Geisel dieser Welt (4)

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Nachdem Neros vermeintlicher Engel im Wald verschwunden war, verlief die Weiterreise ohne Komplikationen. Kurz nach der Begegnung erkundigten Celes und Nero sich gegenseitig, ob sie alles ohne weitere Verletzung überstanden hätten. Danach verstummte das Gespräch. Ihre euphorische Begleitung war nicht mehr wiederzuerkennen. Der Mann, der so offen über jedes noch so unangenehme Thema sprechen konnte, beantworte ihre Fragen plötzlich nur noch mit einem Kopfschütteln oder Nicken. Für Konversationen anderer Art war er nicht mehr empfänglich, obwohl Celes gerade anfing, sich für diesen sonderbaren Charakter zu interessieren. Gerne hätte sie mehr über ihn und seine Eden erfahren, doch er sah nicht danach aus, als würde er noch gerne noch ein einziges Wort über sie verlieren.

Erst als die Abenddämmerung eintrat, ergriff Nero wieder das Wort und schlug ein abgelegenes Plätzchen im Wald als Nachtlager vor. Zwischen den bis zum Himmel reichenden Tannen könnten sie ungestört ihr Lagerfeuer aufschlagen und sich auf die folgende Begegnung am nächsten Tag vorbereiten. Laut Celes' Wegbeschreibung konnten sie Lazarus' Residenz noch am nächsten Mittag erreichen.

Demnach angespannt war auch Celes, als der Wandermarsch sein vorzeitiges Ende am Lagerfeuer fand. Während sie in die lodernden Flammen blickte und sie die Reise nicht mehr vor den bevorstehenden Geschehnissen ablenken konnte, wurde ihr erst bewusst, dass sie sich morgen den Mann stellen musste, vor dem sie jahrhundertelang weggelaufen war.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers saß Nero, der ebenfalls mit seinen Dämonen zu hadern schien. Auch sein Blick lag stur in den Flammen. Auf seinem Schneidersitz balancierte er seinen Haudegen, mit dem er Celes verteidigt hatte. Daneben lag die letzte Blutkonserve, die ihm noch übriggeblieben war. Celes wollte es anfangs nicht zugeben, aber seine Blutfähigkeiten waren ziemlich eindrucksvoll gewesen. Leider hatte er seinen riesigen Vorrat bereits aufgebraucht, bevor er Lazarus gegenüberstehen konnte. Sie konnte nur hoffen, dass sie es nicht erleben müsste, dass diese mörderischen Fähigkeiten noch einmal von Nöten wären.

Neben den zerplatzten Kunststoffbeuteln der Blutkonserven waren in der zerfetzten Kühltruhe die letzten Packungen der beliebten Hohenheim-Fleischkräcker und zwei Flaschen Wasser übrig geblieben. Diese fanden dann auch ihr schnelles Ende am Lagerfeuer und dienten den aufgebrachten Reisenden als letzte Stärkung.

Ab und an haschte Celes' Blick über das Feuer hinweg und hinein in Neros von Gewissensbissen geplagtes Gesicht. Er hatte die Begegnung mit seiner Nemesis bereits hinter sich gebracht, dennoch war ihm keinerlei Spur von Erleichterung anzusehen. Was musste ihm wohl durch den Kopf gehen? Celes' und seine erste Begegnung war mehr als unglücklich verlaufen, demnach konnten beide nicht von Sympathie auf den ersten Blick sprechen. Dennoch hatte er sich für sie gegen die Liebe seines Lebens gestellt. Nach der unglücklichen Kennenlernphase hätte sie etwas Derartiges für ihn wohl nie getan, weswegen es für sie umso beschämender war, diesen Mann mit Desinteresse und Unfreundlichkeit gestraft zu haben. Sie hätte ihre Schuld niemals aufwiegen können, doch eine kleine Wohltat konnte sie ihm immerhin leisten.

„Danke", sagte sie.

Plötzlich sah er auf. Das warme Licht des Lagerfeuers zeichnete sich auf seinem harten Gesicht ab. „Für was?"

„Du hast mein Leben gerettet", sagte sie. „Viel mehr als das. Du hast dich gegen sie gestellt und das, obwohl ich so unverschämt dir gegenüber war."

„Es war das einzig Richtige", sagte er. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich vor zwei Jahren gehandelt hätte. Ich hätte ihr wohl alles verziehen, doch mittlerweile ... Ich war wohl viel zu lange blind vor Liebe."

„Du bist anders als er", sagte sie. „Ich hatte dir unrecht getan ... Ich ging davon aus, dass du wie Lazarus bist. Nicht nur vom Aussehen, sondern auch von deiner Art her. Ihr seid beide auf eure Art Kindsköpfe, doch im Gegensatz zu ihm, scherst du dich um die Personen, die du liebst."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now