Ich ging zu Clint ins Zimmer, das mal meines gewesen war. Als ich reinkam, sah ich ihn unruhig auf und ab gehen, von Thor keine Spur zu sehen, was mich ziemlich beruhigte. Ich war den Tränen nah und ich hasste es, Gefühle vor anderen zu zeigen. Denn Gefühle waren ein Zeichen der Schwäche.
Als ich Clint sah, konnte ich meine Tränen nicht mehr halten. Er nahm mich in den Arm und tröstete mich, indem er leise auf mich einredete.
"Shhh, alles wird gut."
Ich beruhigte mich etwas, als der sein Geruch in meine Nase stieg. Als die Tränen schließlich versiegt waren, löste ich mich und wischte mir die Tränen von den Wangen und hoffte innerlich, dass meine Wimperntusche nicht verlaufen war, was mir wohl genauso unangenehm sein würde wie die Tatsache, dass ich gerade vor Clint geweint hatte.
"Keine Angst, die Schminke ist noch da, wo sie sein soll." versicherte er mir augenzwinkernd. "Übrigens, zu der Sache, die du mir gesagt hast, bevor ich in den Jet gestiegen bin: Ich habs gewusst! Ich wusste, du magst mich! Und dass du mich brauchst."
Er grinste selbstverliebt.
"Hey, ich hab nie gesagt, dass ich dich brauche! Ich hab nur gesagt, dass du gar nicht so schlimm bist, wie ich anfangs dachte." Er grinste trotzdem weiter und ich boxte ihm spielerisch gegen den Arm. "Wollen wir trainieren gehen? Ich glaube, du kannst n bisschen Nahkampfübung gut gebrauchen!"
Jetzt lachte er.
"Na, wir werden sehen!"
Wir liefen zum Trainingsraum. Da es schon 21 Uhr war, war niemand mehr da. Wir stellten uns gegenüber auf die Matte, die für solche Kämpfe auf dem Boden lag. Dann fingen wir dieses typische im-Kreis-laufen an und schauten uns in die Augen.
Clint setzte zum ersten Schlag an, der auf meine rechte Schulter ging, doch als Linkkshänder hatte er auf rechts gegen einen Rechtshänder keine Chance und ich parierte den Schlag, setzte danach gleich mit einem Tritt auf Hüfthöhe nach, den Clint mit Leichtigkeit parierte.
"Da musst du dir was besseres einfallen lassen." meinte er grinsend und setzte zu einem Tritt an, dem ich auswich, mich über den Boden rollte und versuchte, seine Beine wegzuziehen. Er ahnte das aber schon und sprang deswegen über meine Beine. Während ich mich aufrichtete, schlug er auf Brusthöhe zu und traf mein Brustbein. Ich taumelte zurück, rannte jedoch dann auf ihn los und brachte einen Tritt auf Kopfhöhe, dem er zwar auswich, jedoch sah er meine Faust in die Magengrube nicht kommen.
Diesmal taumelte er zurück und hielt sich den Bauch. Diesen Moment nutzte ich, um nachzusetzen, fiel jedoch auf seine Schauspielkünste rein und tappte in seine Falle: Er zog mir die Füße weg. Ich fiel auf die Matte und er stützte sich über mich, doch er brachte keinen Spruch, nichts. Er schaute mir nur in die Augen.
Schließlich kam er mit seinem Gesicht immer weiter zu mir. Ich hatte schon die Augen geschlossen, als ich Tonys Stimme hörte.
"Du bist nicht gut genug für sie, Hawklooser."
Clint stand wütend auf, fest entschlossen, Tony eine runterzuhauen, doch ich ging dazwischen.
"Stopp! Hört auf! Alle beide! Tony, hör auf mit diesen blöden Bemerkungen, sonst kriegst du nämlich bald von mir die Fresse poliert und Clint... Lass dich nicht von ihm provozieren! Du bist mindestens genauso gut wie er, wenn nicht sogar besser. Und nur zur Info Tony: Ich würde eher was mit Clint anfangen als mit dir. Niemand will ein egozentrisches Arschloch als Freund haben, das in allem nur einen Weg sieht, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken." Butz. Das hatte gesessen. Beide sahen mich sprachlos an. "So. Ich werd wahrscheinlich wieder runter müssen. Wir sehen uns."
Ich ging Steve suchen, der mich runterfliegen sollte und fand ihn schließlich auch.
"Steve, kannst du mich runterfliegen?"
"Du gehst schon wieder?"
Über sein Gesicht huschte ein schmerzverzerrter Blick, der schnell einem seriösen wich.
"Ja, ich muss." meinte ich zögernd und verschränkte die Arme vor mir.
Er ging zögernd einen Schritt auf mich zu.
"Sina... Ich... Wollte dir sagen, dass... Sich an meinen Gefühlen zu dir nichts geändert hat... Ich fühle mich immer noch zu dir hingezogen... Ich habe noch nie gespürt, dass es so stark ist. Und ich weiß, dass auch du tief im Inneren etwas für mich fühlst."
Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser. Er kam immer weiter auf mich zu, bis sein Kopf direkt vor meinem war. Doch bevor seine Lippen auf meinen landeten, drehte er sich rum und stieg in den Jet. Ich tat es ihm gleich, dennoch nahm ich meine Umgebung kaum wahr. Es war wie in einem Film, alles glitt in Slow-Motion an mir vorbei. In meinem Kopf schwirrte alles nur so umher. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, oder ob es richtig war, was hier passierte. Ich wusste nicht genau, was ich fühlte, und das nervte mich. Ich wusste immer ganz genau, was ich wollte und jetzt? War ich verwirrter als ich damals in der Pubertät war.
Benommen stieg ich aus dem Jet als wir gelandet waren und lief zurück durch das neonbeleuchtete Treppenhaus.