Die Jagd (3)

22 2 0
                                    

Gejagt von dem hungrigen Löwen raste Vincenz durch die Korridore. Er wusste nicht einmal, ob Apu Bubu sich nun selbst in die Luft gejagt oder auf wundersame Weise überlebte hatte, dennoch war die Angst vor ihm allgegenwärtig. Er lief die Treppen hinunter in das Erdgeschoss und stoppte erst im Ballsaal, wo ihn vertraute Gesichter erwarteten. Er beugte sich hechelnd nach vorne, stützte seine Oberarme auf seinen Knien ab und japste nach Luft. Als er sich gesammelt hatte, prustete er es hinaus: „Habt ihr ... habt ihr ... meine Tante Marlene gesehen?"

Dreimal erntete er dasselbe amüsierte Kopfschütteln. Vor ihm standen zum einen die zwei Servicekräfte, die blonde Aniela, ausgerüstet mit einer Pistole samt Schalldämpfer und die rothaarige Rollstuhlfahrerin. In der Mitte stand der ominöse Magier Sheytan, verschränkte seine Arme und schenkte Vincenz einen strengen Blick.

„Hallo Vincenzo", sagte Sheytan. „Du bist zu spät."

Nachdem Vincenz seine Atemzüge wieder unter Kontrolle hatte, erhob er sich, richtete seine Brille und lächelte das Medium an. „Tut mir leid, aber Pünktlichkeit war noch nie meine Stärke." Nachdem er seine Brille gerichtet hatte, konnte Vincenz erst das volle Szenario erblicken. In dem einst gefüllten Ballsaal war nun niemand mehr am Tanzen, kein einziger Adeliger stand noch aufrecht. Am Rande des Raumes, wo die geleerten Buffetplatten standen, türmten sich die umgefallenen Edelmänner. Die meisten verfügten mittlerweile über keine gesunde Gesichtsfarbe mehr. Vincenz blieb überfragt.

„Warum schlafen alle?"

Sheytans schwarzgefärbte Lippen formten ein Grinsen, sein lackierter Fingernagel zeigte auf die Servicekraft im Rollstuhl. „Teresa hatte doch die Alkoholvorräte vergiftet."

Vincenz typisches Lächeln war verschwunden, große Augen starrten aus den dicken Brillengläsern. „Wa-was? Aber warum? Teresa, ich habe doch auch ein paar Bier getrunken! Warum hast du mich nicht vorgewarnt? Wir sind doch Arbeitskollegen! Werde ich jetzt sterben?"

Die Blondine Aniela meldete sich nun zu Wort. „Vincenzo, hast du denn schon vergessen, dass wir gegen Teresas Gifte geimpft wurden?"

Vincenz blickte nun hoffnungsvoll Aniela an. „Ich werde nicht sterben?"

Teresa kam näher gerollt und quittierte Vincenz' Panik mit einem Lachen. Eine glockenklare, dennoch leise Stimme erklang. „Ich habe dir doch damals die Spritze gegeben." Ihre Fingerspitze schnellte nach vorne und stoppte kurz vor Vincenz' Oberarm. „Pieks! Pieks!"

Vincenz schreckte zurück und hielt sich den Oberarm fest. „Erinnere mich nicht daran, Teresa."

Aniela sah zu Sheytan herüber. „Mit wie vielen Leuten mussten wir ihn damals festhalten?"

Das Medium musste aufgrund Vincenz' Schusseligkeit zwar auch schmunzeln, wollte jedoch schnell sein Anliegen vortragen. „Wir sollten uns auf unseren Auftrag konzentrieren. Mittlerweile müssten alle Anwesenden bereits tot oder zumindest ohnmächtig sein. Es gibt niemanden mehr, der uns das Relikt streitig machen könnten. Wir müssen nur herausfinden, wo das alte Biest den Himmelsstein versteckt hält. Wir werden die Villa auf den Kopf stellen und nicht verschwinden, bevor wir den Himmelsstein gefunden haben. Im besten Fall finden wir Constanze, verabreichen ihr das Gegengift und foltern sie, bis sie uns das Versteck verrät."

„Patriarch Krylow hat es auf uns abgesehen", unterbrach Vincenz mit ängstlicher Stimme. „Seine Männer sahen vorhin noch ziemlich fit aus."

„Die Wirkung des Giftes hängt ebenfalls davon ab, wie schnell der Alkohol anschlägt", sagte Teresa. „Krylows Männer müssen heftigen Alkoholkonsum gewohnt sein, deswegen sind sie noch auf den Beinen."

Sheytan zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Eine Frage der Zeit, bis sie umkippen."

Auch Aniela wirkte wenig beeindruckt. „Krylows Männer gehören einer mittelmäßigen Spezialeinheit an. Sie sind bei weitem nicht so gut ausgebildet wie wir. Demnach sollten sie kein allzu großes Problem darstellen."

„Aber ... Aber ..." Vincenz zuckte innerlich zusammen. „Er hat den schwarzen Löwen auf seiner Seite."

Nun wirkten auch die wesentlich abgeklärteren Aniela und Sheytan überrascht. „Apu Bubu?", fragte das Medium. „Lasst euch auf keinen Fall auf eine Konfrontation mit ihm ein. Er soll zu den erfahrensten Attentätern dieser Welt gehören."

„Er wird seinem fürchterlichen Ruf gerecht", sagte Vincenz. „Ich konnte seinem Angriff nur mit viel Glück entkommen."

„Geht ihm vorerst aus dem Weg", befahl Sheytan. „Der Himmelsstein hat absolute Priorität. Vincenz, du suchst den zweiten Stock ab. Aniela wird den Eingangsbereich überwachen und dafür sorgen, dass wir auf keine ungebetenen Gäste treffen. Teresa, du wirst das Erdgeschoss übernehmen. Verabreiche bitte den hochangesehensten Aristokraten das Gegengift. Sie werden zu geschwächt sein, um noch dazwischenfunken zu können, dennoch sollten wir es uns bei den Mächtigen nicht verscherzen. Diesen Auftrag können wir zwar erledigen, doch der Einfluss ihrer Erben müsste groß genug sein, um unsere nächsten Missionen zu beeinträchtigen. Alle anderen kannst du getrost ihrem Tod überlassen ... Ich werde dann den Gartenbereich und das Außengelände übernehmen."

Die beiden Frauen nickten Sheytans Befehle ab, doch Vincenz musste noch einen letzten Wunsch äußern: „Kann Teresa nicht das Obergeschoss übernehmen und ich das Erdgeschoss? Im Obergeschoss bin ich bereits Apu Bubu begegnet und ich würde ihm sehr gerne aus dem Weg gehen."

Teresa sah Vincenz entgeistert an. „Ähm, nein?"

„Warum nicht?"

Demonstrativ klopfte Teresa auf die Armlehnen ihres Rollstuhls. „Wie soll ich denn die Treppe hinaufkommen?

„Oh ..." Vincenz kratzte sich verlegen am Kopf. „Stimmt ja."

Während die beiden Frauen sich über Vincenz' Vergesslichkeit amüsierten, drängte der genervte Sheytan auf die Erfüllung des Auftrages. „Hat noch jemand einen geistreichen Einwand?"

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now