54. Kapitel ≫Eine Frage und eine Antwort≪

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Ich stehe vom Bett auf und gehe zur Tür. Plötzlich wird mir Schwarz vor Augen und ich stütze mich an der Tür ab. Ich bin wohl zu schnell aufgestanden. Leise öffne ich die Tür und blicke ins Wohnzimmer. Es ist dunkel. Die Lichter sind aus. Ich strecke meine Hand aus und tapse an der Wand, um den Lichtschalter zu finden. Ich schalte das Licht an und suche Serkan, doch er ist nicht zu finden. Mit kleinen Schritten gehe ich ins Wohnzimmer. Wo ist er? Plötzlich ertönt seine Stimme in der Küche. „Okay, tschüss." Neugierig tapse ich Richtung Küche. Die Tür steht leicht offen aber auch hier ist das Licht aus.

Wieso sitzt der Junge im Dunkeln? Komisch. Leise betrete ich die Küche und mein Blick bleibt sofort an etwas rot leuchtendes hängen. Im Balkon, zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger hält er etwas rot leuchtendes fest. Als ich auf ihn zu gehe und vor der Balkontür stehen bleibe, sehe ich was es ist. Eine Zigarette. Er raucht? Seit wann raucht er? Ich sehe von seiner Hand auf zu seinen Augen, die mich fragend mustern. „Wieso bist du wach? Ist was passiert?" fragt er sofort. "Nein, alles okay. Ich wollte nur wissen wo du bist." gebe ich zu. Ich beobachte ihn, wie er das letzte mal an seiner Kippe zieht und eine weiße Rauchwolke fliegen lässt. Er zerdrückt es und klopf auf sein Oberschenkel. Als ich ihn immer noch nur ansehe, packt er mich plötzlich an der Hand und zieht mich auf sein Schoß.

Mit Schwung falle ich auf ihn und halt mich an seinen Schultern fest. Ich richte mich etwas zu recht und sehe ihm tief in die Augen. „Seit wann rauchst du? Und mit wem hast du mitten in der Nacht so wichtig telefoniert?" frage ich neugierig. Sein Lächeln erlischt und er sieht mich intensiv an. „Bist du nicht müde?" fragt er. Ich schüttle mein Kopf und schaue raus auf die dunkle Straße. Eine Weile ist es still. Während ich die Sterne beobachte, liegt sein Blick nur auf mir. Etwas unangenehm ist es schon. Er ist sehr nachdenklich aber an was denkt er? Was bedrückt ihn?

Wenn er es mir nur sagen würde, könnte ich ihm vielleicht helfen. „Serkan." sage ich und schaue ihn wieder an. Fragend sieht er mich an. Ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll oder ob ich es ihm überhaupt sagen sollte. Ich hole tief Luft. „Ich habe so viel Fragen im Kopf aber keine einzige Antwort." fange ich an. Mein Herz schlägt immer schneller. „Was willst du wissen?" er sieht mich an, als würde er schon eine Vorstellung haben, was ich fragen will. Wenn es nur so leicht wäre. „Ich glaube dir würden die Fragen nicht gefallen."

Es ist die Wahrheit. Ihm würden die Fragen nicht gefallen. Ich will ungern unsere jetzige Beziehung kaputt machen. „Eine Frage. Du darfst mir nur eine Frage stellen. Überlege dir ganz genau welche du nimmst, denn es gibt kein zurück mehr." er lehnt sich zurück und warted ab. Nur eine einzige Frage. Was könnte ich den Fragen? Wo sollte ich anfangen? Obwohl, da gibt es etwas, dass ich wirklich am meisten wissen möchte. Etwas, dass mich bedrückt, weil ich nichts darüber weiß. Dilay. „Okay. Nur eine einzige Frage." wiederhole ich ihn. Er nickt.

„Wer-. Also du musst mir die Frage nicht beantworten. Aber... wer ist Dilay?" endlich ist es raus. Ich fühle mich aber nicht erleichtert, sondern mies. Ich weiß nicht wieso. Seine Muskeln spannen sich an und er richtet sich etwas aufrecht. Das war wohl nicht die Frage seiner Vorstellung. Er sieht mich nachdenklich, ernst und angespannt an. „Dein Tattoo." beantworte ich seine unausgesprochene Frage. Meine Hand lege ich auf die Stelle seines Tattoos. Seine Linke Brust. „Du musst mir die Frage nicht beantworten. Es war falsch von mir." sage ich und stehe von seinem Schoß auf. Ich entschuldige mich und verlasse das Balkon. In der Küche öffne ich den Kühlschrank und nehme mir Vanillepudding raus. Von der Schublade hole ich noch ein Löffel und gehe ins Wohnzimmer.

Ich weiß auch nicht mehr weiter. Habe ich gerade alles vermasselt? Ich sitze hier alleine auf der Couch und esse mein Pudding. Es ist 2 Uhr Nachts. Die Tür der Küche geht auf und Serkan kommt rein. Er setzt sich neben mich und stützt sich mit den Ellenbogen an den Knien ab. „Dilay ist..." er macht eine Pause. Mein Herz fängt an schneller zu schlagen. Ich lasse mein Löffel in den Pudding fallen. Er hebt den Kopf und sieht mich an. In seinen Augen ist so viel Trauer, Liebe, Wut und Angst. Aber wovor hat er Angst?

„Sie ist meine kleine Schwester." flüstert er kaum hörbar. Mein Herz setzt aus. Irgendwie bin ich erleichtert. Sie ist seine Schwester aber wieso habe ich sie noch nie gesehen. In seinen Augen bilden sich Tränen aber er unterdrückt es. Wie gerne ich ihn jetzt umarmen und fest drücken würde aber ich kann nicht. Wie gelähmt sitze ich da. Er setzt sich auf und schaut mir tief in die Augen. Plötzlich zieht er sich sein T-Shirt. „Dilay bedeutet Mond, der das Herz erhellt. Deswegen ist auch ein Mond daneben und-" er macht eine kurze Pause. „Sie war Eiskunstläuferin. Sie hat es geliebt auf dem Eis zu stehen. Sie war eine Künstlerin." erzählt er so lebensfroh. Das erklärt auch die Schlittschuhe neben dem Mond an seiner Brust.

„Sie ist am 22.04.2001 geboren und... am 26.07.2018 ist sie ein Engel geworden." flüstert er zum Ende hin. Meine Tränen kullern ununterbrochen. Er hat seine 17 Jährige Schwester verloren. „Sie hatte die gleichen Kastanienbraunen Augen, wie du und braune lockige Haare. Sie war so lebensfroh und hat immer alles positiv gesehen. Sie war immer Lieb und freundlich zu jedem. Aber sie konnte Stur und Ehrgeiz sein, wie kein anderer." erzählt er so seelenruhig. Er ist gerade nicht neben mir, sondern bei seiner Schwester. „Sie hat Geburtstage geliebt, weißt du. An ihrem 17ten Geburtstag habe ich ihr die rosa glitzer Schlittschuhe gekauft. Sie hat vor Freude angefangen zu weinen. Egal wie scheiße es mir an manchen Tagen ging ihr Lächeln hat alle meine Sorgen weggeblasen."

Er lächelt vor sich hin und schüttelt verträumt seinen Kopf. „Wir haben jeden Dienstag immer die Sterne und vorallem den Mond beobachtet. Sie sagt, dass Dienstags der Mond heller scheint. Stimmte nicht aber wenn man dran glaubt, dann war es wirklich so. Und weißt du noch, als ich dir ein Zopf geflochten hatte? Meine Mutter war in Schock. Ich- Ich hab ihre Haare immer geflochten. Seitdem sie vier ist flechte ich ihre Haare. Meine Oma hat es mir mal gezeigt und es hat mir Spaß gemacht." er atmet tief ein und aus. Ich lege mein Pudding auf den kleinen Tische und drehe mich seitlich zu ihm.

„Serkan." flüstere ich kaum hörbar. Er dreht sich zu mir und ich umarme ihn schluchzend. „Es tut mir so leid. So so leid." keuche ich an seiner nackten Brust. An seiner nackten Brust? Oh mann. Sofort entferne ich mich von ihm und wische meine Tränen weg. Plötzlich schlingt er seinen Arm um meine Taille und in Sekundenschnelle liege ich unter ihm. „Ist schon okay." raunt er und nimmt meine Hand in seine. Er führt es an seine Brust und legt meine Hand auf das Tattoo. „Dir sollte aber eins klar sein. Dilay ist zwar meine Schwester aber zwischen uns kann und wird niemand stehen können. Das verspreche ich dir."

Er nähert sich, doch bevor er meine Lippen berühren kann stoppe ich ihn. „Wir sollten schlafen gehen." sage ich und er sieht mich verwirrt an. Er nickt und steht von mir auf. Sehr unangenehme Situation. Er setzt sich wieder hin und ich tue es ihm gleich. „Nächste Woche sind unsere Flitterwochen. Am vorletzten Tag sind wir auf eine Hochzeit von einem guten Freund eingeladen. Nimm dir also auch was dafür mit." sagt er und geht ins Schlafzimmer. Ist er sauer auf mich, weil ich ihn gestoppt habe?
So ein Kleinkind. Ich stehe auf und gehe selbst ins Schlafzimmer. Er liegt auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und in Gedanken verloren schaut er starr auf die Dencke.

Ich lege mich neben ihm ins Bett und drehe mich zu ihm um. „Danke, dass du es mir anvertraut hast." hole ich ihn aus seinen Gedanken. Er sieht mich kurz an und schaut wieder zur Decke. Ich drehe ihm mein Rücken zu und versuche zu Schlafen. Aber es geht nicht. Ich kann einfach nicht einschlafen. Ich drehe mich wieder um und schaue auf seine Brust. Eher gesagt auf das Tattoo. Ich strecke meine Hand aus und fahre über sein Tattoo. Über ihren Namen, dann die Schlittschuhe und am Ende umkreise ich den Mond.

Plötzlich schlingt er seinen Arm um mich und zieht mich eng zu sich. Erschrocken sehe ich ihn an. Er küsst meine Stirn und ich schmiege mich noch etwas an ihn. So ist gut. Jetzt kann ich schlafen.

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