Bitte, lieb mich! (1)

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Sein kühler Blick drohte Fiona zu durchstechen, aber dennoch fühlte sie im Blick seiner grauen Augen die herzliche Wärme, nach der sie sich schon seit Jahren sehnte.

Schon als sie vorhin vor der Haustür des weitläufigen Landhauses stand, hatte sie eine kindliche Aufregung überkommen, die sie zum Zittern und Stottern brachte. Doch als sie nun die Worte schwerfällig aus sich herauspresste, war es ihr nicht unangenehm – im Gegenteil, sie erfreute sich sogar an ihrer eigenen naiven Aufregung. Ihr Gegenüber war diese absolut wert, dachte sie, denn auf diesen Moment hatte sie die letzten 33 Jahre ihres Lebens hingearbeitet.

„Wollen Sie mich nicht etwas fragen?", wollte er lächelnd wissen.

Fiona konnte ihren Blick einfach nicht von ihm abwenden. Es kümmerte sie nicht, dass anscheinend nur sie das peinliche Schweigen zwischen Ihnen zu schätzen wusste und es war ihr ebenso vollkommen egal, dass ihr Gegenüber – ihr Interviewpartner, den sie eigentlich für die Schülerzeitung „Tintenklecks" ausquetschen wollte – seit gefühlten zehn Minuten auf eine Frage von ihr wartete und ihm eigentlich die Geduld ausgehen musste.

„Also, wenn Sie bereit sind", eröffnete er leicht zögerlich, „können wir ruhig anfangen."

„Entschuldigung", sagte Fiona und widmete sich wieder dem leeren Notizblock, der auf ihrem Schoß ruhte. „Ich war gerade ganz in Gedanken."

„Schon in Ordnung", erwiderte er in bester Laune. Er musste über Nerven aus Stahl verfügen, ebenfalls eine Eigenschaft, die Fionas Herz höherschlagen ließ.

„Wie darf ich Sie ansprechen?", fragte sie. „Graf von Hohenheim?"

„Nennen Sie mich doch bitte bei meinem ersten Vornamen. Sie dürfen mich gerne bei meinem ersten Vornamen nennen: Nepomuk."

Der ausgefallene Vorname war die einzige Ungereimtheit, die Fiona auf die Schnelle auffiel. Warum trug er keinen Namen, der auf seine ausgeprägte Männlichkeit schließen ließ? Ein Name, der jeden vor Hochachtung erzittern ließ. Dennoch würde sie mit Nepomuk zurechtkommen, so lange sie das hart ausgesprochene „von Hohenheim" jedes Mal dazu betonte.

„Ich denke, viele Leser unserer Schülerzeitung interessieren sich vor allem für Ihr Alter", sagte Fiona nun aufgeregt.

„Das glaube ich kaum", meinte der Graf und lachte auf. „Warum sollten sich die Schüler für einen alten Mann interessieren? Die Jugend sollte besser nach vorne blicken! Reden wir doch lieber über mein Unternehmen. Ich bin mir sicher, viele Ihrer Leser würden sich für die Möglichkeit eines dreiwöchigen Schülerpraktikums interessieren."

Aber viel mehr brannte Fiona eine andere Frage unter den Fingernägeln. Sie schätzte ihn um zehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre älter als sich – jedoch nicht aufgrund seines grauen Seitenscheitels, der keine kahle Stelle an seiner Haarpracht offenbarte und auch nicht wegen seiner fast faltenfreien Haut, die zwar blass aber noch immer nicht kraftlos aussah. Die einzigen erwähnenswerten Falten entdeckte sie rund um seine glatt rasierten Mundwinkel und auf seiner sich runzelnden Stirn, nachdem nun schon wieder eine Zeit lang Schweigen zwischen ihnen herrschte. Das einzige Indiz für ein höheres Alter war die Art, wie er sich gab - die Art, wie er sich kleidete, vornehm und klassisch, altmodisch aber mit Stil, - die Art, wie er die Zimmer seines Hauses eingerichtet hatte: kein Fernseher, keine Fotos, kein Radio - stattdessen Bücher, Gemälde und Musikinstrumente. Vor allem was Fiona besonders freute: kein einziges Anzeichen, dass noch jemand außer ihm in diesem Haus lebte.

„Dass sie sich überhaupt selbst als alt bezeichnen, finde ich doch lustig. Ich finde, Sie haben sich sehr gut gehalten." Fiona riss die Augen auf, als sie weitersprach: „Ich würde auf schwarze Magie tippen!"

„Das nehme ich als Kompliment auf." Der Graf musste auflachen, stellte sein Lachen aber sofort ein, als Fiona begann, wie wild auf ihren Notizblock zu schreiben. Es war die erste Notiz, die sie sich seit dem Gesprächsanfang machte.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now