43. Kapitel ≫Abstand≪

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„Abla!" rufe ich und renne auf sie zu. Ich umarme sie fest und muss wieder weinen. Sie drückt mich auch sehr fest und löst sich nach einer langen festen Umarmung. Mit den Händen auf meinen Schultern drückt sie mich zurück und mustert mich von oben bis unten. An meinem Hals bleibt ihr Blick jedoch hängen. Obwohl ich den Reisverschluss meiner Jacke vor dem Aussteigen höher gezogen habe, sieht sie es trotzdem. Sie hebt den Kopf und sieht mir tief in die Augen. Ich kann die Sorge und die ganzen Fragen, die sie mir stellen will, deutlich aus ihren Augen lesen. „Abla, gidelim mi?" (Schwester, sollten wir gehen?" frage ich leise.

Wir gehen zu ihrem Auto und setzen uns rein. Es dauert nur 20 Minuten bis zur Wohnung meiner Schwester aber diese 20 Minuten kommen mir vor, wie 20 Stunden. Wir beide Schweigen aber meine Schwester schaut mich immer wieder von der Seite an. Und ich kann mir vorstellen, dass diese Nacht noch lange kein Ende hat. Ich räuspere mich. „Schlafen Onkel und Alper schon?" frage ich heiser.

Sie parkt das Auto und zieht den Schlüssel raus. „Nein. Als du mich angerufen hast, habe ich die beiden zur Oma von Alper geschickt." Sagt sie und steigt aus. Als Antwort nicke ich nur und steige auch aus dem Auto.

Wir sitzen schon seit 10 Minuten auf der Couch in der Wohnung und Schweigen. Ich habe mir bequem Sachen angezogen und wir haben mein Schlafplatz auf der Couch vorbereitet. Ich traue mich nicht was zu sagen und meine Schwester weiß bestimmt nicht, wo sie anfangen soll zu Fragen. Ihr blick ist die ganze Zeit auf meinem Hals. Plötzlich streckt sie ihren Arm und zieht mein Pulli weiter runter. Sie mustert den Fleck und studiert den anderen Fleck auch. „Asli, das ist..." fängt sie an und macht eine Pause. „Hat er gegen dein Willen?" fragt sie vorsichtig. Ich schüttle heftig mein Kopf. Immernoch nicht fähig was zu sagen. „Dann erzähl mir alles vom Anfang bis zum Ende. Wirklich alles." fordert sie ernst. Somit erzähle ich ihr alles von A bis Z alles. Sogar, dass es mir merkwürdigerweise gefallen hat aber auch, was Serkan gesagt hat. Einfach alles.

Tränen überstürmt sitze ich jetzt vor ihr. „So ein Hayvan." (Tier/Türkische Beleidigung) Sie umarmt mich fest. Ich schluchze und wimmere an ihrer Schulter. „Wie konnte er das nur machen, Abla? Was habe ich getan so etwas verdient zu haben?" Ich weine mich an ihrer Schulter aus. Ich brauche sie jetzt einfach bei mir. Nachdem ich mich etwas beruhigt habe, lösen wir uns und ich putze meine Nase. "Yapamiyorum." (Ich kann das nicht mehr.) fange ich an. "Ich... ich will die Scheidung." Meine Schwester nimmt meine Hand in ihre und drückt fest zu. "Das geht nicht. Die Entscheidung liegt nicht bei dir und auch nicht bei ihm."

„Bei wem dann? Wieso geht es nicht?" frage ich sie. Sie drückt meine Hand fester und presst kruz die Lippen zusammen, dann fängt sie an es mir zu erklären. „Es wurde ein Versprechen gegeben, dass ihr heiraten sollt und das habt ihr. Wenn ihr euch jetzt scheiden lässt, wird die ganze Familie auseinander fallen. Serkans Familie und unsere Eltern werden sich hassen. Meine Familie wird dadurch auch zerbrechen." Sie macht eine kurze Pause und wartet auf eine Antwort von mir aber es kommt keine. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wusste nicht, dass es so eine ernste Sache ist.

„Abla." fauche ich. Sie schüttelt mit einem leichten Lächeln den Kopf. „Ich werde mir was überlegen aber jetzt schlafen wir erstmal. Es war ein anstrengender Tag. Ruh dich etwas aus und denk nicht viel darüber nach." Sie gibt mir ein Kuss auf die Wange und verlässt das Wohnzimmer. Ich lege mich hin und decke mich zu. Wenn ich mich von ihm scheiden lasse, wird die ganze Familie auseinanderbrechen. Es liegt also ganz allein an mir. Ich kann diese große Verantwortung nicht auf mich nehmen. Das kann ich nicht machen. Aber ich kann auch nicht den rest meines Lebens mit ihm verbringen. Nachdem, was er getan hat, was er gesagt hat, ist es unmöglich wieder zurück zu fahren. Ich brauche Abstand.

Leer starre ich auf die Decke. In Gedanken gehe ich den heurigen Tag nochmal durch. Unbewusst fasse ich mir an mein Hals. Eine warme Träne rollt über meine Wange. Mein Leben war davor viel leichter. Ich hatte nur mein Abschluss im Kopf. War oft mit Emy unterwegs. Ich hatte Träume und wollte studieren. Ich hatte mir keine Gedanken über eine Ehe gemacht. Ich hatte nicht darüber nachgedacht zu heiraten oder ein Freund zu haben. Das war für mich noch zu früh und unwichtig.

Meine Augenlider werden schwerer, wie mehr ich nachdenke und irgendwann fallen sie zu.

Am nächsten Morgen wache ich früher auf und bereite schon mal Frühstück vor. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Gefühlt jede halbe Stunde bin ich wach geworden. Warum? Weiß ich nicht aber mein Kopf ist so voll. Meine Gedanken sind so durcheinander. Ich fühle mich benebelt.
„Günaydin Asli." (Guten Morgen.) Ich drehe mich zur Küchentür und meine Schwester steht verschlafen am Türrahmen. „Günaydin." sage ich mit einem Lächeln. Sie setzt sich an den Tisch und ich setze mich dazu, nachdem ich unsere Tassen abgestellt habe.

„Abla kannst du mir das mit dem Versprechen genauer erklären. Wieso würde die Familie auseinanderbrechen?" frage ich während wir frühstücken. „Beşik kertmesi, iki ailenin aralarındaki iyi ve sıkı ilişkiyi daha da güçlendirmek için birbirlerinin çok küçük kız ve erkek çocuklarını bazen bebeklerini, ileride evlendirmek üzere sözleşmeleri ya da nişanlamalarıdır. Yani Erdal Eniste be Babamız bu sözü verdiler ki hep birlikte kalalım ve daha bağlı bir aile olalım diye."
(Zwangsehe oder die Ehe mit Versprechen ist, wenn zwei Familien sehr kleine Mädchen und Jungen, manchmal auch ihre Babys, heiraten oder heiraten wollen, um die gute und enge Beziehung zwischen ihnen weiter zu stärken. Erdal  und unser Vater haben dieses Versprechen gegeben, damit wir zusammen bleiben und eine loyalere Familie sein können.)

Erklärt sie es mir und ich höre ihr gut zu. „Eğer boşanırsan bütün aile yıkılır. Bu sözü büyükler verdi. Büyüklerin sözü geçiyorsa ona karşı gelmek çok kötü olur." (Wenn du dich scheiden lässt, wird die ganze Familie zerstört. Dieses Versprechen wurde von Erwachsenen gegeben. Wenn die Ältesten sprechen, wäre es sehr schlecht, sich ihm zu widersetzen.)

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A Promise About UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt