Dalton und ich sahen einander geschockt an, wir konnten nicht fassen, was da gerade passierte. Meine Augen begannen zu tränen und auch wenn wir das eigentlich nicht sollten, stürmte ich von der Tribüne auf die Bühne, um Anthony und Brendan in eine stärkende Umarmung zu ziehen. Noch einmal gab es eine kurze Werbepause, die Dermot im Hintergrund gerade den Zuschauern mitteilte, doch das war mir so egal, ich bekam es nicht einmal richtig mit. ,,Das darf nicht wahr sein. Das ist ein schlechter Scherz", murmelte ich immer wieder, mittlerweile hatte sich auch Dalton zu unserer Umarmung dazu gesellt. Louis stand immer noch wie ein Stock an Ort und Stelle und ohne zu überlegen, zog ich auch ihn mit in die Umarmung, wir brauchten jetzt alle diese Unterstützung und diese Kraft.
Ich wollte nicht, dass Brendan oder Anthony uns verlassen mussten, ich dachte, wir vier würden so lange wie möglich zusammen bleiben. Das jemand aus unserer Kategorie heute wirklich gehen musste, hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Wir hatten uns so sicher gefühlt, gestern war alles so gut gelaufen. Anthony hatte sich wegen letzter Woche so angestrengt und gesteigert, um nicht mehr im Sing-Off zu landen und auch Brendan lieferte immer so gut ab, beide hatten den Platz als die zwei, mit den wenigsten Anrufen, nicht verdient. Als wir die Umarmung auflösten und ich Brendan das erste Mal nach der Verkündung richtig in die Augen sah, wirkte er nicht nur traurig, sondern gebrochen, als wäre sein Traum schon geplatzt.
,,Hört zu, ihr beide werdet jetzt alles geben, ich weiß, dass ist eine verdammt arschige Situation und uns als Team hätte es nicht schlimmer treffen können, aber ihr beide habt solch ein Talent. Egal, wer von euch beiden nun weiter kommt, ihr beide habt schon so viel erreicht und werdet noch so viel erreichen, was ihr auch ohne Sieg von X-Factor schafft", sprach ich, Brendan wischte dabei meine Tränen weg und danach die seinen. Die Blicke der anderen Kandidaten, die alle sicher auf der Tribüne standen und die Blicke der Juroren, die sich wieder auf ihre Plätze hintern den langen Tisch gesetzt hatten, mal abgesehen von Louis, der noch bei uns stand, spürten wir auf unserer Haut brennen.
Dermot unterbrach unsere kleine Runde, in der wir den beiden Sing-Off Kandidaten Mut machten und teilte uns mit, dass die Werbepause gleich um sein würde. Deshalb bat er uns, das Dalton und ich uns wieder auf die Tribüne begeben, doch wir wollten nicht. Wir wollten in der Nähe von Brendan und Anthony bleiben, wo wir sie unterstützen konnten und auch Louis weigerte sich, sich hinters Jurypult zu setzen. Dementsprechend musste Dermot seufzend nachgeben, moderierte die Sendung wieder an, sobald die Kameras auf ihn gerichtet waren und das Make-Up bei den Juroren nachgelegt war.
,,Ich hab versagt", hörte ich Louis murmeln und ließ mich zu ihm schauen. ,,Hast du nicht", widersprach ich sofort leise, damit uns kein Mikrophon aufzeichnen konnte. ,,Doch, sonst würden wir jetzt nicht hier stehen und zwei meiner Kandidaten wackeln, mit der Sicherheit, das einer der beiden heute nach Hause gehen muss. Ich versage immer und überall, egal was ich anfasse, es geht schief", jammerte Louis frustriert, behielt nach außen aber eine starre Miene, schließlich waren wir live. ,,Sprichst du noch von X-Factor oder von uns?", fragte ich vorsichtig, der Wuschelkopf zuckte daraufhin mit den Schultern. ,,Ich denke, ein bisschen von beidem", gab er zurück und ich wünschte, ich könnte ihm zeigen, dass nicht alles schief ging, was er begann, aber solange zwischen uns keine stabile freundschaftliche Beziehung herrschte, hatte ich keine Beweise.
,,Beginnen bei dem verdammt harten Sing-Off, was den Mitgliedern der Kategorie sicher an die Nerven geht, wird Anthony. Bühne frei und Applaus bitte." Der Mann aus Liverpool schaute noch einmal zu uns, als er seinen Platz auf der Bühne eingenommen hatte, während wir am Rand standen und nicht mehr tun konnten, als abzuwarten. Die Situation fühlte sich total surreal an. Das nun einer aus unserer zusammengewachsenen Gruppe gehen musste, ich konnte und wollte das nicht glauben. Zudem wusste man gar nicht, was man tun sollte, man konnte nur hilflos zuschauen, Daumen drücken brachte nichts, denn am liebsten wollten wir ja beide aus unserem Team weiter mit dabei haben.
Anthony wollte das so unbedingt, man merkte, dass er seinen Platz hier nicht verlieren wollte, aber genauso merkte man, dass die Situation an ihm nagte. Auch wenn wir im Endeffekt alle Konkurrenten waren, gegen einen aus der gleichen Kategorie anzutreten, einen, mit dem man sich das Zimmer teilte, mit dem man nun schon mehrere Monate zu tun hatte, einem Freund, es war hart. Es gab keine anderen Worte dafür, als Quälerei. Aber für den Fernsehsender war das sicher gut, ich konnte mir vorstellen, wie die Einschaltquoten in die Höhe schossen und alle sich daran ergötzten, wie wir leideten. Genauso leidvoll blickte ich zu Liam, Zayn und Niall, die so von der ganzen Situation eingenommen waren, das sie mich gar nicht bemerkten. Sie lauschten Anthony, wie er den Song A Change Is Gonna Come von Sam Cooke performte und dabei all das reinlegte, was er in den letzten zwei Wochen bezüglich den Live Auftritten erlernt hatte.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, folgte großer, ermutigender Applaus und mit offenen Armen empfingen wir Anthony am Rand der Bühne. ,,Ich will das alles nicht, ich will nicht gegen Brendan um den Platz kämpfen müssen", murmelte er und ließ sich von Louis in den Arm nehmen, der dem braunhaarigen Kraft spendete. In der Zeit kam Brendan auf die Bühne, der Junge, der im X-Factor Haus mein bester Freund geworden war. Wir vertrauten einander so ziemlich alles an, wenn Louis mich nicht gerade bat, es geheim zu halten, ich hatte ihm geholfen, seine Sexualität zu ergründen und wir waren so schnell zusammengewachsen, dass der Bund sich sicher nicht so leicht zu lösen war.
Er sang High And Dry von Radiohead, dabei galt es viele hohe und lange Töne zu halten, was er mit Bravur meisterte und alle im Publikum begeisterte, zum Jubeln brachte, nach jedem Ton, den er sang. Es war eine unglaublich angespannte Stimmung für uns vier Kandidaten und für unseren Mentor, der zwar versuchte, seine starre Miene aufrecht zu erhalten, aber man erkannte, wie sie immer weiter bröckelte, weil auch ihn die Situation nicht kalt ließ. Als auch Brendan mit seinem Lied geendet hatte, kam er begleitet von Jubel zu uns, wurde zunächst von Louis empfangen, in die Arme genommen und gelobt. Alles wurde von den Kameras aufgenommen und live übertragen, Menschen überall auf der Welt schauten zu, einige davon litten in dieser Situation vielleicht sogar mit uns.
Ein weiteres Mal wurde Louis von Dermot gebeten, sich auf seinen Platz zu begeben, doch er lehnte dankend ab und so standen wir zu fünft, Hand in Hand vor der Jury, Louis gab sich als einer von uns und es machte mich unheimlich stolz. ,,Du hast das toll gemacht", raunte ich Brendan zu, wollte ihn ermutigen, doch er war so nervös, dass das wahrscheinlich nicht einmal zu ihm durchdrang. ,,Robbie, wen würdest du in der nächsten Runde wiedersehen wollen?", fragte Dermot zunächst das mehr oder weniger ehemalige Mitglied von Take That, momentan nahm er eine Pause von der Band. Robbie fuhr sich durch die Haare, spielte mit seinem Kugelschreiber und spannte uns auf die Folter, bis er dann einmal zu reden begann.
,,Es ist wirklich eine schwierige Entscheidung, vorallem weil ihr ein Team seid und ihr eine Freundschaft zueinander aufgebaut habt. Doch ich muss mich leider nun einmal entscheiden und nun, wo ich euch im direkten Vergleich habe, fand ich Brendan ein bisschen stärker, deshalb bekommt er meine Stimme." Ich drückte Brendans Hand nach diesen Worten, der sich bedankte, aber ganz wohl war ihm bei der Sache auch nicht. An der anderen Hand hatte ich Dalton. Louis stand neben Brendan, hatte ihn an der einen und Anthony an der anderen Hand. ,,Ayda, wem gibst du deine Stimme?", fragte Dermot die einzig weibliche Jurorin, die sich räusperte und danach ihr Urteil fällte. ,,Ich muss meinem Mann zustimmen, es ist wirklich hart, eine Entscheidung zu treffen. Ihr beide seid sehr talentiert und ich bin mir sicher, das man noch viel von euch und eurer Musik hören wird, doch heute Abend gehört meine Stimme auch Brendan, tut mir leid Anthony."
Ich blickte zu Anthony, der gequält nickte, während Brendan sich wieder unwohl bedankte. Die eine Hälfte des Publikums jubelte, die andere buhte. Als nächstes wandte sich Dermot an Louis. ,,Kannst du eine Entscheidung fällen, welchen deiner Jungs du weiterhin dabei haben willst?" Die Frage war gemein und die Antwort von Louis ganz verständlich. ,,Ich könnte mich niemals zwischen ihnen entscheiden. Wir sind ein Team und wir gehören zusammen." Danach landeten alle Blicke auf Simon, er hatte das letzte Wort und entschied darüber, wer nach Hause gehen und wer nächste Woche wieder live auftreten würde. Der Mann zeigte nicht so viel Mitleid, wie die drei anderen Juroren.
,,Für mich ist es heute Abend ganz klar Brendan gewesen, der überzeugt hat", fasste er ganz kurz und knapp zusammen. Brendan war weiter, Anthony musste nach Hause gehen, was Dermot auch sofort lautstark herausposaunen musste. Natürlich war das sein Job, aber am liebsten hätte ich ihm in diesem Moment das Mikrophon weggenommen. Während er die Sendung abmoderierte, sahen wir fünf uns einfach nur ein, keiner konnte sich richtig freuen. Das ein Teammitglied gehen musste, trübte die Situation und das Anthony so an sich geglaubt und sich so angestrengt hatte, machte all das nicht besser, denn so war die Enttäuschung nur noch größer und der Schmerz nicht zu mildern. Für Anthony war es schwer zu gehen und für uns war es schwer, ihn gehen zu lassen, er war der erste, der uns verlassen musste und so schrumpfte unser Team auf drei Kandidaten.
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Wie sie das alle wohl verkraften werden, ihr erstes Teammitglied verloren zu haben? :(
All the love xx