Das Lieben nach dem Tod (5)

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Die Wohnzimmerwand wurde fortan nicht mehr nur von prächtigen Ölgemälden geziert, sondern auch Fionas Kunstwerk fand seinen Platz an der Wand seiner liebsten Erinnerungen.

Die gefaltete DIN-A4 Seite hatte er vorsichtig glattgestrichen, ehe er sie zwischen den Glasscheiben des goldenen Bilderrahmens hineinlegte. Nicht nur aufgrund der eher laienhaften Malkünste stach das Bild von den anderen drei Werken heraus, sondern auch das eher kleingewählte Format konnte mit den großen und schweren Gemälden nicht mithalten. Gerade das machte den Reiz des „Katzenbildes" aus.

Die in Farben eingefangenen Erinnerungen an Eden, Alfons, Josefine sowie Franz wirkten elegant gezeichnet, aber transportierten nicht annähernd die Wärme wie Fionas Zeichnung. Den Maler, den Nero damals für die ersten drei Gemälde engagierte, kannte seine geliebten Personen nicht, weswegen er nur anhand seiner Schilderungen sich der Realität annähern konnte. Nero hatte unzählige Künstler beauftragt seine Erinnerungen in einem Bild einzufangen, von denen es nur ein einziger entsprechend seiner Vorstellung bewerkstelligen konnte. Doch im Vergleich zu Fionas Geschenk verblassten jene Werke vollkommen.

Stolz betrachtete er das für ihn bunteste Kunstwerk der Welt. In der einen Hand seine Teetasse, in der metallischen die passende Untertasse.

Am Ende war ihm wieder nur ein Bild geblieben. Die letzten Worte von Fionas Brief waren aufgebraucht. Sehnsüchtig wie er war, hatte er der Gier nach ihrer Wärme nicht mehr standhalten können. In kürzester Zeit hatte er ihre Zeilen gelesen, statt sie für schwere Zeiten aufzubewahren. Nun blieb ihm nichts mehr von ihr. Sie war mit ihren letzten liebevollen Worten gestorben.

„Puh, kommen wir langsam zum Ende.

Sorry, aber ich glaube, ich habe wieder nur deine Zeit verschwendet. Ich meine, ich kann über Pedro lästern oder ein paar gutgemeinte Kalendersprüche abschreiben, aber ich kann dir keinen Ratschlag geben, wie es dir besser gehen könnte.

Es tut mir so weh, dass ich dir keine Hilfe sein kann. Es tut mir so weh, dass es womöglich meine Schuld war, warum Eden sich das Leben nahm. Es tut mir so weh, dass gerade du derjenige bist, der wegen mir leiden muss.

Dennoch akzeptierst du mich und meine Dankbarkeit für diese Geste kann ich in Worten nicht ausdrücken. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mich ohne dich irgendwann umgebracht. Ich bin mir sicher, dass ich nirgendwo auf der Welt jemanden gefunden hätte, der mich nur annähernd geduldet hätte. Niemand möchte sich mit einem Menschen wie mir umgeben. Niemand wünscht sich einen Menschen wie mich an seiner Seite. Die andauernde Einsamkeit hätte ich niemals ausgehalten. Doch du hast mich gerettet, wie du unzählig andere Menschen gerettet hast. Wahrscheinlich kannten viele von denen nicht einmal deinen Namen, noch konnten sie dir danke sagen. Zu denen möchte ich nicht zählen. Ich möchte dir danke sagen. Ich bin so stolz darauf, dass ich jemanden wie dich kenne und dass ich dich meinen Freund nennen darf.

Auch wenn ich dich lieber glücklich sehen möchte, so mag ich dich auch, wenn du traurig bist. Du musst dich in keiner Sekunde ändern oder vorgeben, jemand anderes zu sein. Was auch immer dich bedrückt, auch wenn ich es nicht beeinflussen kann, lass mich bitte für dich da sein. Sei es auch nur, wenn du jemanden brauchst, um darüber zu reden oder du nur einfach jemanden brauchst, der blöde Grimassen schneidet, damit du wieder lachen kannst. Liebend gern wäre ich dieser Mensch für dich.

Wann auch immer du diesen Brief zu Gesicht bekommst, sei dir gewiss, dass ich mich auf den nächsten Morgen freue. So lange du an meiner Seite bist, gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht freue, aufzustehen. So lange ich dein Lächeln sehe, gibt es nichts, was mich noch bedrücken könnte.

Hab dich lieb!

Fiona"

Neros Tasse fiel samt der Untertasse zu Boden. Bei dem Gedanken an Fionas herzzerbrechende Worte konnte er die Tränen nicht mehr halten. Sein geliebter Sessel flog durch den Raum. Die mechanische Faust schlug ein Loch in die Tapete. Während seine Prothese in der Wand feststeckte, drückte er sein feuchtes Gesicht an die Wand. Jeder Atemzug wurde durch sein Zittern erschwert.

Sie war wirklich fort.

Glühend heiße Splitter breiteten sich in jeder Region seines Körpers aus. Die Sehnsucht drückte sich von innen gegen seinen geschunden Leib und zwang ihn in die Knie. Mitsamt einigen Bruchstücken zog er seine Faust aus der zerbröckelnden Wand. Grauer Sandstaub rieselte zu Boden. Wie ein kleines Kind kauerte er sich zusammen, umschlang mit seinen Armen seine Beine und drückte sein Gesicht auf seine Kniescheiben.

Auch sie war fort.

Eden OdysseeTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon