77. Nasenbluten

17 6 0
                                    

Jon

„Ken...", setzte ich an als ich die Tür zur Vorratskammer öffnete. Erschrocken fuhr er zu mir herum. Sein Hemd in den Händen. „Was ist passiert?", fragte ich und kam langsam auf ihn zu. Doch er schüttelte nur den Kopf und ließ, dass zerrissene Hemd hinter seinem Rücken verschwinden. Besorgt musterte ich ihn. Seine Augen wichen meinem Blick aus und diesen Ausdruck hatte ich noch nie auf seinem Gesicht gesehen. Doch es war ziemlich offensichtlich, dass er nicht darüber reden wollte. Also räusperte ich mich und fragte: „Können wir reden oder ist es grade schlecht?" Kenneth schnaubte leicht und murmelte: „Willst du mir auch sagen, dass du Angst vor mir hast? Dass ich manipulativ bin?" „Was? Nein, Kenneth, wenn ich Angst gehabt hätte wäre ich nicht zu dir gekommen", versuchte ich ihn zu beruhigen. Dass es mehr ein Reflex war hielt ich einfach mal geheim. Diese Monster von Flügel waren echt sehr furchterregend gewesen.

„Aber wieso auch?", setzte ich verwirrt hinzu. „Favio...", hob er an. Dann verstummte er aber wieder. „Hat er dir weh getan?", harkte ich besorgt nach und trat den letzten Schritt auf ihn zu um seinen Oberkörper auf Verletzungen zu untersuchen. Wenn dieses Arschloch nur herkam um uns zu verletzen und verraten, dann sollte er sich warm anziehen.

Still ließ Kenneth meine Untersuchung über sich ergehen, bis ich sanft über die Haut neben dem leichten Einschnitt zwischen seine Schulterblättern strich. Bestimmt wand er sich aus meinem Griff und wandte sich mir wieder zu. „Was hat er getan?", fragte ich. „Nichts", war die einsilbige Antwort. „Kenneth, was ist denn bloß los?", erwiderte ich. Mein bester Freund seufzte und murmelte: „Vor ein paar Tagen war Risa bei mir. Sie hatte eine Vision von mir. Jemand hat mich wegen ihnen festgenommen. Ich habe ihr versprochen sie niemandem mehr zu zeigen. Jetzt wissen es doch zwei mehr." „Du kannst nichts gegen Risas Visionen machen. Es ist Schicksal. Wir können nur rausfinden wer es sein wird und wo er dich hinbringen wird. So lange du in ihren Visionen nicht stirbst, können wir dich noch retten", erwiderte ich und strich sanft über seinen Oberarm. Er nickte langsam und ließ sich gegen eines der Regale sinken.

Dann atmete er tief durch und sagte: „Es scheint dich gar nicht zu wundern." Ich zuckte leicht mit den Schultern und erwiderte: „Hat es dich gewundert als ich dir sagte, dass ich ein Vampir bin? Schon seitdem du so seltsam auf meinen Biss reagiert hast weiß ich, dass etwas nicht normal mit dir ist. Seit wann?" Kenneth lächelte leicht und erklärte: „Wohl schon seitdem wir klein waren. Doch ich selber weiß es erst seitdem sie dich töten wollten. Sie waren dein kugelsicheres Schild." Beeindruckt hob ich eine Augenbraue und lächelte dann. „Also mein Schutzengel?", fragte ich belustigt. Kenneth nickte und murmelte: „Damit ist auch das Rätsel gelöst, wieso wir uns ständig wieder über den Weg gelaufen sind. Ich musste für dich da sein."

Jacob

Wieder alleine.

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Betondecke. Ich wollte nicht den kleinen, trotzigen Bruder spielen. Aber ein Wiedersehen hatte ich mir anders vorgestellt. Er hatte sich so verändert. So ernst hatte ich ihn glaube ich noch nie erlebt. Aber gut über meinen Erinnerung an ihn lag auch ein kindlicher Filter.

Das Öffnen der Tür riss mich aus eben diesen Erinnerungen. Erwartend, dass er zurück kam richtete ich mich auf. Jedoch sah ich in ein fremdes Gesicht. Verschieden farbige Augen. Blut floss aus seiner Nase über die schmalen Lippen.

Auch er schien überrascht mich hier zu sehen. „Und du bist?", fragte er mit rauer Stimme und ging hinüber zu dem anderen Bett um dort ein Stofftuch hervorzukramen. „Kens Bruder", erwiderte ich und beobachtete wie der Fremde sich den Stoff auf die Nase drückte. „Ah", machte er und setzte sich dann, um den Kopf in den Nacken zu legen. „Das solltest du nicht", setzte ich an. „Ich weiß, dass das nicht gut ist", knurrte er und murmelte: „Ist eh egal."

Dennoch senkte er den Kopf wieder und stützte seine Ellenbogen auf seine Knie. „Du bist wirklich Victors Sohn, oder?", fragte er. Langsam nickte ich und ließ meinen Blick jetzt weiter über seine Erscheinung gleiten. Er trug eine enge dunkle Jeans, an beiden Knien war sie zerrissen und ich sah die Erde auf seiner Haut. Sein beiges Hemd zeigte ebenfalls solche Erdflecken auf. Aber auch einige Bluttropfen. „Hat dich jemand geschlagen?", fragte ich leise. Auch wenn sein Körperbau sehr schmal war, schüchterte er mich etwas ein. Die raue Art, wie er saß und zu mir sah. Die Wut in seinen doch sehr hübschen aber genauso gruseligen, hellen Augen. „Ich wünschte, dann würde ich vielleicht aus diesem Albtraum aufwachen", murmelte er und nahm kurz das Tuch von seiner Nase. Allerdings blutete es ebenso stark wie zuvor.

Er seufzte genervt und strich sich die hellbraunen Haare aus den Augen. „Was ist denn passiert?", harkte ich nach. Ich würde es nicht aushalten schweigend hier zu sitzen und mich von ihm anstarren zu lassen.

„Geht dich nichts an, Kleiner", bekam ich zuhören bevor er sagte: „Warum warst du nicht ebenfalls in den Laboren?" „Ähm...", stammelte ich und vergrub meine Hände unter meinen Oberschenkeln. „Weil ich kein Vampir bin", sagte ich. Allerdings klang es mehr wie eine Frage. „Dein Bruder auch nicht", erwiderte der Fremde. „Was?", kam es verwirrt über meine Lippen. Der Fremde lachte leise und sagte dann: „Dein Vater ist ein Jäger und hat Kenneth mit in die Labore gebracht. Wieso dich nicht?" „Zu jung?", vermutete ich unsicher. Die beiden hatten Vampirversuche unterstützt? Aber jetzt taten sie doch das Gegenteil. Sie wollten doch sogar meinem Vater schaden.

„Zu jung", lachte der Fremde und zog die Füße aufs Bett. „Ich hatte das erste Opfer mit acht vor der Nase", fügte er hinzu. „Opfer?", harkte ich nach. „Oh, du hast ja gar nichts mitbekommen", schnaubte der Mann. „Wann hast du denn bitte das letzte Mal mit deinem Bruder gesprochen?", fragte er. Ich schluckte leicht und erwiderte: „Als ich zehn war."

Erneut ging die Tür auf und diesmal war es wirklich Kenneth. „Vio! Oh Gott. Was...? Jacob!", rief er. Doch ich hob sofort die Hände. „Ich bin nicht gewalttätig", beteuerte ich. „Und selbst wenn. Ich kann mich verteidigen", fügte der Mann hinzu. Allerdings konnte man das bei seiner nasalen Stimme nicht ganz ernst nehmen.

„Was ist passiert?", fragte mein Bruder und ging vor dem Fremden in die Knie. „Ist okay", murmelte dieser leise. Ließ jedoch zu, dass Kenneth ihm das Tuch abnahm und ließ sich von ihm untersuchen. Plötzlich wirkte er gar nicht mehr so hardcore. „Wahrscheinlich nur die Aufregung", hörte ich ihn sagen. „Sicher? Favio, ich sehe sehr wohl, dass du ständig weinst und blutest", erwiderte mein Bruder leise und strich sanft... nein liebevoll über die Wange des Mannes. „Alles gut", beteuerte Favio und entfernte nach einem Blick zu mir die Hand meines Bruders aus seinem Gesicht. 

Vamp Zone 《4》Where stories live. Discover now