte ich nervös. „Sanji ist nicht verfügbar.", hörte ich Eric sagen. Nicht verfügbar? Hatten sie ihn geholt? War er tot? War er krank? Hatte ihm jemand was getan? „Gib mir einen Moment.", rief ich und entfernte mich von der Tür. Langsam ging ich zurück zum Spiegel und versuchte angestrengt die Farbe zu reduzieren. Ich fühlte nicht mehr wie intensiv sie war. Konnte ich es überhaupt noch steuern?

„Nael, ich komme jetzt rein. Es ist alles gut.", hörte ich Eric sagen. Bevor ich etwas erwidern konnte öffnete sich die Tür und ich sah durch den Spiegel, dass er sich ein Tuch fest vor Mund und Nase gebunden hatte. „Es ist alles gut. Ich werde dir nichts tun.", sagte er sanft und kam näher. Auch wenn er sich beherrschen konnte, sah ich wie seine Augen einen leichten Gelbstich bekamen und seine Nasenflügel unter dem Stoff zuckten.

Sanft drehte er mich zu sich herum und drehte meinen Kopf leicht zur Seite. „Du bist nicht mehr gebunden.", sagte er und strich über die Nähte. Kein Kribbeln schoss durch meinen Hals. Nur das seltsame Gefühl wegen der Fäden. Fremdkörper in meiner Haut.

„Hier, zieh das an.", sagte er und reichte mir eines von Moes Hemden und hob dann meine Hose vom Boden auf. „Ich warte draußen.", informierte er mich und verließ das Bad. Schnell streifte ich den Stoff über und hing das Handtuch an der Halterung auf. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte mir erneut diese extreme Farbe. Dann betrat ich das Schlafzimmer.

Eric zog grade das Tuch etwas fester. Vielleicht hoffe er ich würde es nicht sehen aber es war sehr deutlich wie sehr er kämpfte. „Was soll ich tun?", fragte ich leise. Der Ältere drehte sich zu mir herum und reichte mir eine große Jacke. „Zieh die an.", verlangte er und ich folgte. Sofort stieg mir der vertraute Geruch unserer Hütte in meine Nase. Aber auch Atayos Geruch. Eric nickte zufrieden und sagte: „Ich bringe dich zu Sanji. Du wirst eine ganze Weile das Zimmer nicht verlassen können. Vielleicht ist es bei deinem Bruder erträglicher." „Aber Ranga...", setzte ich an. Doch da schob Eric mich schon auf den Flur und zog mich mit zügigen Schritten den Gang entlang. Warum fühlte ich mich grade wieder so jung? So mussten sich Kinder fühlen, wenn... Wenn sie Eltern hatten wie ich. Jemand der sie nicht wollte. Gott reiß dich zusammen.

Eric schob mich um die letzte Ecke und blieb vor Sanjis Tür stehen. Hecktisch hörte ich ihn klopfen und wenig später öffnete mein Bruder die Tür. „Was ist denn... meinst du so kannst Ranga helfen? Oder ist irgendwo ein Rohr...", setzte er an doch Eric unterbrach ihn. „Ich bin nicht wegen Ran hier. Nimm einfach deinen Bruder und gib auf ihn acht.", erwiderte er und schob mich in den Raum. Verwirrt sah Sanji seinem Schwager hinterher bevor er die Tür schloss und dann zu mir sah. „Was...", setzte er an. Doch da schien er meine Augen zu entdecken. „Ahh.", gab er von sich und begab sich zu seinem Bett, auf welchem nur noch ein Bettzeug lag. „Sanji, was habe ich verpasst?", fragte ich leise. „Wahrscheinlich nicht viel. Alles beim Alten. Bis auf das unser Vater recht hatte. Alpha sind Arschlöcher.", knurrte er leise und kroch unter seine Decke. Hatten sie sich getrennt?

Langsam strich ich die Jacke ab und kroch ebenfalls zu Sanji unter die Decke. Sanft nahm ich meinen Bruder in meine Arme. Kurz wehrte er sich dagegen aber es brauchte nicht lange bis er sich wimmernd an meine Brust schmiegte. Jetzt konnte ich ihm zurückgeben, was er die sieben Jahre für mich tat. 

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now